Dieses Wahlsiegel stammt von einer früheren Wahl und ist gesetzlich nicht vorgeschrieben

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  • Veröffentlicht am 27. September 2021 um 14:54
  • Aktualisiert am 1. Oktober 2021 um 12:58
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben am Wahlsonntag zwei Fotos auf Facebook geteilt, auf denen eine Wahlurne mit einem aufgegebrochenen Siegel zu sehen ist. Diese stamme aus dem Wahlkreis Börninghausen in Preußisch Oldendorf in Nordrhein-Westfalen und beweise Wahlbetrug, heißt es in den Postings. Das Siegel auf der Wahlurne stammt allerdings nicht von der aktuellen Wahl. Außerdem sind solche Siegel vom Bundeswahlleiter überhaupt nicht vorgeschrieben.

Hunderte Facebook-User haben den angeblichen Siegelbruch seit dem Wahlsonntag geteilt (hier, hier, hier). Auf Telegram erreichte die Behauptung mehr als 150.000 Telegram-Nutzerinnen und Nutzer (hier, hier).

Die Falschbehauptung: Die Postings zeigen zwei Bilder. Auf dem ersten ist zu sehen, wie jemand einen Zettel in eine Wahlurne steckt. Sie ist mit einem Vorhängeschloss gesichert und offenbar auch mit einem Siegel verschlossen. Auf dem zweiten Bild ist dann zu sehen, dass das Siegel aufgebrochen ist. Dazu heißt es: "Geht schon los mit Wahlbetrug. Gebrochenes Siegel. Preußisch Oldendorf. Ortsteil Börninghausen. Wahllokal 140."

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Schon im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September 2021 hatte es Vorwürfe vermeintlicher Wahlmanipulation gegeben. So wurde etwa die Briefwahl fälschlich als leicht zu manipulieren dargestellt (hier, hier). Auch während der Stimmabgabe des Kanzlerkandidaten Armin Laschet kam es zu Ungenauigkeiten, die wiederum zu Falschbehauptungen führten. AFP hat diese hier geprüft. Dabei stand vor allem ein offenes Vorhängeschloss an der Wahlurne im Fokus, das vermeintlich gegen die Gesetze zur Wahl verstoßen würden. Die aktuelle Siegel-Behauptung reiht sich in diese Erzählung ein.

Was ist in Börninghausen in Nordrhein-Westfalen passiert?

Eine Bildsuche nach den Fotos der Wahlurne ergab, dass die verbreiteten Bilder tatsächlich vom Tag der Bundestagswahl 2021 zu stammen scheinen. AFP konnte jedenfalls keine älteren identischen Bilder finden.

Der Bürgermeister der Stadt Preußisch Oldendorf, Marko Steiner, erklärte in einem Telefonat mit AFP am 27. September: "Die Urne stand gestern in Börninghausen. Ein Wähler hat sich bei uns gemeldet, weswegen wir überhaupt erst darauf aufmerksam wurden."

Bei der Wahlurne mit dem aufgebrochenen Siegel handele es sich allerdings um einen "Lieferfehler". "Wir haben die Urne mit einem alten Siegel darauf bekommen. Das Siegel wurde damals bei einer anderen Wahl ordnungsgemäß geöffnet. Das hätte abgekratzt werden müssen, wurde aber vergessen", erzählte Steiner. Um welche Wahl es sich damals handelte, sei nicht bekannt.

Das Siegel sei aber sowieso kein Problem für die Wahl: "Siegel sind nicht vorgeschrieben und wir versiegeln seit Jahren nicht mehr. Wenn der Wahlvorstand bestätigt, dass die Wahlurne nicht geöffnet wurde, reicht das. Es beobachten immer drei Personen die Wahlurne, damit es zu keiner Manipulation kommen kann", erklärte der Bürgermeister Zusätzlich sei die Wahlurne zum Beginn der Wahl mit einem Schloss verriegelt worden, dass erst nach 18 Uhr wieder geöffnet worden sei.

Sind Siegel für Wahlurnen Pflicht?

Im Bundeswahlgesetz heißt es in Paragraph 33: "Für die Aufnahme der Stimmzettel sind Wahlurnen zu verwenden, die die Wahrung des Wahlgeheimnisses sicherstellen."

In Paragraph 51 Absatz 2 heißt es dann: "Die Wahlurne muss mit einem Deckel versehen sein. Ihre innere Höhe soll in der Regel 90 cm, der Abstand jeder Wand von der gegenüberliegenden mindestens 35 cm betragen. Im Deckel muss die Wahlurne einen Spalt haben, der nicht weiter als 2 cm sein darf. Sie muss verschließbar sein."

In Paragraph 53 heißt es: "Der Wahlvorstand überzeugt sich vor Beginn der Stimmabgabe davon, dass die Wahlurne leer ist. Der Wahlvorsteher verschließt die Wahlurne. Sie darf bis zum Schluss der Wahlhandlung nicht mehr geöffnet werden."

Eine Sprecherin des Bundeswahlleiters erklärte auf AFP-Anfrage am 27. September am Telefon:

Weiter erklärte sie: "Der Wahlvorsteher beaufsichtigt die Urne mit seinen Wahlhelfenden durchgängig, deswegen ist keine Wahlmanipulation möglich." Eine Wahlurne muss also weder mit einem Schloss verriegelt noch mit einem Siegel gesichert sein.

Ähnliche Aussagen veröffentlichte der Bundeswahlleiter auch auf einer Internetseite zu Desinformationen zur Bundestagswahl.

Auf der Facebookseite von AFP-Faktencheck hat ein Leser außerdem auf ein Formular in der Bundeswahlordnung hingewiesen, das die Vorbereitung der Wahlurne dokumentiert. Dort lassen sich die Punkte “versiegelt” und “verschlossen; der Wahlvorsteher nahm den Schlüssel in Verwahrung” ankreuzen. AFP hat daraufhin noch einmal beim Bundeswahlleiter zu dieser Regelung nachgefragt.

Am 1. Oktober bestätigte eine Sprecherin in einem Telefonat: Siegel und Schlösser seien nicht vorgeschrieben. „Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es immer wieder neue Materialien und Techniken zum Verschließen gibt. Diese könnten in den wahlrechtlichen Vorschriften nicht vollumfänglich abgebildet werden“, schrieb sie auch in einer E-Mail an AFP..

Das könne dazu führen, dass die beiden Kästchen zur Versiegelung und zum Schlüsselschloss in dem Formular frei bleiben könnten. Sie seien nur eine Ergänzung. „Es gibt auch Verschlussvorrichtungen ohne Schlüssel und Siegel – zum Beispiel eine Verplombung. Dabei muss die Wahlurne wie ein Sparschwein nach der Wahl aufgebrochen werden“, sagte eine Sprecherin des Bundeswahlleiters. Solch ein Verschluss müsse anderweitig vermerkt werden. Das Formular sei dafür nur ein Muster, das in den einzelnen Regionen angepasst oder auch selbst geschrieben werden könne. Der Deckel und das Gehäuse müssten aber gemeinsam verschlossen werden und dürfen nicht vor Ende der Wahl geöffnet werden.

Fazit: Die auf Facebook kursierenden Fotos einer Wahlurne mit aufgebrochenem Siegel belegen keinen Wahlbetrug in Börninghausen in der Stadt Preußisch Oldendorf in Nordrhein-Westfalen. Bei dem Siegel handelt es sich um ein Versehen. Es wurde bei einer früheren Wahl eingesetzt, ist aber nicht wieder abgekratzt worden. Bei der Bundestagswahl seien in Preußisch Oldendorf keine Siegel eingesetzt worden, weil diese auch keine Pflicht sind. Die Wahlurne wurde den Angaben der Stadt zufolge vom dreiköpfigen Wahlvorstand beobachtet und mit einem Schloss zusätzlich gesichert.

1. Oktober 2021 Nachfrage beim Bundeswahlleiter zu Formular aus der Bundeswahlordnung hinzugefügt.

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