Dieses angebliche Sitzungsdokument ist eine Fälschung
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- Veröffentlicht am 26. Mai 2021 um 12:28
- Aktualisiert am 26. Mai 2021 um 12:29
- 3 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Mehr als 440 Facebook-User haben das Strafen-Papier seit dem 22. Mai geteilt (etwa hier, hier). Verschickt wurde es dem Briefkopf zufolge durch das Bundesgesundheitsministerium mit dem Vermerk: "Nur zur internen Verwendung". Adressaten waren laut dem in dem Schreiben genannten Verteiler der Bundesgesundheitsminister und die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Gesundheit. Das Papier sei eine Diskussionsvorlage, über die die Abgeordneten des Ausschusses angeblich am 1. Juni 2021 diskutieren und abstimmen würden. Weiter heißt es:
Es folgt eine Liste mit angeblich mögliche Strafen, die von 50 Euro "Verwarngeld" über 5000 Euro "Zwangsgeld" und 30 Tage Haft bis zur Entziehung der Kinder und Jugendlichen durch das Jugendamt samt Zwangsimpfung reichen.
Die Verbreitung der angeblichen Vorlage des Gesundheitsministeriums folgt der aktuellen politischen Debatte um die Impfung von Kindern. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits im Februar 2021 erklärt, er hoffe, dass im Sommer auch ein Impfstoff für Kinder bereitstehe. Der Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer hat die Zulassung seines Impfstoffs bereits für Kinder beantragt. Öffentlich wird allerdings darüber diskutiert, inwieweit solche Impfungen sinnvoll sind.
In der Debatte forderte etwa der Deutsche Ärztetag am 4. Mai von der Bundesregierung eine Impfstrategie für Kinder und Jugendliche. Die Ständige Impfkommission (Stiko) sowie die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) beraten aktuell noch über eine mögliche Empfehlung. Minister Spahn erklärte am 14. Mai, dass die Impfung für Kinder eine "freiwillige Entscheidung" bliebe. Eine Impfpflicht sei nicht geplant.
Ist das Diskussionspapier echt?
Im angeblichen Papier aus dem Gesundheitsausschuss sind mehrere Rechtschreibfehler zu finden – etwa fehlende Buchstaben bei "Tenden" und "Erziehungsberechtige". Auch wurden der Ausschuss des Bundesrats (Gesundheitsausschuss) und des Bundestags (Ausschuss für Gesundheit) in der Adressatenliste verwechselt, die sich in der Schreibweise unterscheiden. Weiter sieht das Layout im Vergleich zu echten Vorlagen für die Sitzungen des Gesundheitsausschusses ganz anders aus. Das Beispiel einer Beschlussvorlage zeigt etwa, dass darauf für gewöhnlich ein Aktenzeichen und die Namen der Einreichenden zu finden sind.
Ein weiteres Indiz für eine mögliche Fälschung ist das Datum, an dem die angeblichen Strafen für Eltern beschlossen werden sollen: Am 1. Juni ist laut Terminplan des Gesundheitsausschusses im Bundestag keine Sitzung geplant. Die geplanten Termine sind unter dem Reiter "Termine" über die Pfeile einsehbar.
Alle Beteiligten dementieren
AFP hat das Bundesministerium für Gesundheit zur Echtheit des Papiers befragt. Am 26. Mai schrieb Sprecherin Doris Berve-Schucht an AFP: "Das Papier ist eine Fälschung."
AFP hat auch das Büro des Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU/CSU), zum Papier befragt. Am 25. Mai schrieb dessen Mitarbeiterin Alexandra Gutwein an AFP: "Bei der Datei handelt es sich um einen Fake. Eine solche Debatte wird nicht geführt." Ihr liege keine Tagesordnung für den 1. Juni vor.
Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Harald Weinberg (Linke) bestätigte ebenfalls am selben Tag in einer E-Mail an AFP: "Das ist ohne Zweifel ein Fake, dementsprechend wurde er nicht an den Ausschuss verschickt."
Für ihn gebe es mehrere Anhaltspunkte für eine Fälschung: Das Sitzungsdatum sei nicht wie üblich ein Mittwoch, sondern ein Dienstag, der außerdem nicht in den angesetzten Sitzungswochen liege. Auch gebe es gar keine Vorlagen in dieser Form.
Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke) wurde ebenfalls auf die Fälschung auf Facebook aufmerksam. In einem eigenen Facebook-Post vom 25. Mai erklärt sie, warum das geteilte Papier ein "absoluter Fake" ist.
Sie schreibt unter anderem: "Der Fälscher hat offenbar keine Ahnung, wie das Gesetzgebungsverfahren abläuft. Niemals geht ein Ministerium mit einem solchen Diskussionspapier in einen Bundestagsausschuss, um aus der Diskussion im Ausschuss heraus einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Es läuft genau andersherum."
Fazit
Das vermeintliche Diskussionspapier, das nur zur internen Verwendung an den Bundesgesundheitsminister sowie die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestags verschickt worden sein soll, ist eine Fälschung. Weder Form, Sitzungsdatum noch Inhalte des Papiers stimmen. Auch dass das Bundesministerium für Gesundheit ein Diskussionspapier als Leitfaden für eine Debatte an Ausschussmitglieder schickt, sei unüblich, schrieben mehrere Abgeordnete und das Ministerium selbst. Außerdem wies Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich darauf hin, dass keine Impfpflicht für Kinder geplant sei. Es handelt sich lediglich um eine Empfehlung.