Entgegen Online-Behauptungen wurde Inzest im Vereinigten Königreich nicht legalisiert

Im Vereinigten Königreich – sowie in mehreren anderen europäischen Ländern - ist die Ehe zwischen Cousinen und Cousins erlaubt. Trotzdem wurde online fälschlich behauptet, der britische Premierminister habe Inzest legalisiert, weil die "muslimische Lobby" dies gefordert habe. Dazu kursierte ein Video als Beleg, welches jedoch tatsächlich zeigt, wie Keir Starmer sich März 2025 weigerte, ein vorgeschlagenes Verbot von Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades zu unterstützen. Ehen zwischen unmittelbaren Verwandten, wie sie in den Beiträgen genannt werden, sind nach britischem Recht weiterhin illegal.

"Auf Wunsch der muslimischen Lobby hat Keir Starmer im Vereinigten Königreich Ehen zwischen Brüdern und Schwestern, Vätern und Töchtern, Söhnen und Müttern legalisiert", lautete eine Falschnachricht, die Anfang Oktober 2025 online mehrfach verbreitet wurde. Eine Facebook-Userin behauptete etwa am 4. Oktober 2025 in einem mehr als hundertfach geteilten Beitrag, dies bedeute "das Ende des Vereinigten Königreichs". 

Die Behauptung wurde auch auf Plattformen wie X und Tiktok verbreitet und kursierte in mehreren Sprachen, darunter auf Slowakisch und Tschechisch – wo Starmer mitunter fälschlich Kirk mit Vornamen genannt wurde.

In den Kommentaren wurde Starmer beispielsweise als das "trojanische Pferd der Islamisten" bezeichnet. Andere Userinnen und User zeigten sich aber skeptischer in Bezug auf die Falschbehauptung über die Legalisierung der Inzest-Ehe und fragten nach einer Quelle. 

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Facebook-Screenshot der Behauptung, rotes Kreuz von AFP hinzugefügt: 10. Oktober 2025

Doch AFP-Recherchen zeigen, dass die Behauptung haltlos ist.

Britischer Abgeordnete schlug Eheverbot zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades vor

Eine umgekehrte Bildsuche mithilfe von Screenshots des geteilten Clips bestätigte, dass das Video Richard Holden, einen konservativen Abgeordneten und ehemaligen Kabinettsminister, während einer Debatte im britischen Parlament am 5. März 2025 zeigt. Der Abgeordnete forderte Starmer erfolglos auf, seinen Vorschlag für ein Verbot der Eheschließung zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades in Großbritannien zu unterstützen.

Einige der Beiträge mit der Falschbehauptung erwähnten seinen angeblichen Appell an den Premierminister: "Herr Starmer, ist Ihnen klar, was Sie da tun? Sie legalisieren Inzest-Ehen zwischen Brüdern und Schwestern, zwischen Verwandten. Das bringt katastrophale Gesundheitsrisiken mit sich, von denen viele vor der Geburt eines Kindes nicht erkannt werden können. Wenn diese Praxis von Generation zu Generation fortgesetzt wird, werden die Engländer aussterben."

Holdens tatsächlichen Äußerungen stimmen jedoch nicht mit dem Text in den Facebook-Beiträgen überein. Laut dem Ton des Videos sowie dem offiziellen Protokoll der Debatte (Spalte 281) sagte Holden stattdessen:

"Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades bergen erhebliche Gesundheitsrisiken für ihre Kinder, von denen viele erst nach der Geburt erkennbar sind. Wenn dies über Generationen hinweg praktiziert wird, kommt es zu einem erheblichen Multiplikatoreffekt. Darüber hinaus sind die tatsächlichen Auswirkungen auf die Offenheit unserer Gesellschaft und die Rechte der Frauen in unserem Land erheblich. Schließlich gibt es erhebliche Dynamiken, wenn man dieselben Großeltern hat. Am Freitag wird diese Regierung die Entscheidung treffen, ob mein Gesetzentwurf zum Verbot der Ehe zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades in die Ausschussphase geht. Wird der Premierminister noch einmal darüber nachdenken, bevor er seine Fraktionsvorsitzenden anweist, dieses Gesetz zu blockieren?"

In seiner Antwort erklärte Starmer, seine Regierung werde Holdens Vorschlag nicht unterstützen. "Wir haben unsere Position zu diesem Gesetzentwurf bezogen", antwortete Starmer laut Protokoll knapp.

Holden, der den gleichen Clip am 5. März 2025 auf X gepostet hatte, schlug ursprünglich am 10. Dezember 2024 ein Verbot der Eheschließung zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades vor. Er argumentierte, dass ihre Kinder ein höheres Risiko für Geburtsfehler hätten und dass diese Praxis zur Unterdrückung von Frauen in den traditionellen irischen Traveller- und pakistanischen Gemeinschaften Großbritanniens beitrage, in denen solche Ehen häufiger vorkommen.

Kritiker des vorgeschlagenen Verbots, darunter der unabhängige Abgeordnete Iqbal Mohamed, schlugen jedoch vor, dass fortschrittliche Gentests und Aufklärungskampagnen Vorrang vor dem Verbot dieser kulturellen Praxis haben sollten.

Verbot wurde strittig diskutiert

Ausozialen Plattformen wurde Starmer bereits Anfang Oktober 2025 vorgeworfen, sich in seiner Familienpolitik vor "frauenfeindlichen Communities" zu fürchten. Die Beiträge kursierten einige Tage nachdem der britische National Health Service (NHS) einen Blogbeitrag veröffentlicht hatte, in dem die Vor- und Nachteile von Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades dargelegt wurden.

Der Blogbeitrag diskutierte die potenziellen Vorteile von Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades, nämlich "stärkere Unterstützungssysteme durch die Großfamilie und wirtschaftliche Vorteile". Er wurde jedoch nach heftigen Reaktionen wieder entfernt.

Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades sind in Großbritannien seit 1540 legal, als König Heinrich VIII. mit der römisch-katholischen Doktrin brach und Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades zuließ, um seine fünfte Frau, Catherine Howard, heiraten zu können. Catherine war eine Cousine ersten Grades der zweiten Frau des Königs, Anne Boleyn, und zu dieser Zeit war es auch inakzeptabel, einen Blutsverwandten des Ehepartners zu heiraten.

Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades sind im britischen Ehegesetz von 1949 und seinen späteren Änderungen nicht verboten. Das Gesetz verbietet jedoch die Eheschließung zwischen verschiedenen Arten von direkten Blutsverwandten, darunter Eltern, Kinder und Geschwister.

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Screenshot der Liste der sogenannten verbotenen Beziehungen in der neuesten Fassung des britischen Ehegesetzes: 8. Oktober 2025

Ehen zwischen Cousinen und Cousins ersten Grades sind in vielen europäischen Ländern legal. Einige Regierungen haben jedoch Schritte unternommen, um sie zu verbieten, da sie um die Gesundheit der aus diesen Verbindungen hervorgehenden Kinder besorgt sind. Im Sommer 2025 weitete Österreich das Eheverbot auf Minderjährige und Verwandte bis zum vierten Grad aus. In Deutschland ist die Ehe zwischen Cousinen und Cousins erlaubt. Nicht erlaubt sind jedoch Eheschließungen zwischen Verwandten in gerader Linie, also etwa zwischen Eltern und Kindern oder Geschwistern.

Auch Norwegen erklärte die Cousinehe im Jahr 2024 für illegal, während in Schweden und Dänemark Gesetzesvorlagen eingebracht wurden, die sie ab dem Jahr 2026 verbieten sollen. In den USA sind solche Ehen in bestimmten Bundesstaaten verboten.

Starmer war in der Vergangenheit Ziel von Desinformationen im Zusammenhang mit der muslimischen Gemeinschaft in Großbritannien. Mitte September 2025 widerlegte AFP eine Behauptung, wonach ein KI-generiertes Bild riesige Demonstrationen in London gegen seine Regierung darstellen würde.

Fazit: Online wurde im Oktober 2025 behauptet, der britische Premier Keir Starmer habe "auf Wunsch der muslimischen Lobby" Eheschließungen zwischen Cousins und Cousinen, Brüdern und Schwestern sowie zwischen Eltern und Kindern legalisiert. Dazu kursierte ein Video, das einen konservativen britischen Abgeordneten bei einer Rede im März 2025 zeigt. Doch Cousinehen waren im Vereinigten Königreich bereits vorher erlaubt und am Eheverbot zwischen Verwandten ersten Grades hat sich nichts verändert.

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