Bundesrat stimmte nicht für AfD: Die Länderkammer wählt keine Parteien
- Veröffentlicht am 22. Dezember 2025 um 16:55
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
Der Bundesrat wirkt bei der Gesetzgebung auf Bundesebene mit. In sozialen Medien wurde ihm fälschlicherweise eine weitere Kompetenz zugeschrieben: Nutzerinnen und Nutzer behaupteten, der Bundesrat hätte die AfD gewählt. Ein Sprecher sowie Experten widerlegten diese Behauptung jedoch. Das Grundgesetz sieht ein solches Szenario zudem nicht vor.
"Bundesrat WÄHLT AfD – Historischer Erdrutsch!", lautet die Beschreibung eines Tiktok-Videos vom 1. Dezember 2025. "Bei der Abstimmung im Bundesrat geschah etwas Außergewöhnliches: Die AfD wurde gewählt", sagt eine männliche Stimme im Video, die stellenweise computergeneriert klingt. "Die Partei, die jahrelang ausgegrenzt, blockiert und an den Rand gedrängt wurde, hat heute offiziell einen Platz in einem der mächtigsten Staatsorgane des Landes erhalten."
Währenddessen sind abwechselnd die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei verschiedenen Reden zu sehen. Der Ton dieser Reden ist nicht zu hören. Ähnliche Behauptungen wurden auch auf Facebook verbreitet.
Eine solche Abstimmung hat es im Winter 2025 jedoch nicht gegeben.
AFP hat das Tiktok-Video mit Erkennungstools untersucht, die Tonspuren daraufhin analysieren, ob sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt worden sind. Sowohl das Erkennungstool Hiya von InVid WeVerify, an dessen Entwicklung AFP beteiligt ist, als auch Deepfake Total des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit lieferten das Ergebnis, dass die Tonspur mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 beziehungsweise 100 Prozent KI-generiert ist.
"Die Aussage ist offensichtlich falsch", erklärte ein Sprecher des Bundesrates auf AFP-Anfrage am 16. Dezember 2025 zur Behauptung im Video. Zudem gebe es "kein Szenario, in dem der Bundesrat die AfD wählen könnte".
AfD sitzt nicht im Bundesrat
Auf AFP-Anfrage erklärte auch Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls "Westliche Regierungssysteme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland" der Universität Trier, die Behauptung am 15. Dezember 2025 für falsch. "Der Bundesrat wählt auch keine Parteien, sondern stimmt über Gesetze, Verordnungen oder Verträge ab oder wählt einzelne Personen in Ämter", fügte er hinzu.
Der Bundesrat setzt sich aus Mitgliedern der Regierungen der einzelnen Bundesländer zusammen. Das sowie die Anzahl der Sitze pro Bundesland legt das Grundgesetz in Artikel 51 fest. "Da die AfD an keiner Landesregierung beteiligt ist, ist sie entsprechend nicht im Bundesrat vertreten", erläuterte Jun.
Insgesamt vier Artikel des Grundgesetzes betreffen unmittelbar die Zusammensetzung und die Aufgaben des Bundesrates. Neben der Mitwirkung an der Gesetzgebung auf Bundesebene zählen unter anderem Angelegenheiten der Europäischen Union oder auch die Wahl der Hälfte der Bundesverfassungsrichterinnen und -richter zu seinem Kompetenzbereich. Von der Wahl von Parteien als Aufgabe des Bundesrates ist weder im Grundgesetz, noch auf der Website der Länderkammer die Rede.
Antonios Souris, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Föderalismus und Bundesrat an der Freien Universität Berlin, stimmte Juns Ausführungen zu. Das Video sei "ziemlich an den Haaren herbeigezogen", erklärte er am 16. Dezember 2025 auf AFP-Anfrage.
Zusätzlich erläuterte Souris, die zum Zeitpunkt seiner Antwort nächste Sitzung des Bundesrates sei für den 19. Dezember 2025 anberaumt. Die Falschbehauptung wurde am 1. Dezember 2025 in sozialen Medien verbreitet. Die letzte Sitzung des Bundesrates vor diesem Datum fand am 21. November 2025 statt. Die Stichworte "AfD" und "Alternative für Deutschland" finden sich nicht im Plenarprotokoll dieser Bundesratssitzung, auch eine Wahl fand nicht statt. Souris erklärte: "Eine Abstimmung, von der in dem Video die Rede ist, hat es also gar nicht gegeben."
Eine Stichwortsuche auf Google führte ebenfalls zu keinen Ergebnissen, die die Behauptung bestätigen würden.
Video spielt auf Brandmauer an
Auf die Falschbehauptung folgen im Video wirre Ausführungen, die keine konkreten Ereignisse oder Abstimmungsergebnisse beinhalten. Es werden lediglich Aussagen aneinandergereiht wie "Heute wurde in der deutschen Politik eine Wahrheit offiziell anerkannt, die lange ausgesprochen, aber immer wieder unterdrückt wurde". Ein weiteres Beispiel ist "die Partei, die jahrelang als Protestwahl, Wutventil oder vorübergehende Stimmung abgetan wurde, steht nun endgültig dort, wo viele sie nie sehen wollten".
Mutmaßlich knüpfen diese Aussagen an die Diskussion rund um die Brandmauer in Deutschland an, also die Grenze zwischen demokratischen und rechtspopulistischen sowie rechtsextremen Parteien. Es ist jedoch nicht genau definiert, ob die Brandmauer meint, dass eine Regierungsbildung oder jegliche Zusammenarbeit demokratischer mit rechtsextremen Kräften ausgeschlossen werden soll. Anfang 2025 hatte Bundeskanzler Merz für große Empörung gesorgt, als er im Bundestag mithilfe der Stimmen der AfD eine Mehrheit für seinen Plan zur Migrationspolitik bekommen hatte.
Im Mai 2025 hatte der Bundesverfassungsschutz die AfD deutschlandweit als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Die Einstufung ruht nach einer Klage der AfD jedoch – bis zur gerichtlichen Entscheidung darf der Verfassungsschutz die AfD weiter wie einen Verdachtsfall behandeln und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, sie aber nicht als "gesichert rechtsextrem" bezeichnen und entsprechend weitere Maßnahmen ergreifen. In vier Bundesländern gilt die Partei dagegen als "gesichert rechtsextrem". In der Politik wird derweil um die Anstrengung eines AfD-Verbotsverfahrens gerungen. Zuletzt wagte die Berliner Landesregierung einen Vorstoß: Sie will einen Antrag für die Prüfung eines AfD-Verbots in den Bundesrat einbringen.
Fazit: Der Bundesrat hat die AfD im Winter 2025 nicht gewählt. Die Wahl von Parteien liegt grundsätzlich nicht im Kompetenzbereich des Bundesrates, wie Experten erklärten. Als die Falschbehauptung verbreitet wurde, fand zudem keine Abstimmung im Bundesrat statt.
Copyright © AFP 2017-2025. Für die kommerzielle Nutzung dieses Inhalts ist ein Abonnement erforderlich. Klicken Sie hier für weitere Informationen.