Video eines weinenden ukrainischen Soldaten wurde mit KI generiert
- Veröffentlicht am 12. November 2025 um 11:29
- Aktualisiert am 12. November 2025 um 14:09
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Elena CRISAN, AFP Österreich
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Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wird im Land kontrovers über die Mobilmachung der ukrainischen Streitkräfte diskutiert. Eine angebliche Aufnahme eines weinenden 23-Jährigen, der vermeintlich zwangseinberufen wurde, machte Anfang November 2025 online die Runde. Doch der Clip ist nicht echt. AFP fand mehrere Spuren einer Erstellung mittels Künstlicher Intelligenz, was von KI-Erkennungstools bestätigt wurde. Das angebliche Alter des Soldaten stimmt zudem nicht mit dem ukrainischen Mobilisierungsalter überein.
Ein junger Mann mit nassen Haaren, Helm und Militäruniform sitzt auf der Rückbank eines Autos. Tränen laufen über seine Wangen. "Ich wurde mobilisiert Ich fahre zu Tschassiw Jar (Stadt in der Ukraine, Anm. d. Red.)", sagt er auf Ukrainisch. Das ist auf Deutsch mithilfe von Untertiteln nachzulesen. Durch ein kleines Fenster ist eine karge Landschaft zu erahnen. "Ich bin erst 23 Jahre alt", bittet er laut Beiträgen am 2. November 2025 um Hilfe.
Diese Szene erreichte tausende Userinnen und User. Der 14-sekündige Clip wurde auf sozialen Medien wie Facebook, Telegram, X und Youtube verbreitet, sowie in Sprachen wie Polnisch und Slowakisch. "Das Video ist allen deutschen Kriegsgeilen-Politikern gewidmet", schrieb ein deutschsprachiger User dazu.
Manche Userinnen und User waren unsicher, ob es sich dabei um Künstliche Intelligenz (KI) handelte und fragten Grok auf X. Allerdings erkennt der Chatbot, der von Elon Musks Unternehmen xAI entwickelt wurde, Bild- und Videomanipulationen nicht zuverlässig und schätzte den Clip fälschlich als authentisch ein.
Doch wie AFP herausfand, wurde das Video mithilfe von KI erstellt. Zudem zieht die Ukraine junge Männer erst ab 25 Jahren verpflichtend ein – anders als im Video behauptet.
Schutzhelm stimmt nicht mit offiziellen Fotos überein
Hinweise für eine Videomanipulation sind bereits im Clip anhand des Schutzhelms erkennbar. Eine runde Schraube auf dem Helm wechselt binnen weniger Keyframes im Video die Form. Zunächst ist sie flach, dann wölbt sie sich nach innen. Auch der schwarze Knopf, der sich seitlich auf dem Helm befindet, ist oben erst flach, dann erscheint innerhalb weniger Sekunden eine scharfe Kante. Abgesehen davon verändert sich das Muster auf der Uniform während des Clips leicht, wie im folgenden Vergleich lila eingezeichnet ist:
Im nächsten Schritt überprüfte AFP, ob die Ausrüstung des Jungen einer offiziellen Uniform der ukrainischen Streitkräfte entspricht. Auf dem X-Account des ukrainischen Verteidigungsministeriums wurde beispielsweise ein Foto eines "voll ausgestatteten" Soldaten veröffentlicht.
Die bereits angemerkte Schraube auf dem KI-generierten Bild wirkt im Vergleich mit dem authentischen ballistischen Helm fehl am Platz. Zudem fehlen die schwarzen Haken auf dem Seitenriemen, die in der Originalversion auf dem Helm befestigt sind.
AFP fand etwa auf der Website MilitaryLand.net, welche verschiedene Aktivitäten ukrainischer Verteidigungskräfte dokumentiert, mehrere Beispiele für Schutzuniformen, die an der ukrainischen Front verwendet werden. Doch keines der Beispiele stimmt mit dem KI-generierten Helm überein.
Eine umgekehrte Bildsuche mithilfe von Screenshots aus dem Clip führte zum Tiktok-Account "@fantomoko", dessen Name auch im geteilten Clip zu sehen ist. Der Account veröffentlichte mehrere Videos von angeblich weinenden Soldaten mit ukrainischem Emblem auf dem Jackenärmel. Manche waren mit dem Wasserzeichen Sora versehen, welches deren Erstellung mithilfe einer App des US-amerikanischen Softwareunternehmens OpenAI kennzeichnet. Andere Videos trugen offensichtliche Merkmale einer Bildmanipulation und zeigten etwa einen Soldaten, dessen Tränen wie Bluttropfen schienen, wie im vierten Video von links in der zweiten Reihe zu sehen ist:
In älteren Videos von "@fantomoko" waren dieselben Protagonisten teilweise gar als russische Soldaten vor einer weiß-blau-roten Flagge abgebildet, wie auch die italienische Plattform Open beschrieb.
Inzwischen ist der Account nicht mehr auf Tiktok aufrufbar.
Mithilfe des Gesichtssuchdienstes Pimeyes und durch Posts auf X fand AFP Hinweise, dass der russische Streamer namens Kussia88 mutmaßlich als Vorlage für das Gesicht des KI-generierten Soldaten diente. In manchen X-Beiträgen wurde er persönlich für die Erstellung des Videos verantwortlich gemacht. Ein anderer User forderte die Streamingplattform Twitch auf, ihn zu sperren. Der Streamer war für eine Stellungnahme nicht erreichbar, nachdem AFP ihn am 5. November 2025 kontaktierte.
Audiospur mittels KI generiert
Im Clip ist zu hören, dass der Soldat auf Ukrainisch spricht. Laut Kommentaren auf X klingt sein Akzent Russisch. AFP überprüfte die Audiospur mithilfe der neuesten Entwicklerversion des Tools Hiya im Verifizierungstool InVID-WeVerify. Die Erkennungsrate beträgt 41 Prozent – eine "klare Erkennung trotz Hintergrundgeräusche", wie Denis Teyssou, Leiter der Innovationsabteilung für die Projekte InVID und WeVerify bei AFP am 6. November 2025 sagte. "Eine authentische Datei enthält keine Spuren einer KI-Generierung", erklärte Teyssou.
Auch mithilfe des Tools deepfake-total.com des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit konnte AFP bestätigen, dass die Audiospur des Videos, das sich online vielfach verbreitete, zu 53,4 Prozent manipuliert wurde.
AFP überprüfte auch die visuellen Sequenzen mit KI-Erkennungstools, doch die Ergebnisse wiesen nicht eindeutig auf eine Manipulation mit KI hin. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass der Inhalt nicht KI-generiert wurde – schließlich konnte AFP im geteilten Clip eindeutige KI-Spuren nachweisen. Möglicherweise wurden für die Erstellung des Clips Programme genutzt, auf die die verwendeten KI-Erkennungstools nicht trainiert wurden oder sie konnten die Manipulation aufgrund des wiederholten Uploads auf verschiedene Plattformen nicht identifizieren.
Ukraine mobilisiert ab 25 Jahren
Im Clip gibt der Junge an, 23 Jahre alt zu sein und in Tschassiw Jar kämpfen zu müssen. Tschassiw Jar – eine strategisch wichtige Stadt – befindet sich in der heftig umkämpften Region Donbass in der Ostukraine, die großteils von Russland kontrolliert wird.
Im April 2024 wurde das Alter für die Einberufung in den ukrainischen Militärdienst laut Medienberichten von 27 auf 25 Jahre gesenkt. Das ukrainische Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation bezeichnete den Clip in einem X-Beitrag vom 4. November 2025 als "Deepfake" und bestätigte, dass in seinem Alter "nur Freiwillige" dienen würden.
Angesichts des seit Februar 2022 andauernden Verteidigungskrieges gegen Russland braucht die Ukraine dringend mehr Soldaten. Ende Juni 2025 unterzeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Gesetz, wonach auch Menschen über 60 Jahren in der Armee aufgenommen werden können. Die Regierung in Kiew hat dazu bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, unter anderem Einjahresverträge mit relativ hohen Prämien und finanzielle Anreize für 18- bis 24-Jährige.
Falschinformationen sind auf dem digitalen Schlachtfeld häufig. AFP überprüfte bereits mehrere Falschbehauptungen zum Krieg in der Ukraine und zu KI-gestützten Falschinformationen.
Fazit: Ein angebliches Video eines 23-jährigen ukrainischen Soldaten, der vermeintlich zwangseinberufen und in die Ostukraine geschickt werde, ist nicht echt. AFP fand mehrere Spuren einer Erstellung mittels Künstlicher Intelligenz, was von KI-Erkennungstools bestätigt wurde. Zudem beträgt das Alter für die Einberufung in der Ukraine 25 Jahre.
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