
Dieses Video vom Oktoberfest ist alt und hat nichts mit einer Bombendrohung zu tun
- Veröffentlicht am 2. Oktober 2025 um 17:56
- Aktualisiert am 2. Oktober 2025 um 20:43
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, Katharina ZWINS, AFP Deutschland, AFP Österreich
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"Auf dem Oktoberfest in München wird das russische 'Kalinka, meine Kalinka, meine Kalinka, meine Kalinka, meine Himbeere im Garten' gespielt - Und deshalb war es wohl notwendig das Fest zu schließen - dieses Oktoberfest ist voll von 'Kreml-Agenten', schrieb Alina Lipp am 1. Oktober 2025 auf X. Dazu teilte die prorussischen Bloggerin, die von der Europäischen Union wegen "destabilisierenden Aktivitäten gegen die EU" sanktioniert wurde, ein Video von mehreren Menschen in Tracht, die in einem Festzelt lautstark bei dem russischen Volkslied "Kalinka" mitsingen und schunkeln.
Auch auf Facebook und Telegram kursierte das Video mit aktuellem Kontext. In anderen Sprachen wie Bulgarisch, Englisch, Französisch und Spanisch wurde das Video ebenfalls geteilt.

Das Video ist jedoch alt, wie AFP-Recherchen ergaben.
Video ist mindestens drei Jahre alt
Eine umgekehrte Bildsuche führte zu Versionen des Videos, die bereits im Oktober 2022 unter anderem auf Youtube hochgeladen wurden. Ein Suchergebnis findet sich sogar auf einem Account von Alina Lipp selbst: Sie postete das Video bereits am 3. Oktober 2022 auf ihrem Telegram-Kanal. Damals schrieb sie dazu noch: "Auf dem Oktoberfest wird zu dem russischen Lied Kalinka gefeiert. Freundschaft mit Russland!!!!"
Einen Tag zuvor, am 2. Oktober 2022, tauchte das Video in einem anderen Telegram-Kanal auf. In diesem Video sowie in der Version, die Lipp aktuell geteilt hat, ist unten rechts ein Logo in kyrillischer Schrift zu sehen. Übersetzt lautet es "Pool No3", was der Name eines bekannten russischen Telegram-Kanals ist, der seiner Kanalbeschreibung zufolge in einem gesetzlich verpflichtenden Register russischer Bloggerinnen und Blogger verzeichnet ist.
Auch dieser Kanal postete das Video am 1. Oktober 2025. Eine Stichwortsuche auf dem Telegram-Kanal führte zu der frühestens Version des Videos, die AFP finden konnte. Dort wurde es am 2. Oktober 2022 um 19.22 Uhr veröffentlicht.
Szene spielt im Augustiner Festzelt
Das Festzelt, das im Video zu sehen ist, hat eine grüne Decke, von der mit gelben Bändern geschmückte Kränze hinunterhängen. Diese Decke und Dekoration ähneln jenen des Augustiner Festzeltes auf dem Oktoberfest, wie offizielle Bilder zeigen.

Auf AFP-Anfrage bestätigte ein Pressesprecher des Oktoberfests am 2. Oktober 2025 in einer E-Mail, dass die online geteilten Aufnahmen in der Augustiner Festhalle gemacht wurden.
Polizei und Oktoberfest dementieren
Zum Grund, weshalb die Wiesn am Vortag geschlossen wurde, schrieb der Sprecher: "Das Oktoberfest wurde gestern wegen einer Bombendrohung gesperrt. Die Gefahrensituation hat sich nach polizeilichen Maßnahmen auf dem Festgelände nicht bestätigt." Schließlich sei das Oktoberfest um 17.30 Uhr wieder geöffnet worden. Das berichtete unter anderem der Bayerische Rundfunk am Abend des 1. Oktobers 2025 mit Stimmen vor Ort. Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kündigte auf Instagram an, wann die Theresienwiese wieder öffnen sollte.
Auf die Frage, ob das Lied "Kalinka" am Oktoberfest in diesem Jahr gespielt wurde oder wird, ging der Oktoberfest-Sprecher nicht ein und verwies für nähere Auskünfte zur Musik in der Augustiner Festhalle auf die Festwirte sowie die Leitung der Augustiner Oktoberfestkapelle. Bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks erhielt AFP keine Antwort. Es bleibt daher ungeklärt, ob das Lied in diesem Jahr auf dem Oktoberfest in München gespielt wurde oder wird.
Dass das Lied "Kalinka" der Grund gewesen sei, dass das Oktoberfest am 1. Oktober 2025 geschlossen wurde, dementierten jedoch mehrere Seiten. Nicht nur der Pressesprecher des Oktoberfests, auch eine Sprecherin der Polizei München wies die Behauptung zurück. "Ich kann festhalten, dass es zu keiner Schließung des Oktoberfests kam, weil in irgendeinem Zelt irgendein Lied abgespielt wurde", sagte sie in einem Telefonat mit AFP am 2. Oktober 2025.
Bombendrohung "mit Bezug zum Oktoberfest"
Hinsichtlich des tatsächlichen Grundes für die Schließung verwies die Sprecherin auf die entsprechenden Pressemitteilungen der Polizei München. Laut der aktuellsten Mitteilung vom 1. Oktober 2025 zu einem "großen Polizeieinsatz" am frühen Morgen setzte eine verdächtige Person bei einer Familienstreitigkeit ein Gebäude in Brand. Bei ersten Ermittlungen in diesem Fall fand die Polizei "ein vom Tatverdächtigen verfasstes Schreiben" nahe des Tatorts. Der 57-jährige Tatverdächtige beging Suizid, er tötete außerdem vermutlich seinen 90 Jahre alten Vater und verletzte seine Mutter und Tochter, berichtete AFP.
Der Tatverdächtige soll bei Nachbarn seiner Eltern einen Brief eingeworfen haben, in dem er für Besucherinnen und Besucher des größten Volksfests der Welt ein "bombiges Erlebnis auf der Wiesn" androhte. Deshalb, so teilte die Polizei weiter mit, sei die Theresienwiese vorerst bis 17 Uhr geschlossen geblieben, damit sie mit Sprengstoffsuchhunden und sprengstoffkundigen Beamtinnen und Beamten abgesucht werden konnte. Das Oktoberfest öffnete an diesem Mittwoch gar nicht erst wie üblich um 10 Uhr für Besucherinnen und Besucher, sondern blieb geschlossen, wie auch Oberbürgermeister Reiter online erklärte.
Fazit: Die Schließung des Oktoberfests am 1. Oktober 2025 steht nicht mit einem russischen Tanzlied in Verbindung, das laut einem Video der Grund gewesen sein soll, weshalb die Wiesn an diesem Tag viele Stunden geschlossen blieb. Die Behauptung kursierte auf prorussischen Accounts. Die Polizei, ein Oktoberfest-Sprecher sowie Oberbürgermeister Dieter Reiter und verschiedene Medienberichte sprechen vom selben Vorfall eines Familienstreits und einer Bombendrohung als Grund dafür. Das online geteilte Video ist zudem mindestens drei Jahre alt.
Satz im Fazit zur besseren Verständlichkeit hinzugefügt2. Oktober 2025 Satz im Fazit zur besseren Verständlichkeit hinzugefügt