
KI-Fälschungen zum Holocaust beunruhigen Angehörige und Forschende
- Veröffentlicht am 17. Juli 2025 um 15:01
- Aktualisiert am 17. Juli 2025 um 15:28
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Anna MALPAS, Maja CZARNECKA, Katharina ZWINS, AFP Großbritannien
- Übersetzung: AFP Österreich
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Ein Facebook-Beitrag zeigt ein Foto eines hübschen, Mädchens mit lockigen Haaren auf einem Dreirad. Darüber steht, es handle sich um Hannelore Kaufmann, eine 13-Jährige aus Berlin, die im Konzentrationslager Auschwitz in Polen gestorben sei. Tatsächlich gibt es kein solches Holocaust-Opfer und das Foto ist nicht echt. Es wurde mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) erzeugt. Content-Creator, oft mit Sitz in Südasien, produzieren solche Beiträge gegen Bezahlung, die auf emotionale Reaktionen von Menschen zum Holocaust in westlichen Ländern abzielen, berichteten Fachleute AFP. Kritikerinnen und Kritikern zufolge sind solche KI-generierten Bilder, Texte und Videos beleidigend und tragen zur Verzerrung des Holocaust bei, indem sie ein "Fantasie-Auschwitz" erschaffen.
Das Auschwitz-Museum warnte vor diesem Trend. "Wir haben es hier mit der Schaffung einer falschen Realität zu tun – weil Bilder gefälscht werden... die Geschichte verfälscht wird", sagte Museums-Sprecher Pawel Sawicki gegenüber AFP. Das Museum an der Stätte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, wo eine Million Jüdinnen und Juden im von den Nazis besetzten Polen ermordet wurden, bemerkte die Beiträge erstmals im Mai 2025, sagte Sawicki.
Manche Postings reproduzierten die Beiträge des Museums über Opfer, änderten die Bilder jedoch mithilfe von KI, ohne dies zu kennzeichnen. "Man sieht, dass das Foto auf dem Original basiert, aber völlig verändert wurde", sagte Sawicki. Ein aktueller Beitrag über einen polnischen Mann wurde mit einem "empörenden" KI-Bild eines asiatischen Mannes neu erstellt, fügte er hinzu.
In anderen Fällen seien "sowohl Foto als auch Geschichte erfunden", sagte Sawicki und beschrieb "Menschen, die nie existiert haben". Ein Mädchen mit einer Blume im Haar wird etwa als Yvette Kahn bezeichnet, die in Auschwitz gestorben sein soll. Ein solches Opfer taucht jedoch in den Datenbanken nicht auf.
Manchmal stimmen die Details nicht überein. Ein Mädchen namens Hanni Lore oder Hannelore Kaufmann lebte in Westdeutschland – nicht in Berlin – und starb im Lager Sobibor – nicht in Auschwitz, laut der Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem in Israel. Beiträge fügen emotionale Elemente hinzu, etwa dass Kaufmann ihr Dreirad liebte. Der Sprecher des Auschwitz-Museums betonte jedoch: "Wir haben im Allgemeinen keine Informationen über das Leben dieser Personen."
Beschwerden an den Facebook-Eigentümer Meta führten laut Sawicki nicht zu Maßnahmen. "Leider scheint es aus Sicht der Plattform keine Regelverstöße zu geben." Facebook erlaubt fotorealistische generative KI-Inhalte, fordert aber, dass diese gekennzeichnet werden, sagten Forscherinnen und Forscher. Auf eine AFP-Anfrage reagierte Meta nicht.
AFP arbeitet derzeit in 26 Sprachen im Rahmen des Faktencheckprogramms mit Meta zusammen, bei dem der Konzern für Faktenchecks von rund 80 Organisationen weltweit auf seiner Facebook, Instagram und Threads zahlt.
Content-Creator verdienen damit Geld
Laut Fachleuten wurde die Verbreitung von Inhalten zum Holocaust, bei dem sechs Millionen Jüdinnen und Juden starben, durch Facebooks Funktion zur Monetarisierung von Inhalten angeheizt. "Sie erstellen diese Bilder, die Menschen zum Liken oder Kommentieren bringen, und verdienen damit Geld", sagte Martin Degeling, Forscher der gemeinnützigen Organisation AI Forensics, gegenüber AFP. Um "emotionale Reaktionen hervorzurufen, muss man ständig das Thema wechseln", und der Holocaust scheint das neueste Thema zu sein, so Degeling.
Mindestens ein Dutzend Facebook-Seiten und -Gruppen posten solche Inhalte, viele mit Administratoren aus Ländern wie Indien, Pakistan und Sri Lanka. In Europa oder den USA wäre die Monetarisierung solcher Beiträge "kein nachhaltiges Einkommen", aber in ärmeren Ländern "kann man davon leben", sagte Degeling.
Holocaust-Beiträge erscheinen oft auf Seiten, die früher von US- oder britischen Organisationen betrieben wurden. "Es ist lukrativer, Länder mit hohem Einkommen" über gehackte oder ruhende Accounts anzusprechen, sagte Degeling. Eine Seite trägt immer noch den Namen "The Two Pennies Pub" in North Shields in Nordostengland. Clare Daley, die die Social-Media-Seite des Pubs betreut, sagte AFP, das Konto sei gehackt worden, aber Meta habe nichts unternommen. "Das ist sehr schade, weil wir dort jahrelange Beiträge und Follower hatten", sagte sie. Die Seite wird jetzt in Sri Lanka verwaltet und hat über 23.000 Followerinnen und Follower.
Bilder laut Forscherin "unglaublich beleidigend"
Gefälschte Porträts von Holocaust-Opfern verärgern besonders die Familien der Opfer. "Wenn ich sehe, dass sie diese Bilder posten, scheint es fast wie Hohn, als könnten wir diesen Verlust künstlich nachbilden", sagte die 31-jährige Shaina Brander, 31, die in New York im Finanzbereich arbeitet. Ihre 100-jährige Großmutter, Chajka Brander, verlor während des Holocaust ihre ganze Familie, Lagerwächter nahmen ihr alle Fotos weg. Ihr Vater wurde vor ihren Augen erschossen, und "sie erinnert sich nicht mehr, wie er aussieht", sagte Brander. "Man kann kein KI-Foto erstellen, um ihr dieses Bild zurückzugeben."
Holocaust-Pädagogin Sofia Thornblad postet auf Tiktok über KI-generierte Videos, die den Holocaust simulieren, die sie "unglaublich beleidigend" nennt. Die Chefkuratorin des Sherwin Miller Museums für jüdische Kunst in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma verwies auf einen Clip mit dem Titel: "Ich habe die KI gefragt, wie es war, Gefangener in Auschwitz zu sein". Das Video, das über 74.000 Likes erhielt, zeigt rosige Gefangene und relativ bequeme Etagenbetten. Tiktok kennzeichnet dies als "sensiblen Inhalt" mit einer Option, "Fakten über den Holocaust zu lernen".
"Wir haben Bilder davon, wie die Befreiung der Konzentrationslager aussah, und das ist absolut entsetzlich", sagte die 31-jährige Thornblad, 31, gegenüber AFP. Das KI-Video wirke "fast neutral", so Thornblad. "Es ist wie ein Fantasie-Auschwitz."
Für Mykola Makhortykh, der die Auswirkungen von KI auf das Holocaust-Gedenken erforscht, "sollten wir äußerst besorgt sein". Chatbots seien "besonders besorgniserregend" für historische Informationen, sagte der Dozent der Universität Bern gegenüber AFP. "Manchmal erfinden sie sogar quasi fiktive historische Zeugen und Beweise." Sie könnten "halluzinieren", also nicht existierende Ereignisse erzeugen – wie dass Jüdinnen und Juden massenhaft ertrunken sind, sagte er.
KI-Anbieter müssten bessere Informationsquellen nutzen, sagte er, aber auch Holocaust-Museen müssten sich "anpassen". Einige nutzen KI bereits, um die Erinnerungen von Überlebenden zu bewahren.
Das britische National Holocaust Centre and Museum interviewte etwa elf Überlebende für sein "Forever Project". Mithilfe Künstlicher Intelligenz können Besucherinnen und Besucher "mit" Steven Mendelsson sprechen, der in einem Kindertransport nach Großbritannien kam und im Jahr 2017 starb, sagte Museumsdirektor Marc Cave gegenüber AFP. "Das ist eine großartige, respektvolle Art, mit Steve umzugehen", sagte er. "Unsere ethische Richtlinie lautet: Behandle die Technologie, als wäre sie die echte Person."
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