Die Zertifikatspflicht in der Schweiz hat eine gültige Rechtsgrundlage und ist keine Empfehlung

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  • Veröffentlicht am 22. Oktober 2021 um 13:39
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
Hunderte Facebook-User haben das Foto einer Erklärung in einem Schweizer Restaurant geteilt, wonach die dortige Zertifikatspflicht keine gesetzliche Grundlage habe. Der 3G-Nachweis sei nur eine Empfehlung. Deswegen könne man in diesem Restaurant auch ohne Nachweis essen. Tatsächlich gibt es für die Zertifikatspflicht einen parlamentarischen Beschluss, der sich auf einen Artikel des Epidemiegesetzes von 2012 stützt. Diese Pflicht ist bindend und keine Empfehlung.

Mehr als 1200 Nutzerinnen und Nutzer haben die Erklärung des Restaurants seit dem 11. Oktober 2021 auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Das Schreiben erreichte mehr als 2700 User auf Telegram (hier).

Die Falschbehauptung: Auf einer abfotografierten Textnachricht heißt es unter anderem: "Solange kein Gesetz der (Zertifikats-)Pflicht zu Grunde liegt, sind es nur Empfehlungen." (Stand 10. September 2021). Polizei und Arbeitsinspektoren könnten demnach nicht beweisen, dass die Pflicht gültig sei.

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Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 21. 10. 2021

Seit Mitte September gilt in der Schweiz die Zertifikatspflicht auch in Restaurants. Gäste müssen demnach beim Besuch einen Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Genesung oder eines negativen Tests vorweisen. Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen haben die Zertifikatspflicht und ihre Umsetzung immer wieder kritisiert (hier, hier). Das aktuelle Posting verbreitet sich im Vorfeld einer am 28. November 2021 anstehenden Volksabstimmung, bei der die Schweizer über Änderungen des bestehenden Covid-19-Gesetzes abstimmen können. Dabei geht es vor allem um Härtefälle, Arbeitslosenversicherungen, familienergänzende Kinderbetreuung, Kulturschaffende und Veranstaltungen.

Wer steckt hinter der Erklärung?

Laut den Facebook-Postings lag die Erklärung auf den Tischen des Restaurants "Walliserkanne" in der Schweizer Gemeinde Zermatt. Auf der Homepage des Restaurants heißt es am 21. Oktober 2021 passend dazu: "Bei uns sind alle herzliche willkommen, auch ohne Zertifikat." Die Betreiber äußerten sich auch gegenüber der Boulevardzeitung "20 Minuten" und dem versvchwörungserzählerischen Portal "Kla.TV" ähnlich. Inhalte von Kla.TV hat AFP Faktencheck schon einmal hier geprüft.

Eine Mitarbeiterin des Restaurants bestätigte am 21. Oktober in einem Telefonat mit AFP, dass das Lokal weiterhin geöffnet sei und die Erklärungen dort seit Wochen auf den Tischen ausliegen.

Bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis läuft deshalb aktuell eine Strafuntersuchung gegen die Restaurant-Betreibenden wegen möglicher Covid-19-Verstöße, wie Sprecher Nicolas Dubuis in einer E-Mail vom 21. Oktober 2021 an AFP bestätigte.

Rechtliche Grundlage: Verfassung, Epidemiegesetz, Verordnung

AFP hat beim Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) nach der bestehenden Rechtsgrundlage gefragt. Sprecher Jonas Montani schrieb am 20. Oktober in einer E-Mail an AFP: "Es ist eine Pflicht, keine Empfehlung." Die Grundlage für die "Zertifikatspflicht in Restaurationsbetrieben" sei die Covid-19-Verordnung. Eine Chronologie der geänderten Fassungen dieser Verordnung ist in der Schweizer Publikationsplattform des Bundesrechts (Fedlex) zu finden.

Schon in der ersten Fassung der Verordnung heißt es, diese finde ihre Rechtsgrundlage im Epidemiengesetz von 2012. Darin ist in Artikel 6 festgeschrieben, dass der Bundesrat Maßnahmen gegen Einzelne und in der Bevölkerung anordnen kann, um übertragbare Krankheiten zu bekämpfen.

Das Epidemiegesetz ist wiederum auf die 1999 in einer Volksabstimmung beschlossenen Bundesverfassung der Schweiz gestützt. Dort steht im Artikel 118 über den "Schutz der Gesundheit", dass der Bund Vorschriften über "die Bekämpfung übertragbarer, stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren" erlassen darf.

Was sagt die Verordnung konkret?

Die Covid-19-Verordnung hat der Bundesrat am 23. Juni 2021 beschlossen. Drei Tage später trat sie in Kraft. Bereits in der ersten Fassung wurde laut Artikel 12 den Wirten die Möglichkeit offen gehalten, Personen ab 16 Jahren den Zugang mit einem Zertifikat zu beschränken. Sie konnten laut BAG-Sprecher Montani damals noch zwischen verschiedenen Maßnahmen auswählen: Sitzpflicht, Abstand, Gästegruppen, Kontaktdaten und Weiteres oder die Zertifikatsbeschränkung.

Seit der am 8. September neu beschlossenen und aktuell gültigen Fassung ist das Zertifikat dann tatsächlich für alle Gastwirte Pflicht. Nun heißt es: "Betriebe müssen bei Personen ab 16 Jahren den Zugang zu Innenbereichen auf Personen mit einem Zertifikat beschränken." Die Fassung trat am 13. September 2021 in Kraft.

Kontrolle durch Behörden

Gastwirte müssen die Zertifikatspflicht demnach korrekt umzusetzen. Das kontrollieren die Behörden. Laut Artikel 24 der Covid-19-Verordnung "müssen Betreiber und Organisatoren ihr Schutzkonzept den zuständigen kantonalen Behörden auf deren Verlangen vorweisen" und ihnen auch Zutritt gewähren. Verstöße können zu einer Mahnung, aber auch zur Schließung des Restaurants führen.

Anders als in dem Facebook-Post behauptet, darf die Polizei laut BAG-Sprecher Montani Gäste auffordern, das Zertifikat und einen Ausweis vorzuweisen. Die für die Kontrolle der Maßnahmen zuständigen Behörden würden zwar erst bei "einem Verdacht darauf, dass das Konzept nicht korrekt umgesetzt wird und Personen ohne gültiges Zertifikat anwesend sind", die Polizei hinzuziehen. Diese könne dann aber im Rahmen der Strafverfolgung Gäste auffordern, das Zertifikat vorzuweisen. Das gültige Zertifikat müsse dann mit einem gültigen Ausweis bestätigt werden.

Sprecher Montani erklärte dazu: "Dabei muss es sich nicht um eine ID handeln, ein Führerausweis, eine Aufenthaltsbewilligung, allenfalls auch ein Studierendenausweis genügt." Aber: "Wird nicht Folge geleistet, so ist als Rechtsfolge eine Ordnungsbuße vorgesehen." Diese Buße ist in Artikel 28 der Covid-Verordnung rechtlich festgehalten und in der Ordnungsbußenverordnung (Ziffer 16005) mit hundert Franken (etwa 94 Euro) bemessen.

Fazit: Die in dem Schweizer Restaurant ausliegende Erklärung, welche sich auf den Stand vom 10. September beruft, ist falsch. Die Zertifikatspflicht hat von Anfang an eine rechtliche Grundlage. Mit der Neufassung der Covid-Verordnung vom 8. September wurde die zuerst nur optionale Zertifikatspflicht für alle Restaurants verbindlich. Sie ist seit dem 13. September in Kraft – auch wenn Posts auf Facebook dem weiterhin widersprechen. Auch ist die Polizei dazu befugt, die Zertifikate und Ausweise zu kontrollieren.

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