Dieses Dokument listet nicht neun Seiten an Nebenwirkungen des Pfizer-Corona-Impfstoffs auf
Tausende User haben Anfang März 2022 ein Dokument des Pharmaunternehmens Pfizer in sozialen Netzwerken geteilt. Darin sind angeblich auf neun Seiten Nebenwirkungen des Corona-Impfstoffes aufgelistet. Das Dokument ist echt, die Liste darin umfasst allerdings keine festgestellten Nebenwirkungen. Sie führt lediglich vor Beginn einer Studie mögliche Nebenwirkungen auf, auf die gezielt geachtet werden soll. Die Beobachtungsliste belegt keinen Zusammenhang zu Impfnebenwirkungen, erklärten mehrere Experten gegenüber AFP.
Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Behauptung über das Pfizer-Dokument im März 2022 auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Auf Twitter teilten die Behauptung Tausende (hier, hier), auf Telegram sahen Zehntausende die Behauptung. Auch der impfskeptische Blog "TKP" veröffentlichte die Behauptung. AFP prüfte bereits mehrere Behauptungen des Blogs (hier, hier).
Diese Behauptung überprüfte AFP bereits auf Französisch und Finnisch.
Die Behauptung: Ein Autor einer Facebook-Seite behauptet, dass aufgrund eines Gerichtsurteils das Pharmaunternehmen Pfizer einen "Teil 2 der Nebenwirkungen" liefern müsse. Die Liste der bestätigten Nebenwirkungen sei "neun Seiten in Kleindruck" lang.

Facebook-User behaupten fälschlicherweise, dass Pfizer wegen eines Gerichtsurteils "nun" eine Nebenwirkungsliste veröffentlichen müsse. Das Dokument ist seit dem 17. November 2021 öffentlich abrufbar. Bereits im Dezember 2021 behaupteten Facebook-User fälschlicherweise, das Dokument belege Tausende Todesfälle und Schwangerschaftsabbrüche nach der mRNA-Impfung. AFP prüfte diese irreführende Behauptung hier.
Bereits im Dezember 2021 bestätigte eine Pfizer-Sprecherin gegenüber AFP die Echtheit des Dokuments. Am Ende des Dokuments ist ab Seite 30 auch die auf Facebook geteilte neunseitige Liste zu finden. Diese Liste heißt: "Appendix 1. List of Adverse Events of Special Interest" (AESI). Es handelt sich also um den "Anhang 1: Liste der unerwünschten Ereignisse von besonderem Interesse." Die auf dieser Liste aufgeführten Symptome werden in sozialen Netzwerken als Nebenwirkungen verstanden.
Was sind "unerwünschte Ereignisse von besonderem Interesse" (AESI)?
Die in der Liste angeführten AESI sind allerdings keine unerwünschten Reaktionen auf den Impfstoff nach der Impfung, sondern vor Studienbeginn definierte Reaktionen, auf die besonders geachtet wird.
Francesco Salvo, außerordentlicher Professor an der Universität von Bordeaux und Koordinator der Impfstoffsicherheitsüberwachung von Pfizer in Frankreich, erklärte am 9. März 2022 in einem Telefonat mit AFP: "Es handelt sich um Ereignisse, die bei anderen Impfstoffen beobachtet wurden, auf deren Grundlage Experten Hypothesen aufgestellt haben, wie etwa mögliche Fälle von Gesichtslähmung, hämorrhagische (Blutungen auslösend, Anm. d. Red.) oder neurologische Störungen, um sie von vornherein zu berücksichtigen und eine spezifische Überwachung für die Covid-19-Impfstoffe durchzuführen."
Im Übrigen müsse man zwischen unerwünschten Ereignissen, die nach der Impfung auftreten, ohne dass ein kausaler Zusammenhang besteht, und unerwünschten Wirkungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Impfung stehen, unterscheiden, fügt Salvo hinzu.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert AESI als "vorab identifiziertes und definiertes medizinisch bedeutsames Ereignis, das möglicherweise in kausalem Zusammenhang mit einem Impfstoffprodukt steht und das sorgfältig überwacht und durch weitere spezifische Studien bestätigt werden muss."
Mika Rämet, Direktor des Impfstoff-Forschungszentrums an der Universität Tampere in Finnland, bestätigte das am 10. März 2022 in einer E-Mail an AFP: "Wenn ein Impfstoff in großem Umfang verwendet wird, treten natürlich viele verschiedene Ereignisse auf, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Impfstoff stehen. Am wichtigsten ist es, zu beobachten, ob es Auffälligkeiten in der Anzahl der Symptome gibt, wie zum Beispiel Myokarditis bei jungen Männern".
Was bedeutet das für die Liste?
Mehrere Experten erklärten gegenüber AFP, dass sich die Liste nur auf vorher festgelegte Nebenwirkungen bezieht, die während der Sicherheitsbewertung überwacht wurden, und nicht auf tatsächlich aufgetretene Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Impfstoff.
Rämet erklärte: "Hier sind alle potenziellen schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse aufgelistet, die analysiert wurden (über die Impfung, Anm. d. Red.). Aus diesem Bericht gehen keine neuen potenziellen schwerwiegenden Nebenwirkungen hervor."
Dies bestätigte auch Salvo: "Bei dieser Liste handelt es sich nicht um die Liste der unerwünschten Wirkungen des Pfizer-Impfstoffs, sondern um die Liste der Ereignisse, die von den weltweiten Impfexperten vor dem Start der Impfkampagne als Ereignisse definiert wurden, die nach der Impfung grundsätzlich sorgfältig zu beobachten sind, weil sie negative Auswirkungen dieser Impfstoffe darstellen könnten."
Während das Dokument in den aktuellen Postings als Beweis dafür angeführt wird, dass der Corona-Impfstoff von Pfizer-Biontech gefährlich sei, heißt es im Fazit des Dokuments selbst, dass "die Daten keine neuen Sicherheitsbedenken oder Risiken aufzeigen, die eine Änderung der Kennzeichnung erfordern". Außerdem wird darin ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Impfstoff bestätigt.
Die Liste in dem Dokument enthält teilweise deshalb so viele Einträge, weil sie eine Vielzahl von Einträgen aus dem MedDRA-Wörterbuch für medizinische Kodierungsbegriffe verwendet. Dieses Wörterbuch enthält 70.000 Begriffe, von denen jedes spezifische klinische Problem wie beispielsweise ein Herzinfarkt alleine bereits mehr als 200 Einträge umfassen kann.
Bekannte Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen von Pfizer
In Deutschland werden alle Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldet. Das PEI sammelt diese und erklärt in Sicherheitsberichten, ob es neben einem zeitlichen Zusammenhang von möglichen Impfreaktionen auch einen ursächlichen gibt. Im aktuellsten Sicherheitsbericht vom 7. Februar 2022 berichtete das PEI bis zum 31. Dezember 2021 von 141.894 Verdachtsmeldungen nach einer Impfung mit dem Pfizer/Biontech-Impfstoff Comirnaty.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren rund 61,8 Millionen Menschen mindestens einmal geimpft. Deutschland setzte dabei vor allem auf den Pfizer-Impfstoff. Laut PEI traten bei tausend Comirnaty-Impfungen 1,3 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen auf. Als schwerwiegendes, aber sehr seltenes Risiko von Comirnaty nennt das PEI Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen. Diese würden bei weniger als einem Fall pro 10.000 Geimpften auftreten.
Fazit: Die Behauptung, die neunseitige Liste in dem Pfizer-Dokument führe belegte Nebenwirkungen der mRNA-Impfung auf, ist irreführend. Die Liste führt lediglich vor Beginn einer Studie definierte, zu beobachtende mögliche Nebenwirkungen auf. Einen tatsächlichen Zusammenhang belegt diese Liste nicht.