Nein, Audi hielt hier keine sparsame Fahrzeugtechnologie unter Verschluss

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  • Veröffentlicht am 1. November 2021 um 10:54
  • 5 Minuten Lesezeit
  • Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
Tausende Facebook-User haben seit Mitte Oktober den Ausschnitt eines ZDF-Beitrags aus dem Jahr 1989 gesehen. Darin wird von der Rekordfahrt eines Audi 100 berichtet, welcher eine Strecke von 4818 km mit einer einzigen Tankfüllung zurückgelegt haben soll. Das "umweltschonende" Auto sei aber nie in die Serienproduktion gegangen sein, heißt es in den Postings. Ein ehemaliges Mitglied des Audi Technik-Vorstands und der Autohersteller selbst widersprechen allerdings

Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer sahen den Beitrag zur Rekordfahrt des Audi auf Facebook (hier, hier). Auch auf Telegram erreichte das Video Tausende (hier).

Die Behauptung: Auf Facebook heißt es zu einem ZDF-Beitrag aus dem Jahr 1989 (dazu gleich mehr), der Audi sei mit einer Tankfüllung 4818 km weit gefahren. Dabei habe er einen Durchschnittsverbrauch von 1,76 Liter auf 100 km gehabt. Der Prototyp von damals sei aber nie in Serienproduktion gegangen, weil die Lobby der Erdöl- und Automobilindustrie dies bis heute verhindere. Auf Telegram wird in einem Beitrag geschlussfolgert: "Es war also niemals das Ziel, ein Auto zu bauen, welches das Klima schont. Es war immer nur das Ziel, uns abzuzocken."

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Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 21.10.2021

Der ZDF-Beitrag

Im auf Facebook geteilten ZDF-Beitrag wird erläutert, der Audi-Prototyp habe auf seiner Fahrt zahlreiche europäische Länder durchquert. Die dabei gemessenen Zahlen seien Weltrekord, "wenn es so etwas offiziell gäbe". Zu diesen Zahlen gehörten etwa auch die 1,76 Liter auf 100 km, die also auch im Beitrag des ZDF vorkommen.

Auf der Fahrt war laut ZDF ein Gutachter des TÜV anwesend. Weiter heißt es, das Auto mit dem "modernen Turbodiesel-Direkteinspritzer der zweiten Generation" werde im Jahr 1990 auf den Markt kommen. (Das ZDF erwähnt in dem Ausschnitt des Beitrags nicht, dass Audi Anpassungen am Fahrzeug und Strecke vorgenommen hat, um einen erfolgreichen Rekord zu schaffen, dazu gleich mehr.)

Ging der Prototyp wirklich nie in Produktion?

In dem ZDF-Beitrag ist ein Interview mit Jürgen Stockmar, damals Mitglied des Audi Technikvorstands, zu sehen. Darin bestätigt Stockmar, dass das Fahrzeug bald in Produktion gehen werde. Auf Anfrage erklärte Stockmar am 20. Oktober gegenüber AFP:

Der Audi 100 TDI mit der damals beschriebenen sparsamen Diesel-Direkteinspritztechnologie sei 1990 auf dem Markt erschienen. Auch auf der Webseite des Fahrzeugherstellers selbst heißt es:

"1989 feierte der erste Dieselmotor mit Turboaufladung, Direkteinspritzung und vollelektronischer Regelung in einem Audi 100 Premiere. Der 2,5-Liter-Fünfzylinder setzte mit 88 kW (120 PS) Leistung, 265 Nm Drehmoment und niedrigem Verbrauch neue Maßstäbe." Auf AFP-Anfrage bestätigte eine Audi-Sprecherin am 25. Oktober:

Er sei im Februar 1990 auf den Markt gekommen. Der Wagen aus dem Video entsprach der Sprecherin zufolge dabei nicht exakt dem Serienmodell, auch wenn der Wagen der Rekordfahrt auf dem 1990 erschienenen Audi basierte.

AFP versuchte zudem am 20. Oktober, den TÜV zu der Rekordfahrt zu befragen. Die Anfrage blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks ohne Ergebnis.

Der Wagen für die Rekordfahrt wurde angepasst

Zu der im ZDF-Beitrag besprochenen Fahrt erläutert Stockmar, das später erschienene Serienauto habe sich vom Testwagen für die Rekordfahrt in einigen Punkten unterschieden. Um die Rekordwerte zu erreichen, seien einige zusätzliche Arbeiten vorgenommen worden. Im Serienauto sei es schließlich darum gegangen, das Fahrzeug auf Komfort und Leistung auszulegen.

"Durch eine Reihe von Komfort-Umfängen war das Serienmodell deutlich schwerer, der Motor wurde leistungsstärker." Auch die breiteren Reifen und ein etwas höherer Fahrzeug-Stand hätten den Verbrauch erhöht. Der Audi aus dem ZDF-Beitrag zeigte sozusagen die Spitzenleistung einer angepassten Sonderversion.

Audi hatte 1989 mehrere Mitteilungen veröffentlicht, die die Umstände der Rekordfahrt aus dem ZDF-Beitrag erläutern. Sie liegen AFP vor.

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Ausschnitte der Audi-Pressemitteilungen aus dem Jahr 1989

In einem dieser Schreiben heißt es, ein serienmäßiger Audi 100 mit dem sparsamen 2,5 Liter Turbodiesel-Direkteinspritzer habe als Basis für den Rekordwagen gedient. Aber: "Für den einmaligen Sparrekord wurden zusätzlich noch einige Modifikationen an Fahrzeug und Motor durchgeführt."

Audi listet daraufhin mehrere Feinarbeiten auf, die Mechanikerinnen und Mechaniker des Unternehmens an Fahrzeug und Motor vorgenommen hatten. Demnach legten sie den Wagen tiefer, damit dieser leichter rolle. Sie verschlossen den Kühlergrill teilweise für die Fahrt in Europa, da dieser vor allem für extreme Temperaturen ausgelegt war. Zudem entfernten sie Dämmmaterialien, um das Gewicht des Wagens zu verringern.

Auch die Reifen pumpten sie anstatt der üblichen 2 bis 2,6 bar auf 4 bar auf, um einen möglichst günstigen Rollwiderstand zu erreichen. Die für das Bremsservo verwendete Hydraulikpumpe wurde zudem elektrisch angetrieben, um Motorleistung zu sparen.

Um den Verbrauch des Audi 100 zu optimieren, reduzierte Audi außerdem die Verdichtung und achtete beim Zusammenbau des Motors auf die Passgenauigkeit der verwendeten Motorlager. "Wie sonst bei Renn- und Tuning-Motoren üblich, wurden darüber hinaus einige Motorteile für leichten Lauf beziehungsweise ungehemmten Gasdurchsatz auf Hochglanz poliert", heißt es in der Pressemitteilung.

Leichte Verbrauchsvorteile seien auch durch eine Anpassung des sogenannten Spritzbeginns, also des Beginns der Verbrennung im Dieselmotor sowie durch kleinere Einspritzdüsen und die Verwendung von weniger zähflüssigem Öl erreicht worden.

Die Werte der Rekordfahrt ergaben sich demnach allein aus den vorgenommenen Modifikationen und hatten daher nichts mit den zu erwartenden Werten des in Serie produzierten Audi 100 TDI zu tun.

Bedeutung der Rekordfahrt

Laut des von Audi übermittelten Schreibens war es die Idee hinter der Rekordfahrt, "möglichst alle europäischen Länder mit einem hohen Anteil an Dieselautos zu durchqueren". Die Fahrt fand Mitte August 1989 bei günstigen Windverhältnissen statt.

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Die zurückgelegte Route des Audi auf der Rekordfahrt laut Pressemitteilung

Das Resultat laut Audi: "Mit den erzielten Verbrauchswerten stellte Audi zwei Rekorde für einen modifizierten, serienmäßigen PKW auf."

Demnach sei ein Sparrekord mit einem Verbrauch von 1,76 Litern pro 100 Kilometer erreicht worden. Dabei sei im Vergleich zu der Fahrt eines modifizierten Audi 80 im Jahr 1981 zudem eine deutlich höhere Durchschnittsgeschwindigkeit von 60,2 km/h erreicht worden.

Fazit: Audi hat seinen "100 C3 TDI" 1989 vorgestellt und von Ende 1989 bis August 1991 gebaut, wie eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber AFP bestätigte. Der Wagen der Rekordfahrt basierte auf dem in Serie produzierten Audi. Für den Sparrekord waren dabei Modifikationen an Motor und Fahrzeug vorgenommen.

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