Bild eines Geigers im Konzentrationslager Auschwitz ist KI-generiert

Das Museum Auschwitz-Birkenau in Polen schlug kürzlich Alarm wegen des wachsenden Social-Media-Trends, bei dem KI-generierte Bilder von angeblichen Holocaust-Opfern geteilt werden. Anfang Juli 2025 verbreitete sich ein solches Bild eines tschechischen Geigers in Auschwitz namens "Hank" zusammen mit einer erfundenen Geschichte. Zwar gab es tatsächlich jüdische Musikerinnen und Musiker in Konzentrationslagern. Das Foto ist jedoch nicht echt. Visuellen Unstimmigkeiten und einer Analyse mit einem KI-Erkennungswerkzeug zufolge wurde das Bild sehr wahrscheinlich mit künstlicher Intelligenz generiert. Die Gedenkstätte Auschwitz sowie Expertinnen und Experten stuften das Bild als nicht authentisch ein.

"1943 in Auschwitz wurde ein Geiger namens 'Hank' gezwungen, dem Lagerorchester beizutreten; seine Aufgabe war es, Musik zu spielen, während andere Gefangene in die Gaskammern gebracht wurden!", heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 8. Juli 2025. "Mit Tränen in den Augen und einem zitternden Bogen in der Hand spielte er Schuberts 'Serenade'."

Dazu wurde ein Bild eines abgemagerten Geigers gepostet. Hinter ihm sind weitere Männer zu sehen, die wie Gefangene anmuten. "Ein Mädchen drehte sich um und flüsterte: 'Deine Musik ist das Letzte, was ich höre; danke!'", heißt es in der Bildunterschrift weiter. Der Geiger "Hank" habe den Holocaust überlebt, aber nie wieder Geige gespielt.

Das Bild wurde auch auf anderen Sprachen wie Bulgarisch, Englisch und Griechisch geteilt.

Das Bild verbreitete sich inmitten eines Trends, in dem Content Creator KI-generierte Inhalte für Geld produzieren und dabei auf die emotionalen Reaktionen von Menschen aus dem Westen auf den Holocaust abzielen, bei dem über sechs Millionen Jüdinnen und Juden getötet wurden.

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Facebook-Screenshot der Behauptung, rotes Kreuz von AFP hinzugefügt: 25. Juli 2025

Musik war zwar ein integraler Bestandteil des Alltags in fast allen Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – Gefangene wurden gezwungen, auf Befehl zu singen oder Instrumente zu spielen –, das Bild ist jedoch nicht echt und seine Geschichte erfunden.

Visuelle Unstimmigkeiten

AFP fand mehrere visuelle Unstimmigkeiten in dem Bild, die belegen, dass es wahrscheinlich nicht authentisch ist. So hat die Person hinter dem Geiger drei Finger und der Geiger selbst scheint quadratische Fingerknöchel mit einer unverhältnismäßigen Größe zu haben.

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Bild des Geigers mit hervorgehobenen Elementen der visuellen Unstimmigkeiten, grüne und gelbe Hervorhebungen von AFP hinzugefügt

Außerdem verschwindet die vierte Saite der Geige im unteren Teil des Instruments.

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Bild des Geigers mit hervorgehobenem Zoom auf die Saiten der Geige, Hervorhebung von AFP hinzugefügt

Das Aussehen des Geigers wirkt ebenfalls widersprüchlich: Im Vergleich zu den Männern im Hintergrund hat er volles Haar, die Köpfe der anderen sind rasiert. Zudem hängt an einer Seite seines Oberkörpers ein Fetzen von etwas, das den Anschein eines zerrissenen Hemdes macht.

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Bild des Geigers mit Hervorhebungen der Köpfe in gelb sowie des Fetzens in grün, Markierungen von AFP hinzugefügt

Am 6. Juli 2025 veröffentlichte die Gedenkstätte Auschwitz auf X einen Screenshot eines der falschen Beiträge mit dem Kommentar: "Die Veröffentlichung gefälschter, KI-generierter Bilder von Auschwitz ist nicht nur eine gefährliche Verfälschung. Eine solche Fälschung missachtet die Opfer und verletzt ihr Andenken."

Historische Ungenauigkeiten

Eine weitere historische Unstimmigkeit, auf die die Gedenkstätte Auschwitz hinweist, ist, dass "im Männerlager ein Männerorchester spielte – die Geschichte eines Mädchens, das am Männerorchester vorbeiging, ist sehr unwahrscheinlich". Auschwitz war zunächst ein Männerlager, Frauen kamen später hinzu und wurden in einem getrennten Bereich gefangen gehalten, erklärt das Museum Auschwitz-Birkenau online.

In einem Kommentar unter ihrem Beitrag fügte die Gedenkstätte hinzu, dass die Geschichte selbst wahrscheinlich erfunden sei, da sie historische Fehler aufweise wie etwa die Tatsache, dass Orchester in Auschwitz nicht spielten, "während andere Gefangene in die Gaskammern gebracht wurden", wie in den Beiträgen behauptet wird. "Ihre Hauptaufgabe bestand darin, zu spielen, wenn Kolonnen von Häftlingen zur Arbeit und zurück ins Lager marschierten", schrieb die Gedenkstätte weiter – eine Tatsache, die andere Expertinnen und Experten auf AFP-Anfrage bestätigten.

Elise Petit, deren Forschungsschwerpunkt auf der Kartierung von Klangräumen innerhalb des nationalsozialistischen Lagersystems liegt, sagte, die Darstellung eines Musikers, der Gefangene auf ihrem Weg in die Gaskammern mit seiner Geige begleitet, sei sachlich falsch. Die Orchester "spielten in der Nähe des Tors, wenn die Gefangenen zum Arbeitseinsatz in den Kommandos ins Lager ein- und ausmarschierten", erklärte sie am 21. Juli 2025 gegenüber AFP.

Während sich die Forschenden einig sind, dass es in einigen Fällen Hinweise darauf gibt, dass Musik gespielt wurde, während Gefangene auf dem Weg in die Gaskammern waren, gehen ihre Meinungen darüber, ob dies während der Hinrichtung fortgesetzt wurde, leicht auseinander.

Sybille Steinbacher von der Universität Wien räumte auf AFP-Anfrage am 23. Juli 2025 ein, dass die Rolle von Häftlingsorchestern in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern zwar noch nicht vollständig erforscht sei, es jedoch Fälle gegeben habe, in denen Musik auch als Begleitmusik diente, beispielsweise bei der Ankunft von Häftlingstransporten, Besuchen hochrangiger NS-Funktionäre oder ausländischer Gäste und manchmal auch bei Hinrichtungen. "Es wird berichtet, dass die Musiker Operettenmelodien spielen mussten, während Menschen in den Gaskammern ermordet wurden", schrieb sie.

Der Historiker Jacec Lachendro vom Museum Auschwitz-Birkenau erklärte gegenüber AFP am 23. Juli 2025, dass es Berichte gibt, wonach das Männerorchester in Birkenau Konzerte gab, während neu angekommene Juden in die Gaskammern geführt wurden oder während "Häftlinge zum Ort ihrer Hinrichtung durch Erhängen oder Erschießen geführt wurden (jedoch nicht während der Hinrichtung selbst)". Er betonte allerdings, dass die Musiker in solchen Situationen "in der Regel" nicht spielten, sondern dass dies "sporadisch und zufällig" vorkam. "Die Transporte kamen schließlich zu verschiedenen Tageszeiten an, wenn die Lagerkapelle probte oder ihre Sonntagskonzerte gab", merkte er an.

Darüber hinaus wies Steinbacher auf weitere historische Ungenauigkeiten in dem geteilten Bild hin, beispielsweise den Hintergrund und die Kleidung der abgebildeten Gefangenen. "Der Hintergrund kann nicht identifiziert werden, aber es handelt sich nicht um Birkenau", erklärte sie. "Die Kleidung und die deutlich abgemagerten Häftlinge verstärken meine Zweifel an der Echtheit des Bildes. Außerdem mussten die Häftlinge bekleidet sein; es gab keine Appelle mit nacktem Oberkörper", fügte sie hinzu.

"Die meisten Häftlinge in Auschwitz trugen gestreifte Uniformen (die hier nicht zu sehen sind), sie hatten keine Gürtel und ihre Lagernummern waren ebenfalls auf ihre Hosen genäht", erklärte Pawel Sawicki, stellvertretender Sprecher der Gedenkstätte Auschwitz, auf AFP-Anfrage am 24. Juli 2025. "Man kann auch die Haare von 'Hank' sehen – den Häftlingen wurden jedoch die Haare rasiert. Ab 1943 seien den Gefangenen ihre Häftlingsnummern tätowiert worden – "insbesondere jüdischen Häftlingen, die bereits seit Frühjahr 1942 tätowiert wurden".

AFP durchsuchte das Webarchiv der Arolsen-Archives, dem internationalen Zentrum über NS-Verfolgung mit einem Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus mit Sitz in Bad Arolsen, nach dem Namen "Klara Milkovits", der in den griechischsprachigen Beiträgen mit dem Bild erwähnt wurde. Dabei verwendete AFP die Filter "Auschwitz" und "Birkenau" unter dem Merkmal "Haftort". Diese Filter führten zu einer Person, die 1932 geboren wurde und 1943, als das Bild angeblich aufgenommen wurde, elf Jahre alt gewesen wäre anstatt 16 wie in den geteilten Beiträgen behauptet. 

Ergebnisse von KI-Analysetools

AFP hat das Bild zusätzlich mit GetReal Labs analysiert. Dabei handelt es sich um ein Cybersicherheitsunternehmen, das forensische Analysen einsetzt, um synthetische Inhalte zu erkennen. Die Analyse von GetReal Labs bestätigte, dass das Bild synthetisch ist.

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Screenshot der Analyseergebnisse von GetReal Labs zu dem online geteilten Bild

Zusätzlich hat AFP das Bild mit dem KI-Erkennungstool Hive Moderation analysiert, das bei einer Zuverlässigkeit von 99,9 Prozent festgestellt hat, dass das Bild mit hoher Wahrscheinlichkeit KI-generierte oder Deepfake-Inhalte enthält.

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Screenshot der Analyseergebnisse von Hive Moderation zu dem online geteilten Bild: 21. Juli 2025

AFP fand ein Facebook-Video vom 5. Juli 2025 mit demselben Geiger wie auf dem gefälschten Bild. In dem Video spielt er zu einer Hintergrundmusik, die wie Geigenmusik klingt.

Mithilfe von Standbildern des Videos und dem Vergrößerungswerkzeug von InVid, einem Analysetool für Bilder und Videos, stellte AFP einige Unstimmigkeiten fest. Der Musiker sieht blind aus – das könnte zwar authentisch sein, die Gesichter im Hintergrund erinnern jedoch an Zombies oder scheinen Sonnenbrillen zu tragen, was auf eine Fälschung hindeutet. 

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Screenshot eines Standbildes in dem Tool InVid, Hervorhebung des Gesichts einer Person von AFP hinzugefügt, die eine Sonnenbrille zu tragen scheint

Die Person links des Musikers sieht aus, als hätte sie kein Brustbein, und ihre Rippen sind bis zum Hosenbund zu sehen.

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Screenshot eines Standbildes in dem Tool InVid, Hervorhebung der Personen im Hintergrund von AFP hinzugefügt

Zusätzlich hat AFP den Ton des Videos mit Deepfake Total analysiert, einem Tool, das Audio-Deepfakes erkennt. Mit einer Bewertung von 74 Prozent ist es dem Tool zufolge sehr wahrscheinlich, dass die Musik KI-generiert ist.

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Screenshot der Analyseergebnisse von Deepfake Total zum Ton des Videos: 22. Juli 2025

Mithilfe des Bildgenerierungstools von ChatGPT erstellte AFP mit einer detaillierten Eingabeaufforderung basierend auf dem online geteilten Bild weitere Darstellungen, die dem irreführenden Bild ähneln.

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KI-generierte Bilder, die AFP mit dem Bildgenerierungstool von ChatGPT erstellt hat, Wasserzeichen von AFP hinzugefügt: 21. Juli 2025

Die ersten Konzentrationslager, die 1933 kurz nach Adolf Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler eingerichtet wurden, dienten in erster Linie der Inhaftierung politischer Gegner der nationalsozialistischen Politik. Bis Ende 1942 waren sechs Vernichtungslager in Betrieb, darunter Auschwitz-Birkenau. Auf der Wannsee-Konferenz wurde 1942 schließlich die Vernichtung der Jüdinnen und Juden in den besetzten Gebieten Europas beschlossen.

In Auschwitz-Birkenau, dem größten Vernichtungslager, wurden zwischen 1940 und 1945 etwa 1,1 Millionen Menschen systematisch ermordet – von insgesamt 1,3 Millionen Menschen, die dorthin deportiert wurden. Etwa eine Million der Getöteten waren Jüdinnen und Juden, unter den übrigen Opfern befanden sich Roma, russische Kriegsgefangene und Polinnen und Polen.

AFP hat bereits weitere Falschinformationen zum Holocaust widerlegt, darunter auch KI-generierte Bilder

Fazit: Ein Bild eines angeblichen Geigers im nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ist KI-generiert. Das zeigen visuelle Unstimmigkeiten sowie historische Fehler. KI-Erkennungstools bestätigen, dass es höchstwahrscheinlich mit künstlicher Intelligenz erstellt wurde. Auch die angebliche Geschichte des Bildes ist erfunden, da sie ebenfalls einzelne historische Widersprüche enthält. 

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