Vorsicht vor irreführendem Video über Omikron in Südafrika
- Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
- Veröffentlicht am 30. Dezember 2021 um 12:41
- 9 Minuten Lesezeit
- Von: Ede ZABORSZKY, AFP Ungarn
- Übersetzung: Eva WACKENREUTHER
Copyright © AFP 2017-2024. Für die kommerzielle Nutzung dieses Inhalts ist ein Abonnement erforderlich. Klicken Sie hier für weitere Informationen.
Ein Mann besucht mehrere Krankenhäuser in Südafrika und filmt dabei leerstehende Zimmer. Er folgt einer als Krankenschwester beschriebenen Frau durch die Gänge des Krankenhauses, mehrfach ist dabei das Wort "leer" im Video eingeblendet. Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben das Video seit Anfang Dezember auf Facebook, Telegram und Instagram als angeblichen Beweis für eine falsche Berichterstattung deutscher Medien über die Corona-Situation in Südafrika rund um den Ausbruch der neuen Variante Omikron geteilt. Auch auf Ungarisch und Rumänisch verbreiteten es Tausende, AFP hat die Behauptung auch in diesen Sprachen überprüft (hier, hier).
Die irreführende Behauptung: "Kleinkinder im Krankenhaus?! Haben die deutschen Medien gelogen?", fragt die Videobeschreibung. Eine Instagram-Nutzerin kommentiert die Aufnahme: "Danke, danke, danke, dass du die Propaganda aufdeckst!"
Der Ursprung des Videos
Das Video enthält ein Wasserzeichen, das zum User "florian_arnoldson" auf Telegram und Instagram führt, der die Aufnahme dort am 5. Dezember veröffentlichte. Andere Instagram-Beiträge deuten darauf hin, dass sein echter Name Florian Muck ist. Auf Facebook gibt es einen Menschen mit diesem Namen mit denselben Bildern wie die des Instagram-Nutzers. AFP hat ihn kontaktiert, aber bisher keine Antwort erhalten. Auf Telegram teilt "florian_arnoldson" Verschwörungserzählungen zu Corona oder QAnon. Im aktuell geteilten Video sagt er nach rund einer Minute etwa "Let’s go Brandon", eine verdeckte Beleidigung gegen US-Präsident Joe Biden.
Behaupteten Medien, dass südafrikanische Krankenhäuser voller Kinder sind?
Im Video spricht der Mann davon, dass europäische Medien berichtet hätten, dass alle Krankenhäuser mit Kindern ausgelastet seien, die an der Corona-Variante sterben würden.
In einem späteren Telegram-Beitrag bezieht er sich auf einen Artikel des Magazins "Der Spiegel", der am 10. Dezember erschien, also fünf Tage nach der Veröffentlichung seines Videos. Der Artikel trägt den Titel "Rätsel um Kinderinfektionen in Südafrika". Krankenhäuser voller sterbender Kinder kommen darin nicht vor. Der Bericht führt zwar an, dass Kinder unter fünf Jahren in der Region Gauteng häufiger mit einer Infektion in Kliniken eingeliefert würden, und greift die Sorge des Virologen Christian Drosten auf, wonach Kinder unter fünf Jahren häufiger von schweren Verläufen betroffen sein könnten. Der "Spiegel"-Artikel weist aber ausdrücklich darauf hin, dass sich diese Trends nicht verallgemeinern ließen, da diese nicht in allen Krankenhäusern in der Region Gauteng beobachtbar seien. Noch sei unklar, was hinter dem Phänomen stecke.
AFP konnte keine Berichterstattung über die erwähnten südafrikanischen Krankenhäuser voller sterbender Kinder finden. Eine Stichwortsuche führte lediglich zu einem Bericht der deutschen Nachrichtenagentur dpa vom 3. Dezember über Südafrika und die Omikron-Variante, den mehrere deutsche Medien aufgriffen (hier, hier, hier). Darin wird berichtet, dass die Zahl der Kleinkindern, die in der Region Gauteng ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, angestiegen sei. Es wird aber auch betont, dass es noch zu früh sei, um aus den bisher vorhandenen Daten fundierte Schlüsse zu ziehen und dass dieser Anstieg zu keinen Engpässen in den Kliniken geführt habe.
Der "Ort des Geschehens"
"Ich bin direkt an den Ort des Geschehens gegangen", beschreibt "florian_arnoldson" den Aufnahmeort seines Videos. Darin versucht er, drei Krankenhäuser zu besuchen. Er nennt keine Namen, aber AFP konnte alle drei mit Hilfe der gezeigten Schilder und Google Maps identifizieren: das Victoria Hospital Wynberg, die Mediclinic Constantiaberg und das Red Cross War Memorial Children's Hospital. Alle drei befinden sich in Kapstadt, rund 1500 Kilometer entfernt vom Omikron-Epizentrum in der Provinz Gauteng. Das entspricht etwa der Distanz zwischen Paris und Budapest.
Kapstadt befindet sich im Südwesten des Landes, in der Provinz Westkap mit einer Bevölkerungszahl von knapp sieben Millionen Menschen. Nach Zahlen der Gesundheitsbehörde der Provinz gab es in der Woche vor dem 5. Dezember durchschnittlich 853 Coronafälle. In der Provinz Gauteng waren es im selben Zeitraum 6425 Fälle pro Tag, bei einer Bevölkerung von 15,4 Millionen.
Das erste Krankenhaus
Das erste besuchte Krankenhaus ist das Victoria Hospital Wynberg.
Im Video ist der Text "Wir bekamen nur Auskunft ohne Video und Ton" eingeblendet. AFP bat das Krankenhaus um einen Kommentar. Eine Sprecherin antwortete am 22. Dezember 2021: "Wir können bestätigen, dass die Person auf dem Video Ende November 2021 versucht hat, sich Zugang zum Victoria Hospital in Kapstadt, Südafrika, zu verschaffen. Die Sicherheitskräfte hinderten die Person daran, in das Krankenhaus einzudringen. Er versuchte, dem Sicherheitspersonal eine Antwort zu entlocken, das ihn abwies und ihn aufforderte, das Gelände zu verlassen, was er auch tat."
Die Sprecherin ergänzte, dass das Krankenhaus zwar Corona-positive Patienten in der Einrichtung habe, dass es "sich aber unserer Erfahrung nach derzeit bei 90 Prozent um Zufallsbefunde handelt und keine Patienten mit covid-hypoxischer Lungenentzündung auf der Intensivstation aufgenommen werden".
Das zweite Krankenhaus
Das zweite Krankenhaus, rund 2,5 Kilometer vom ersten entfernt, ist die Mediclinic Constantiaberg, wie ein Vergleich des aktuell geteilten Videos mit einem Bild des Gebäudes auf der Website des Krankenhausbetreibers zeigt.
Das zweite Krankenhaus schafft der Mann im Video schließlich zu betreten und dort einen Mitschnitt seines Besuchs zu machen. Er trifft auf eine Frau, die er als Krankenschwester vorstellt und die sagt, dass in Kapstadt die Zahlen (vermutlich der Corona-Fälle) "noch nicht so groß" seien und dass sie keine Kinder unter fünf Jahren aufgenommen hätten. Die Frau erzählt weiter, dass es zwei Corona-Fälle im Krankenhaus gebe, beides Erwachsene.
AFP hat die Mediclinic Constantiaberg um eine Stellungnahme zum Video gebeten. Am 17. Dezember 2021 bezeichnete Mediclinic Southern Africa, das die Einrichtung betreibt, das Video als "irreführend". "Die Mitarbeiterin, die in der Einheit zu sehen ist, demonstriert die Sicherheit und die Bereitschaft des Krankenhauses, sowohl Covid-19- als auch Nicht-Covid-Patienten aufzunehmen, und wurde offenbar unter falschem Vorwand gefilmt", hieß es in der Erklärung. Die Aufnahme zeige die chirurgische Abteilung, die Tagesklinik und die hämatologische Abteilung des Krankenhauses, sowie die für Corona-Kranke vorgesehenen Bereiche.
Das Video ist laut Mediclinic zwar vor dem Beginn der jüngsten Corona-Welle entstanden, auch derzeit verzeichne die Einrichtungen in Westkap aber nur eine sehr geringe Nachfrage nach der Versorgung von Corona-Patientinnen und Patienten. "Die Zahlen bleiben relativ niedrig, nur wenige Patienten benötigen eine Intensivstation", heißt es in der Erklärung Mitte Dezember.
Das dritte Krankenhaus
Der Name des dritten Krankenhauses ist in der Aufnahme deutlich zu erkennen, es ist das Red Cross War Memorial Children's Hospital. Hier spricht der Videoersteller mit einer Frau, die im Video nicht zu sehen ist, und verlangt eine Bestätigung, ob "alle Krankenhäuser voll mit Kindern sind, die an der neuen Variante sterben", worauf die Person antwortet: "Nein, ich bin vom Sicherheitsdienst, ich kann das nicht bestätigen." Im Video wird die Antwort als Schriftzug ungenau mit "Keine Kinder mit Corona im Krankenhaus oder daran verstorben" eingeblendet, was den Eindruck erweckt, die Sicherheitsmitarbeiterin hätte eine verbindliche Auskunft gegeben.
Der Mann im Video kündigt daraufhin an, gleich mit jemandem zu sprechen, der Verantwortung trage. Er wiederholt seine Frage nach den sterbenden Kindern gegenüber zwei weiteren Personen, die ebenfalls nicht im Bild sind und die Krankenhausüberlastung verneinen.
AFP kontaktierte das Krankenhaus am 17. Dezember 2021. Ein Sprecher sagte, dass sich der Vorfall Ende November 2021 ereignet habe. "Die Sicherheitskräfte hinderten die Person daran, die Krankenstation zu betreten und er sprach nicht mit dem medizinischen Personal. Das von ihm gezeigte Videomaterial zeigt den Empfangsbereich und einen nicht patientenbezogenen Bürobereich am Eingang des Krankenhauses." Er sei dann abgewiesen und aufgefordert worden, das Gelände zu verlassen.
Das Krankenhaus erklärte weiter, dass es am 17. Dezember Corona-Patienten aufgenommen hat, dass es sich allerdings "bei der Hälfte der Patienten um Zufallsbefunde handelt, ohne dass sie derzeit auf der Intensivstation aufgenommen werden" und fügte hinzu, dass es während der aktuell herrschenden vierten Welle nur eine Aufnahme auf die Intensivstation gegeben habe.
Südafrika und die Omikron-Variante
Am 25. November 2021 teilten Forschende in Südafrika mit, sie hätten eine neue Variante mit dem wissenschaftlichen Namen B.1.529 entdeckt. Sie führte zu einem Anstieg der Infektionszahlen. Die Gesundheitsbehörden erklärten am 17. Dezember, dass das Land zwei Tage zuvor die höchste Zahl von Infektionen seit Beginn der Pandemie verzeichnet hatte.
Erst frühestens in einigen Wochen können Forschende laut Expertinnen und Experten belastbare Schlüsse zu der Omikron-Variante ziehen. Michelle Groome vom südafrikanischen Institut für übertragbare Krankheiten (NICD) sagte am 17. Dezember 2021, dass die Hospitalisierungen nicht im selben Maß wie die Infektionen zunähmen und dass es bisher "nur einen relativ geringen Anstieg der Todesfälle" gegeben habe.
Wassila Jassat, ebenfalls vom NICD, sagte, dass die Zahl der Menschen, die Sauerstoff benötigen niedriger sei als in vorangegangen Wellen. "Die Verweildauer der Patienten scheint kürzer zu sein", sagte sie mit Blick auf die Krankenhausaufenthalte.
Ein Sprecher des Red Cross War Memorial Hospital sagte am 17. Dezember 2021 außerdem, dass es immer mehr Hinweise darauf gebe, "dass die Omikron-Variante mehr jüngere Kinder infiziert als frühere Covid-Varianten. Aber wir warten immer noch auf Klarheit über den Schweregrad der Erkrankung bei den pädiatrischen Fällen, wobei es derzeit Anzeichen dafür gibt, dass der Zustand in der großen Mehrheit der Fälle mild bleibt."
Nach Angaben des Krankenhauses gab es am 4. Dezember 2021 – dem Tag vor der Veröffentlichung des Videos – landesweit nur zehn pädiatrische Covid-Fälle auf den Intensivstationen, was zeigt, "dass Fälle auf der Intensivstation eine extreme Ausnahme sind".
Am 29. Dezember 2021 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor, dass Omikron nach wie vor ein "sehr großes" Risiko darstelle, da die hochgradig übertragbare Coronavirus-Variante in vielen Ländern zu Rekordausbrüchen führe. Nach Angaben der WHO deuten erste Daten aus Großbritannien, Südafrika und Dänemark darauf hin, dass das Risiko einer Krankenhauseinweisung bei Omikron im Vergleich zu Delta geringer sei. Weitere Daten seien allerdings erforderlich, um den Schweregrad von Omikron zu verstehen.
Die rasche Ausbreitung von Omikron würde "immer noch zu einer großen Zahl von Krankenhauseinweisungen führen, insbesondere unter ungeimpften Gruppen, und weitreichende Störungen der Gesundheitssysteme und anderer wichtiger Dienste verursachen", warnte Catherine Smallwood von der WHO-Europadirektion. Frankreich, Großbritannien, Griechenland und Portugal meldeten am 28. Dezember 2021 täglich neue Rekordfallzahlen.
Deutschland meldete erste Omikron-Fälle Ende November 2021. Am 29. Dezember 2021 zählte das Robert-Koch-Institut (RKI) knapp über 40.000 Covid-Neuinfektionen in ganz Deutschland, das Institut weist allerdings auf die eingeschränkte Aussagekraft der Daten während der Feiertage hin.
Außerdem verweisen Expertinnen und Experten darauf, dass man beim Vergleich der Situation in Südafrika mit der in anderen Ländern vorsichtig sein muss. Virologin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main sagte am 15. Dezember 2021 bei einem Briefing des Science Media Centers mit Blick auf den Rückgang der Todesfallrate in Südafrika: "Ich glaube, dass man das noch nicht abschließend beurteilen kann, weil die südafrikanische Bevölkerung ganz anders zusammengesetzt ist. Das sind viel jüngere Menschen, und die haben meistens schon eine oder mehrere Infektionen durchgemacht, sie sind zum Teil auch geimpft." Und weiter: "Ich drücke die Daumen, dass das sich bewahrheitet, dass die Case Fatality Rate (Fallsterblichkeit) auch bei uns vielleicht niedriger ist bei Omikron, aber das wissen wir noch nicht und wir können es von hier nicht bewerten. Da spielen einfach sehr viele Faktoren eine Rolle, da müssen wir auf Zahlen aus Europa, aus Großbritannien oder aus Dänemark warten", erklärte sie dann.
Fazit: Das aktuell geteilte Video hat wenig Aussagekraft über die Schwere der neuen Omikron-Variante. Es stammt aus einer von der als Omikron-Epizentrum beschriebenen Provinz Gauteng weit entfernten Region in Südafrika. Forscherinnen und Forscher geben an, dass für fundierte Aussagen zu Omikron noch zu wenig über die neue Variante bekannt sei und die Situation in Südafrika schwer mit der anderer Länder vergleichbar sei.