Alle Vulkane der Welt zusammen verursachen aktuell nur einen Bruchteil der CO2-Emissionen, die Deutschland künftig einsparen möchte
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- Veröffentlicht am 27. September 2021 um 14:27
- Aktualisiert am 30. September 2021 um 13:03
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Vulkan-Behauptung seit dem 20. September auf Facebook geteilt (hier, hier, hier).
Die Falschbehauptung: In den geteilten Postings hieß es: "Der Vulcan in La Palma hat in den letzten Tagen so viel böses CO2 ausgestoßen wie Deutschland in den nächsten 100 Jahren einsparen will und das ist nur einer von vielen Vulkanausbrüchen am Tag." Dazu zeigen User das Bild eines Vulkanausbruchs.
Erstmals seit 50 Jahren ist am 19. September auf der spanischen Kanareninsel La Palma der Vulkan "Cumbre Vieja" ausgebrochen. Der Vulkan spuckte Lava-Fontänen und Asche aus, über ihm war eine riesige Rauchsäule zu sehen.
Der Ausbruch hat verheerende Schäden in der Region angerichtet. Außerdem stößt der Vulkan Medienberichten zufolge täglich 8000 bis 10.500 Tonnen Schwefeldioxid aus.
Aber stößt der Vulkan in La Palma aktuell riesige Mengen CO2 aus?
Vulkane stoßen tatsächlich Kohlendioxid aus und das schon immer, bestätigten Experten gegenüber AFP. Wie viel Kohlendioxid der Vulkan auf La Palma gerade ausstößt, ist aber unbekannt.
Laut dem Vulkanologen Prof. Dr. Matthias Hort von der Universität Hamburg sei es grundsätzlich schwierig, genaue CO2-Messungen in der Atmosphäre an Vulkanen durchzuführen. In einer E-Mail an AFP am 22. September schrieb Hort: "In der Atmosphäre ist ja schon CO2 vorhanden. Andere Gase wie Schwefeldioxid lassen sich einfach messen, da es praktisch keines in der Atmosphäre gibt." Er ergänzt mit Blick auf den aktuell ausbrechenden Vulkan: "Ich wüsste nicht, wie man so schnell eine solche Kohlendioxid-Messung auf La Palma durchgeführt haben könnte."
Grundsätzlich sind solche Messungen aber möglich. CO2-Messungen des vulkanologischen Instituts der Kanarischen Inseln (Involcan) im Jahr 2017 ergaben, dass der damals ruhige und nun ausbrechende Vulkan Cumbre Vieja täglich etwa 800 Tonnen CO2 ausstieß. Das ist im Vergleich mit anderen Vulkanen in der Region etwas weniger und lag nach den Involcan-Informationen damals im normalen Bereich.
Der wohl CO2 intensivste Vulkanausbruch der jüngeren Geschichte war laut dem Vulkanologen Dr. Boris Behncke vom italienischen Institut für Vulkanologie Catania das Lake Nyos-Desaster in Kamerun von 1986. Der Forscher schrieb in einer E-Mail an AFP am 24. September: "Es war nicht mal ein richtiger Vulkanausbruch, sondern eine plötzliche CO2-Freisetzung aus einem übersättigten Kratersee. Aber es hat die größten bekannten Mengen an CO2 freigesetzt. Schätzungsweise 100.000 bis 300.000 Tonnen – eine Schätzung gibt sogar 1,6 Millionen Tonnen an."
Weltweiter CO2-Ausstoß von Vulkanen und Menschen im Vergleich
Aus Sicht des Vulkanologen Behncke sind die aktuellen Eruptionen für Vulkane nichts Besonderes: "Die Vulkantätigkeit auf der Erde ist derzeit vollkommen normal. Es sind zu jedem Zeitpunkt 20-40 Vulkane aktiv und die gegenwärtigen Eruptionen in Island, auf La Palma und in Italien (Ätna) sind keineswegs außergewöhnlich groß. Sie stoßen nicht mehr Gas aus als andere Eruptionen in anderen Zeiten."
Terry Gerlach vom Cascades Volcano Observatory (Emeritus) in den USA schätzt in einem Artikel im geowissenschaftlichen Fachmagazin "Eos, Transactions, American Geophysical Union", dass alle Vulkane der Welt jährlich etwa 130 bis 440 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Das passiert demnach sowohl bei aktiven Ausbrüchen als auch durch passives "Ausgasen" über das ganze Jahr verteilt, etwa durch umliegende Gewässer und Gesteine. Eine ähnliche Schätzung von 2019 auf "EurkAlert", einer Plattform für Wissenschaftsnachrichten, geht davon aus, dass Vulkane jährlich etwa 280 bis 360 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre und die Ozeane gleichermaßen ausstoßen und "ausgasen".
Das Umweltbundesamt (UBA), die Faktencheckorganisation "Klimafakten.de", EurkAlert und von AFP kontaktierte Experten sind sich dabei einig: Es gibt weit weniger vulkanische Kohlendioxide in der Atmosphäre als menschengemachte. So schreibt EurkAlert etwa: "Die jährlichen CO2-Emissionen der Menschheit, etwa durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Wälder, sind 40 bis 100-Mal höher als alle vulkanischen Emissionen."
Laut UBA hat Deutschland allein im Jahr 2020 geschätzt 739 Millionen Tonnen Kohlendioxid produziert. Also doppelt etwa doppelt so viel wie alle Vulkane.
Wie viel CO2 will Deutschland in den nächsten 100 Jahren einsparen?
Wer viel CO2 produziert, kann auch viel einsparen. So hat sich Deutschland mit dem Generationenvertrag für das Klima zumindest bis 2045 das Ziel gesetzt, klimaneutral zu sein, also kein Kohlendioxid mehr in die Umwelt einzubringen. Das soll schrittweise passieren: Bis 2030 sollen im Vergleich zum Richtwert von 1990 65 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden, bis 2040 dann 88 Prozent.
Tatsächlich sinken seit 1990 die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland. 2020 hat die Bundesrepublik eine jährliche CO2-Produktion von 739 Millionen Tonnen. 1990 waren es noch 1249 Millionen Tonnen. In dreißig Jahren wurden somit zusammengerechnet etwa 6834 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart.
Auf AFP-Anfrage zur Vulkan-Behauptung schrieb UBA-Sprecherin Katja Purr am 22. September in einer E-Mail:
Wie genau die Kurve bis 2045 tatsächlich verlaufen wird, könne Purr nicht sagen. Sie sei von vielen Faktoren wie der Politik, der Technik und anderem beeinflusst. Belastbare Zahlen zur tatsächlichen Einsparung von CO2 gebe es deshalb weder für die zukünftigen 24 Jahre noch für die nächsten 100 Jahre.
Größere Einsparungen schon heute Realität
Klar ist: Deutschland spart schon jetzt mehr CO2 ein, als alle Vulkane der Welt im Jahr ausstoßen und will in Zukunft noch klimafreundlicher werden. Deutschland hat wie oben beschrieben allein im Jahr 2020 insgesamt 510 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid produziert als im Jahr 1990. Auf der ganzen Welt – und da sind vergleichbare Ausbrüche wie der in La Palma einbezogen – stoßen nur 130 bis 440 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Boris Behncke erklärte auf AFP-Nachfrage: "Selbst die größten Vulkaneruptionen der letzten Jahrhunderte haben relativ geringe Mengen CO2 produziert. Mir ist kein Vulkanausbruch bekannt, bei dem solche Mengen CO2 (510 Millionen Tonnen) auf einmal freigesetzt worden wären."
Fazit: Die Behauptung, dass der aktuelle Vulkanausbruch in La Palma in wenigen Tagen mehr Kohlendioxid freisetze, als Deutschland in den nächsten 100 Jahren einsparen wolle, ist falsch. Vulkanologen und Behörden erklärten, dass der CO2-Ausstoß durch Vulkane nur ein sehr kleiner Bruchteil von dem ist, was Menschen produzieren. Deutschland hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass es in nur einem Jahr den weltweiten CO2-Ausstoß aller Vulkane der Welt einsparen kann. Erreicht Deutschland die gesetzten Klimaziele bis 2045, kann es auch dann den Ausstoß aller Vulkane Jahr für Jahr einsparen.
30. September 2021 Fehlendes Wort "Millionen" ergänzt.