Dieser Screenshot beweist keine Lockdown-Vorbereitungen Österreichs im Februar
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- Veröffentlicht am 27. November 2020 um 17:11
- Aktualisiert am 27. November 2020 um 17:16
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Deutschland
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Am 24. November taucht ein Post samt Screenshot aus einem Firmenverzeichnis auf Facebook auf. Darauf zu erkennen: Der Name eines Unternehmens sowie dessen Tätigkeitsbeschreibung, Firmenbuch- und Umsatznummer. Auch das "Beginndatum der Rechtsform" ist deutlich zu lesen und zusätzlich mit einem großen, roten Ausrufezeichen hervorgehoben: der 10. Februar 2020. 760 Nutzerinnen und Nutzer teilen den Beitrag. In der Beschreibung heißt es: "In Österreich wusste man anscheinend bereits Anfang Februar bestens über einen in Ö bevorstehenden Lockdown Bescheid". Das sei lange bevor die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Ausbruch zur Pandemie erklärt habe, vor den Ausgangsbeschränkungen und bevor Medien über die Gründung der Gesellschaft zur Auszahlung der Finanzhilfen berichtet hätten.
Ähnliche Postings mit dem Screenshot kursieren ebenfalls hier, hier oder hier.
Einige Teile des Facebook-Postings stimmen durchaus: Der Screenshot des Firmenbucheintrags zeigt einen echten Eintrag auf der Website des privaten Firmenverzeichnisses "FirmenABC", wo AFP dieselben Informationen wiedergefunden hat. Auch stimmt die Feststellung, dass Medien erst Anfang April über die Gründung der "COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH", kurz COFAG, berichtet hatten (hier oder hier). Die Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr begannen mit dem 16. März, wie das Posting richtig festhält. Das Datum, an dem die WHO den Corona-Ausbruch als Pandemie einstufte, ist ebenfalls korrekt.
Eine kurze Erinnerung an die Lockdown-Chronologie in Österreich: Am 25. Februar verbreitet sich die Nachricht der ersten beiden Corona-Fälle im Land. Am 5. März klassifizieren isländische Gesundheitsbehörden Ischgl als Risikogebiet, währenddessen machen noch tausende Menschen dort Urlaub. Ab 10. März kommt es zu ersten Einschränkungen des Reiseverkehrs. Am 12. März stirbt der erste Patient in Österreich an den Folgen einer Corona-Infektion. Einen Tag später, am 13. März, verkündet die Bundesregierung die Ausgangsbeschränkungen, die drei Tage später in Kraft treten. Um deren Folgen abzufedern, legt die Regierung am 18. März ein 38 Milliarden Euro starkes Hilfspaket vor.
Hätte die österreichische Regierung tatsächlich schon Mitte Februar aktiv den Lockdown vorbereitet und sogar eine Gesellschaft zur Verteilung der Hilfspakete gegründet, würde das zahlreiche Fragen nach ihrer wirtschaftlichen und medizinischen Verantwortung aufwerfen. Diese Gründung hat es in dieser Form aber gar nicht gegeben.
Was ist die COFAG?
Die "COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH" ist eine Gesellschaft im Auftrag des Staates, die österreichischen Unternehmen helfen soll, die in der Corona-Krise in finanzielle Not geraten sind. Sie stellt dazu Garantien und Kostenzuschüsse sowie einen Lockdown-Umsatzersatz bereit. Laut eigener Aussage hat die COFAG dafür mit Stand 20. November bereits rund 4,6 Milliarden Euro an Garantien und 331,9 Milliarden Euro an Zuschüssen ausbezahlt. Geleitet wird die COFAG von Bernhard Perner und Marc Schimpel. Perner war zuvor im Kabinett von ÖVP-Finanzministern tätig, Schimpel bei den Grünen aktiv.
Grundlage für die Gründung der COFAG sind Änderungen des ABBAG-Gesetzes durch die COVID-19-Gesetze im März und April 2020. Die ABBAG wiederum ist eine Gesellschaft im Eigentum der Republik, die ursprünglich für die Abwicklung der Pleitebank Hypo Alpe Adria zuständig war. Dabei wurde der Bankenkonzern zerschlagen und in eine Abbaugesellschaft, also eine so genannte Bad Bank, umgewandelt (mehr dazu hier oder hier). Jetzt fungiert die ABBAG als Muttergesellschaft für die COFAG.
Wie das Datum zustande kommt
Bundeskanzler Kurz kündigte wie beschrieben am 18. März ein Finanzpaket an. Wie kommt es nun zu dem Beginndatum von Anfang Februar im Firmenverzeichnis? Vereinfacht gesagt: Um die COFAG zu gründen, hat die ABBAG eine bereits früher entstandene GmbH gekauft und umbenannt, anstatt eine völlig neue GmbH zu gründen. Das Februar-Datum ist lediglich das alte Datum dieser Vorgänger-GmbH, die nichts mit Corona zu tun hatte. Aber im Detail von vorne:
Um den Prozess der Gründung zu beschleunigen, greifen Unternehmensgründer manchmal auf sogenannte Vorratsgesellschaften zurück. Wenn es schnell gehen soll, kauft man von Gründungsagenturen oder Kanzleien bereits fertig gegründete Gesellschaften, die noch keine eigene Geschäftstätigkeit aufgenommen haben. Sie bestehen nur als Mantel, bis sie für einen anderen Zweck eingekauft werden.
Das ist auch in diesem Fall so gewesen. "Die Gründung (...) musste zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des COVID-19-Gesetzes Mitte März 2020 sehr rasch erfolgen", heißt es in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ an Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP).
Auch eine Sprecherin der COFAG schreibt am 26. November an AFP: "Solche Vorratsgesellschaften sind in der Regel fertig gegründet, im Firmenbuch eingetragen und können bei Bedarf schnell an einen Käufer übertragen werden. Das erspart den langwierigen Eintragungsprozess einer neuen GmbH, man erspart sich etwaige Haftungsrisiken einer Gesellschaft in Gründung und ist in vielen Fällen kostengünstiger, als eine neue GmbH zu gründen."
Deshalb habe die ABBAG sich zur Gründung ihrer neuen Tochtergesellschaft an eine Rechtsanwaltskanzlei gewandt, die Rechtsanwaltskanzlei Schönherr, die laut der juristischen Infoplattform "Juve" die ABBAG zuvor schon bei der Abwicklung der Hypo Alpe Adria beraten hatte. Mit schnellen Unternehmensgründungen tauchte die Kanzlei schon früher in österreichischen Medien auf: Sie hatte etwa im November 2019 eine GmbH mit einem ganz ähnlichem Namen gegründet, den auch die Vorratsgesellschaft trug, die dann in der COFAG aufging. AFP hat am 27. November bei Schönherr nach der Gründung gefragt, die die Existenz der Vorratsgesellschaft ebenfalls bestätigte.
AFP hat außerdem FirmenABC, den Betreiber des Firmenverzeichnisses von dem der Screenshot stammt, kontaktiert und zum Eintrag befragt. FirmenABC verweist auf die Ratingagentur Creditreform, die die Daten dafür zur Verfügung gestellt habe. Dort bestätigte ein Sprecher AFP am 26. November, dass das frühere Gründungsdatum der COFAG auf die zuvor gegründete Vorratsgesellschaft zurückzuführen sei.
Dasselbe erklärte im Detail auch die Sprecherin der COFAG selbst: "Die Kanzlei Schönherr gründete am 19. Februar 2020 eine GmbH als SASR Alpha Einundsiebzigste Beteiligungsverwaltungs GmbH (SASR Alpha) unter der Firmenbuchnummer 528566d." Diese Nummer zeigt auch der aktuell verbreitete Screenshot. AFP hat sie in anderen Firmenverzeichnissen wiedergefunden (hier oder hier).
In der Auskunft der COFAG ist dabei vom 19. Februar die Rede, im Screenshot allerdings vom 10. Februar. Der Sprecher der Creditreform erklärt: Am im Posting gezeigten 10. Februar sei der Gesellschaftsvertrag der GmbH errichtet worden, der 19. Februar sei dann das eigentliche Gründungsdatum der SASR Alpha. Auch die Tageszeitung "Der Standard" hatte das im April berichtet.
Nachdem die Kanzlei Schönherr die SASR Alpha im Februar gegründet hatte, kaufte die ABBAG sie am 27. März. Diesen Schritt nennt der Finanzminister in der Beantwortung der parlamentarischen SPÖ-Anfrage "unumgänglich". Am 31. März wird dann der Name offiziell geändert. Die Gesellschaft heißt nun "COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH".
Die COFAG ist damit rund zwei Wochen nach Beginn des Lockdowns gegründet worden. Sie geht nur aus einer zuvor gegründeten Vorratsgesellschaft hervor.
Ein interessantes Detail: Auf der Website der COFAG steht zur Gründungsgeschichte zum Zeitpunkt der aktuell verbreiteten Behauptung: "Im Februar 2020 wurden der österreichischen Wirtschaft 38 Milliarden Euro zur Unterstützung in der Corona-Krise zugesichert." Die Bundesregierung hatte dieses Hilfspaket wie erwähnt aber erst am 18. März angekündigt. Dieser Umstand wird von den Postings zwar nicht aufgegriffen, erscheint aber widersprüchlich. Von AFP darauf angesprochen, antwortet die Sprecherin der COFAG, dass es sich dabei um einen Fehler auf der Website handle. Die Stelle ist mittlerweile auf der Website korrigiert.
Fazit: Eine Rechtsanwaltskanzlei gründet im Februar eine GmbH. Als die Republik Österreich im März schnell die Corona-Hilfsgelder auszahlen will, greift sie auf diese bestehende GmbH zurück und beauftragt die ABBAG, diese Vorrats-GmbH zu kaufen. Kurze Zeit später erhält die GmbH dann ihren heutigen Namen. Es ist zwar möglich, dass sich die Regierung zu diesem Zeitpunkt bereits zu möglichen Corona-Szenarien Gedanken machte. Der Screenshot aus dem Firmenverzeichnis ist aber kein Beleg dafür, dass die Regierung schon im Februar einen Lockdown plante und eine entsprechende Gesellschaft gründete.