In dieser Predigt fallen irreführende und falsche Behauptungen zum Impfstatus

Hunderte User haben seit Ende September den Ausschnitt einer Predigt des Pastors Jakob Tscharntke auf Facebook geteilt. Darin behauptet dieser, Geimpfte würden beim Auftreten von Krankheitssymptomen per Gesetz ihren Impfstatus verlieren. Auch werde bei Nebenwirkungen, die innerhalb von 14 Tage nach der zweiten Impfung auftreten, nicht von Impfnebenwirkungen gesprochen, weil Betroffene noch nicht als vollständig geimpft gelten.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben den Ausschnitt der Predigt auf Facebook gesehen (hier, hier). Auf Telegram sahen Hunderttausende eine ähnlich Behauptung zur gesetzlichen Auslegung des Impfstatus mit Verweis auf Tscharntke (hier, hier, hier).

Die Falschbehauptung: Tscharntke behauptet in einer Predigt vom 26. September ab Minute 39, Geimpfte die zudem Symptome einer Corona-Erkrankung entwickeln, würden per gesetzlicher Definition nicht mehr als geimpft gelten. Auf Telegram wird zudem ein entsprechender Auszug der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung geteilt, der die Behauptungen stützen soll. Tscharntke erklärt weiter, auftretende Nebenwirkungen, die binnen 14 Tagen nach der zweiten Impfung gemeldet werden, würden per Definition als nicht geimpft gezählt, da der Impfschutz zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig aufgebaut ist. Darüber hinaus sei die "Pandemie der Ungeimpften" eine Lüge. Die "Spritze" selbst könne lebensgefährlich sein.

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Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 13.10.2021

Schon 2015 berichtete unter anderem der Deutschlandfunk über Jakob Tscharntke, weil dieser hetzerische Reden gegen Geflüchtete gehalten haben soll. Auch seit Beginn der Corona-Pandemie sorgte der Freikirchen-Pastor aus Riedlingen mit seinen Äußerungen für mediale Aufmerksamkeit. Auf der Webseite des Pastors finden sich Blogeinträge wie "Der wiederkommende Herr und der Corona-Weltkrieg" oder "Die Degradierung des Menschen zum Impfling und Risikofaktor".

Nebenwirkungen von Impfungen werden erfasst

Wer kurz nach seiner Impfung Nebenwirkungen oder vermeintliche "toxische Schocks" erleide, wird laut Tscharntke dennoch als "nicht geimpft" gezählt. Grund dafür soll die 14-tägige Zeitspanne sein, die benötigt wird, bis nach einer Zweitimpfung der volle Impfschutz aufgebaut ist. Eine ähnliche Behauptung widerlegte AFP bereits im Rahmen dieses Faktenchecks.

Das Robert-Koch-Institut erläutert zum Impfstatus auf seiner Webseite, dass Geimpfte tatsächlich dann als "geschützt" gelten, wenn "nach Gabe der letzten Impfstoffdosis mindestens 14 Tage vergangen sind."

AFP befragte zur Erfassung möglicher Impfnebenwirkungen das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), welches für die Beobachtung der in Deutschland verwendeten Corona-Impfstoffe zuständig ist. Eine Sprecherin des PEI erklärte dazu am 22. September:

Das Paul-Ehrlich-Institut veröffentlicht regelmäßige Sicherheitsberichte, in denen auch auf mögliche Impfkomplikationen eingegangen wird. Darin wird auch die Methodik der Erfassung erläutert. Dass die Meldung von Impfkomplikationen daran geknüpft wäre, dass Patienten bereits als vollständig geschützt gelten, geht auch daraus nicht hervor.

Der aktuelle Sicherheitsbericht des PEI vom 20. September zeigt solche gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Dort sind auch Fälle gelistet, die bereits kurz nach der Impfung auftraten. So erhielt das Institut auch Meldungen zu wenigen Patientinnen und Patienten, welche innerhalb einer Woche nach einer Astrazeneca-Impfung eine Thrombose entwickelten oder bei welchen in seltenen Fällen wenige Tage nach einer mRNA-Impfung eine Herzmuskelentzündung auftrat.

Geimpfte Infizierte werden nicht per Gesetz zu Ungeimpften

Tscharntke verweist in seiner Predigt auf §2 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung. In der darin enthaltenen Begriffsbestimmung heißt es, eine geimpfte Person sei "eine asymptomatische Person, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Impfnachweises ist". Dies sei der Grund, weshalb geimpfte Menschen mit Symptomen nicht als geimpft gezählt würden.

AFP hat am 13. Oktober die deutsche Krankenhausgesellschaft um eine Einordnung der Behauptung gebeten. Ein DKG-Sprecher antwortete in einer E-Mail: "Die Schlussfolgerung ist Unsinn und Falsch." Die Verordnung habe den Zweck, Erleichterungen und Ausnahmen von Geboten und Verboten zu regeln, die sich etwa aus den Vorschriften im Infektionsschutzgesetz ergeben. Betroffen davon seien Personen, von denen auszugehen ist, dass sie nicht infiziert sind: Getestete, Geimpfte und Genesene. Die Verordnung müsse also definieren, wer in ihrem Sinn "Geimpfter" ist. Der DKG-Sprecher erklärte:

Um eine weitere unabhängige Einordnung zu erhalten, wandte sich AFP am 13. Oktober auch an die "Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen" (GRPG). Diese versteht sich als neutrale Plattform zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit gesundheitspolitischen Fragen. In einer Antwort schrieb Stefan Huster, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches-, Sozial- und Gesundheitsrecht an der Uni Bochum: "Juristisch ist da nichts dran, weil hier verschiedene Regelungsbereiche und -ebenen miteinander vermischt werden."

Er bestätigte die Einschätzungen der DKG und fügte hinzu:

Zahlen aus Israel belegen keine Mehrheit an Geimpften unter schweren Covid-19-Fällen

Laut Tscharntke handelt es sich bei der sogenannten "Pandemie der Ungeimpften" um eine Lüge. Vor allem doppelt Geimpfte würden auf den Intensivstationen liegen. In Israel seien 95 Prozent der Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen doppelt geimpft.

Das Infektionsgeschehen in Deutschland lässt sich anhand der Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts nachvollziehen, welches Daten der zuständigen Gesundheitsämter bezieht. So lassen sich im Wochenbericht vom 7. Oktober auch die Zahl der Impfdurchbrüche, also symptomatische Infektionen bei vollständig Geimpften, herauslesen.

Seit dem 1. Februar 2021 hat es demnach unter den symptomatischen Covid-19-Fällen bundesweit "67.661 wahrscheinliche Impfdurchbrüche" gegeben. Mit Stand vom 13. Oktober wurden dagegen in Deutschland seit Beginn der Pandemie mehr als 4,3 Millionen Infektionen mit dem Coronavirus nachgewiesen, wie Bundesregierung und RKI angeben.

Zudem heißt es im Wochenbericht des RKI zur Bestimmung der Impfeffektivität explizit: "Der bei weitem größte Teil der seit der 5. KW (ab. 01.02.2021) übermittelten COVID-19-Fälle war nicht geimpft."

Zum Anteil der auf einer Intensivstation behandelten wahrscheinlichen Impfdurchbrüche errechnet das RKI seit Februar 2021 einen Wert von 0 Prozent bei den 12-17-jährigen. Im Zeitraum vom 13.09. bis zum 03.10. lag der Anteil bei den 18-59-jährigen bei 7,7 Prozent. Bei Patienten im Alter von 60 Jahren und älter bei 24,1 Prozent.

Das Robert-Koch-Institut schreibt: "Unter den insgesamt 722 Covid-19-Fällen mit Impfdurchbrüchen, die verstorben sind, waren 543 (75 %) 80 Jahre und älter. Das spiegelt das generell höhere Sterberisiko − unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe − für diese Altersgruppe wider."

Auch zu den angeblich zu 95 Prozent durch Geimpfte belegten Intensivstationen in Israel veröffentlichte AFP bereits einen Faktencheck. Demnach handelt es sich bei dem Ursprung der Behauptung um ein Interview des israelischen Arztes Kobi Haviv, welcher inkorrekt zitiert wurde.

In dem am 5. August ausgestrahlten Interview befürwortet der Arzt die Impfungen gegen Covid-19. In seinem Krankenhaus sei ein Anstieg der Covid-19-Fälle auf eine abnehmende Wirkung der Impfstoffe zurückzuführen. Deshalb empfehle er eine dritte Impfdosis.

Dass generell 95 Prozent der schweren Covid-19-Fälle geimpft seien, sagt Haviv jedoch nicht. Stattdessen erklärt er in Bezug auf sein eigenes Krankenhaus: "Die meisten älteren Menschen sind geimpft, der größte Teil der Bevölkerung ist geimpft, und deshalb sind etwa 90 Prozent, 85-90 Prozent der Patienten, die hier ins Krankenhaus eingeliefert werden, Patienten, die vollständig geimpft wurden."

Die meisten Patienten mit schweren Covid-19-Erkrankungen in Israel sind allerdings nach wie vor nicht geimpft. Mehrere Medien berichteten erst Anfang Oktober, dass mehr als 70 Prozent der schwer erkrankten Covid-19-Patienten in Israel nicht geimpft seien (hier, hier). Das AFP-Büro in Jerusalem kontaktierte zur Überprüfung der Daten am 14. Oktober das israelische Gesundheitsministerium. Dieses bestätigte, dass mit Stand vom 28. September 660 schwere Covid-Fälle in Israel zu verzeichnen sind. 470 dieser Patientinnen und Patienten seien nicht geimpft. Die restlichen Fälle hätten zwischen einer und drei Impfungen erhalten.

Die Corona-Impfung ist nicht hochgefährlich

Tscharntke erläutert in seiner Rede zudem, die "Spritze" könne hochgefährlich oder sogar lebensgefährlich sein.

Tatsächlich ist im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts auch von schwereren Verdachtsfällen auf Impfnebenwirkungen die Rede. Dazu gehören unter anderem seltene Herzmuskelentzündungen und anaphylaktische Reaktionen, sowie das sogenannte "Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom", welche in "einigen wenigen Fällen" auch tödlich verliefen.

Bis zum 31.08.2021 wurden dem PEI insgesamt 156.360 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen nach COVID-19-Impfungen gemeldet. Dazu gehören vor allem auch Meldungen über Reaktionen an der Einstichstelle, vorübergehendes Fieber und Schüttelfrost. Dem gegenüber stehen etwa 54 Millionen Menschen, die bis zum 12. Oktober in Deutschland vollständig geimpft wurden.

Das PEI gibt zur Aufteilung der eingegangen Meldungen an:

Tatsächlich gibt es zudem zu allen vier in Deutschland verwendeten Impfstoffen abgeschlossene klinische Studien. Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags fasste den Forschungsstand bereits am 4. März 2021 hier ausführlich zusammen. Auch der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) fasste den Stand der Impfstoffentwicklung am 12. Oktober zusammen.

Das PEI erläutert außerdem zur Impfstoffentwicklung: "Vom Zulassungsinhaber wird verlangt, dass er bestimmte Verpflichtungen (laufende oder neue Studien und in einigen Fällen zusätzliche Aktivitäten) in der vorgegebenen Zeit erfüllt, um umfassende Daten vorlegen zu können, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz weiterhin positiv ist." Einzelne Phasen der üblichen Impfstoffentwicklung dürften dabei nicht ausgelassen werden.

Die schnelle Zulassung der Impfstoffe war durch ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren ermöglicht worden, wobei die zu prüfenden Impfstoffe viele sonst nacheinander stattfindende Phasen gleichzeitig durchlaufen. Die Daten müssten dabei trotzdem eine "ausreichende Evidenz liefern" und "belastbar" sein, heißt es auf der Seite des PEI. Die Zeit werde zwar verkürzt, das Sicherheitsniveau bleibe aber genauso hoch wie bei einer üblichen Zulassung.

Bevor ein Zulassungsantrag gestellt werden kann, müssten die Impfstoffe zudem präklinische und klinische Studien durchlaufen, in denen ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei Tieren und später auch ihre Verträglichkeit bei Menschen geprüft wird.

Vor der Veröffentlichung kontaktierte AFP Jakob Tscharntke mit der Bitte um eine Stellungnahme in Bezug auf die Faktenlage zu seinen Behauptungen. In einer E-Mail antwortete er am 15. Oktober lediglich: "Checken Sie ruhig so lange, bis Sie was checken."

Fazit: Der Auszug der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung soll regeln, wer Erleichterungen der Vorschriften aus dem Infektionsschutzgesetz nutzen kann. Symptomatische Geimpfte können diese Erleichterungen nicht wie Ungeimpfte nutzen. Sie werden aber trotzdem erfasst. Das zeigt sich in den Daten des RKI. Die Mehrheit der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle ist demnach nicht geimpft. Auch in Israel geht die Mehrheit der schweren Covid-19-Erkrankungen nicht auf Geimpfte zurück. Die Sicherheit der Corona-Impfstoffe ist durch Studien und eine laufende Überwachung gewährleistet.

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