Video mit Merz' Äußerung über Rentner ist gefälscht
- Veröffentlicht am 21. November 2025 um 16:55
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
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Die deutsche Bundesregierung ringt im November 2025 um die Finanzierung der Rente. Vor diesem Hintergrund kursierten online Aufnahmen von Bundeskanzler Friedrich Merz, in denen er zu sagen scheint, dass die Rentnerinnen und Rentner das Land verlassen sollten. Die Aufnahmen zeigen jedoch Reden des Bundeskanzlers zu anderen Themen und Analysetools ergaben, dass die Tonspur mit Künstlicher Intelligenz generiert wurde. Eine Regierungssprecherin erklärte, dass Merz diese Aussage nicht getätigt habe.
"Die Rentner sollten aus diesem Land verschwinden", sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angeblich in einer Aufnahme, die am 17. November 2025 auf Instagram gepostet wurde. Während dieses Satzes ist Merz am Rednerpult des Deutschen Bundestags zu sehen.
Anschließend wechseln sich Symbolbilder von älteren Menschen ab. Einige der Bilder sehen aus, als seien sie mit Künstlicher Intelligenz (KI) generiert worden. Währenddessen sagt eine Stimme bei alarmistischer Hintergrundmusik, dass Rentnerinnen und Rentner eine "nutzlose Belastung" für Merz seien, die die Wirtschaft bremsen würden. "Heute richtet sich der Angriff gegen die Rentner, morgen vielleicht schon gegen dich", sagt die Stimme gegen Ende des circa 1:20 Minute langen Videos.
Das Video kursiert neben Instagram auf Facebook und Tiktok. Ein Beitrag auf Tiktok wurde sogar eine Million Mal angesehen.
Der Satz, Rentnerinnen und Rentner sollten aus Deutschland verschwinden, wird Bundeskanzler Merz jedoch in den Mund gelegt.
"Die Bundesregierung hat das Video und seinen Inhalt zur Kenntnis genommen", erklärte eine Regierungssprecherin auf AFP-Anfrage am 18. November 2025. "Die darin aufgestellten Behauptungen sind absurd und entbehren jeder Grundlage." Die Sprecherin bezeichnete das Video als "Desinformation", die darauf abziele, "die Zuschauer auf Grundlage falscher Tatsachenbehauptungen zu verwirren oder zu verunsichern".
Video kursiert in unterschiedlichen Versionen
Eine Überprüfung von AFP kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die Aussage gefälscht ist. Ein erster Hinweis darauf ist die Tatsache, dass das Video in mindestens zwei Versionen auf sozialen Medien verbreitet wird, der Wortlaut jedoch identisch ist. Der angebliche Satz von Merz fällt jeweils von Sekunde zwei bis vier des Videos. In einer Version ist währenddessen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hinter Merz zu sehen, in der anderen Version sitzt dort die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas (SPD). In der vergangenen Legislaturperiode war sie Bundestagspräsidentin, weshalb sie in der Aufnahme auf dem Präsidiumsplatz des Plenarsaals zu sehen ist.
Mithilfe von umgekehrten Bildsuchen fand AFP die Reden, aus denen die Ausschnitte stammen. Das Video mit Klöckner im Hintergrund zeigt die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Merz im Deutschen Bundestag am 14. Mai 2025. Merz' Anzug und Krawatte sowie Klöckners Kostüm und Ohrringe stimmen in den Aufnahmen überein.
Weder in der geschriebenen Rede von Merz, noch im Transkript der Aufzeichnung (hier archiviert) findet sich der Satz aus dem online geteilten Video. Zwar spricht Merz an einer Stelle über Rentner, allerdings im Zusammenhang mit bezahlbarem Wohnraum.
Im Video mit Bas im Hintergrund ist eine Rede während der Debatte vom 13. März 2025 zur Aussetzung der Schuldenbremse zugunsten von Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu sehen, wofür das Grundgesetz geändert werden musste. Auch hier stimmen Merz' Krawatte sowie das Kostüm und das Oberteil der damaligen Bundestagspräsidentin Bas mit der Kleidung im online geteilten Video überein.
Merz sprach in dieser Rede gar nicht erst von Rentnerinnen und Rentnern, die Worte sind weder dem Transkript der Aufzeichnung (hier archiviert), noch dem Protokoll der Debatte zu entnehmen.
Die früheste Version des Videos mit der Falschbehauptung, die AFP finden konnte, wurde auf einem Tiktok-Account hochgeladen, dessen Beschreibung lautet: "Alle Videos sind Satire und enthalten in keinster Weise reale Aussagen." Ein solcher Hinweis ist dem Video selbst allerdings nicht beigefügt und auch andere Beiträge mit dem Video verweisen nicht auf einen satirischen Inhalt. Einige der Kommentare, wie beispielsweise die Äußerung "schon dafür müsste Merz in den Knast", zeigen, dass die Behauptung von Nutzerinnen und Nutzern ernst genommen wird.
Tonspur ist "sehr wahrscheinlich" künstlich generiert
Darüber hinaus stimmen in beiden Versionen des Videos, sowohl mit Klöckner als auch mit Bas im Hintergrund, die Lippenbewegungen von Merz nicht mit dem überein, was er zu sagen scheint. Das Analysetool Hiya, das Tonspuren auf eine Bearbeitung oder Erstellung mit Künstlicher Intelligenz (KI) untersucht, kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Tonspuren der Videos mit hoher Wahrscheinlichkeit KI-generiert sind.
Die Tonspur ist in beiden Videos identisch, die online kursieren. Dennoch gibt es in ihren Analysen leichte Abweichungen an der Stelle, an der Merz spricht, wobei die Wahrscheinlichkeit für eine Erstellung mit KI in beiden Fällen sehr hoch ist. Unterschiede können sich beispielsweise aus der Qualität der Videodateien ergeben, die analysiert werden.
Schließlich ergab auch eine Stichwortsuche nach dem Satz, den Merz angeblich gesagt haben soll, keine Ergebnisse. Auch in der Pressedatenbank Genios findet sich der Satz nicht.
Über eine solche Äußerung von Merz wäre allerdings breit berichtet worden, da die Rentendebatte eng von zahlreichen Medien begleitet wird. Zudem wurden andere in die Kritik geratene Sätze des Bundeskanzlers wie jener zum Stadtbild oder zu Belém, dem brasilianischen Austragungsort der Weltklimakonferenz COP30, von zahlreichen Zeitungen und Sendern dokumentiert.
Junge Union kritisiert Merz in Rentendebatte
Die Falschbehauptung, Merz habe gesagt, dass Rentnerinnen und Rentner Deutschland verlassen sollten, kursiert zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte um das sogenannte Rentenpaket in Deutschland heiß geführt wird und Merz mit Kritik aus der eigenen Partei konfrontiert ist. Der Bundeskanzler will das Paket noch in diesem Jahr vom Bundestag beschließen lassen.
Die Jugendorganisation der CDU/CSU, die Junge Union, befürchtet allerdings eine zu starke Belastung für die junge Generation, da das Rentenniveau dem Gesetzentwurf zufolge bis 2031 nicht unter die aktuelle Grenze von 48 Prozent des Durchschnittslohns, die sogenannte Haltelinie, gesenkt werden soll. Arbeitnehmerinnen und -nehmer erhalten 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes, der zum Zeitpunkt ihres Renteneintritts herrscht, wenn sie zuvor 45 Jahre lang zum Durchschnittslohn gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben.
Auch langfristig soll dieses Niveau dem Gesetzentwurf zufolge einen Prozentpunkt höher liegen als ohne die Haltelinie. Die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, fordern indes, dass künftig alle Berufsgruppen, also auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte und Abgeordnete, Rentenbeiträge zahlen sollten, um das System zu stabilisieren.
In dem bestehenden Umlagesystem durch den demografischen Wandel müssen immer weniger Arbeitnehmerinnen und -nehmer die Renten von immer mehr Ruheständlerinnen und Ruheständlern zahlen. Diese Beiträge decken die Kosten jedoch nicht, das Defizit wird durch Steuermittel ausgeglichen. Aufgrund der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung ist es wahrscheinlich, dass die Rentenbeiträge für Arbeitnehmerinnen und -nehmer künftig steigen werden, damit die Renten finanziert werden können.
Fazit: Aufnahmen, in denen Bundeskanzler Merz zu sagen scheint, dass Rentnerinnen und Rentner das Land verlassen sollten, sind mit KI generiert, wie Analysetools bestätigen. Die Ausschnitte stammen aus Reden zu anderen Themen im Bundestag. Zudem dementierte eine Regierungssprecherin die Behauptung.