
Gefälschter Nachrichtenbeitrag zu totem Arzt mit angeblicher Verbindung zu Brigitte Macron im Umlauf
- Veröffentlicht am 18. Juli 2025 um 13:24
- 10 Minuten Lesezeit
- Von: Cintia NABI CABRAL, AFP Frankreich
- Übersetzung: Johanna LEHN , AFP Deutschland
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Am 29. Juni 2025 sei "ein Mann nach einem schrecklichen Sturz aus seinem Fenster im zwölften Arrondissement von Paris tot aufgefunden" worden, lautet der deutsche Untertitel eines französischsprachigen Videos, das am 4. Juli 2025 auf Facebook geteilt wurde. Dabei habe es sich um den 58-jährigen Chirurgen François Faivre gehandelt. Im Bild sind Feuerwehrleute und Polizeibeamte zu sehen, die vor einem Gebäude in Paris stehen, wo der mutmaßliche Arzt zu Tode gekommen sein soll.
Anschließend wird eine Frau eingeblendet und eine männliche Stimme erklärt: "François Faivres Schwester, Anne Dupont, behauptet, er sei nicht suizidgefährdet gewesen und dass sein Tod wahrscheinlich mit dem Interview zusammenhängt, das er geben sollte." Dupont zufolge habe Faivre öffentlich über seinen ehemaligen Kollegen Patrick Bui sprechen wollen. Bui wiederum habe geschlechtsangleichende Eingriffe bei Brigitte Macron, der Ehefrau des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, vorgenommen. Daraufhin ist ein Ausschnitt aus einem angeblichen Interview mit dem Promi-Magazin "Closer" zu sehen, in dem Faivre die Enthüllung anzukündigen scheint.
Das Video wurde auch auf Telegram sowie auf verschiedenen Sprachen wie Englisch, Französisch, Italienisch, Katalanisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Spanisch und Russisch geteilt.

In französischsprachigen Beiträgen wird außer dem Video auch ein Artikel vom 1. Juli 2025 der französischen Website Enquête du jour verlinkt, die laut Selbstbeschreibung "ein unabhängiges Medium" ist, "das sich aktuellen Themen in Frankreich widmet". Demnach sei die Mission des Mediums, "zuverlässige, zugängliche und verständliche Informationen anzubieten, die uns helfen, die Welt um uns herum besser zu verstehen".
Der Inhalt des Artikels und des Videos ist jedoch haltlos. Es gibt keinen Nachweis für die Existenz eines Arztes namens François Faivre und der Artikel wurde einer Journalistin zugeschrieben, deren Identität gestohlen wurde.
Seit der Ausstrahlung der umstrittenen Youtube-Serie "Becoming Brigitte" der US-amerikanischen konservativen Bloggerin Candace Owens im Januar 2025 haben ihre angeblichen Enthüllungen zusammen mit jenen von Xavier Poussard, dem ehemaligen Herausgeber des rechtsextremen Newsletters "Faits et Documents" (zu Deutsch: Fakten und Dokumente), eine anhaltende Desinformationsflut in sozialen Medien über die angebliche Transidentität der Ehefrau von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ausgelöst. Diese Falschbehauptung kam erstmals wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 2022 in Frankreich auf.
Das viel geteilte Video enthält auch zahlreiche Verweise auf die Youtube-Serie, darunter eine Titelseite (bei Minute 22:07) des Promi-Magazins "Closer" und ein Schwarz-Weiß-Bild von Patrick Bui (bei Minute 24:56), dem Chirurgen, der angeblich Brigitte Macron operiert hat.
Nachrichtenbericht voller Widersprüche
Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche konnte AFP den Ursprung einiger Aufnahmen herausfinden, die im Video verwendet wurden. So stammen beispielsweise die Sequenzen von Feuerwehrleuten und Polizeibeamten aus einem AFP-Video vom 14. Oktober 2022, die an der Porte de Vincennes im zwölften Arrondissement in Paris entstanden sind.
Das Originalvideo, das am 15. Oktober 2022 im AFP-Archiv veröffentlicht und mehr als zwei Jahre vor dem angeblichen Tod des Arztes aufgenommen wurde, handelt nicht vom Tod eines Chirurgen. Laut Beschreibung zeigt es stattdessen eine Szene, nachdem ein Mann von einem Polizeibeamten erschossen wurde, da er sich Polizeianweisungen widersetzt hatte.

Der mutmaßliche Reporter und die Interviewten in dem angeblichen Nachrichtenbericht sprechen zudem mit Akzenten, die schwer zu identifizieren sind. Eine Analyse der Tonspur mit dem Deepfake-Stimmerkennungsprogramm Hiya im Verifizierungs-Tool InVID-WeVerify ergab einen Wert von 98 Prozent. Dieser Wert deutet darauf hin, dass die Audiospur "höchstwahrscheinlich KI-generiert" wurde.

Identität von François Faivre ist erfunden
Den angeblichen Chirurgen François Faivre betreffend behauptet der Nachrichtenbericht, dass Faivre "sechs Jahre lang im American Hospital in Paris" an der Seite des Arztes Patrick Bui gearbeitet habe, der ihm angeblich "von den körperlichen Veränderungen berichtet habe, die Brigitte Macron während einer dort durchgeführten Geschlechtsumwandlung erfahren habe". Zwar steht ein Mann namens Patrick Bui auf der Ärzteliste des Krankenhauses. Das American Hospital in Paris bestätigte gegenüber AFP am 8. Juli 2025 jedoch, dass es "keine Aufzeichnungen darüber gibt, dass ein François Faivre als plastischer Chirurg" bei der Klinik tätig war.
Eine Stichwortsuche im Verzeichnis der französischen Krankenkassen, worin alle praktizierenden Ärztinnen und Ärzte in Frankreich aufgelistet sind, führte zu keinem Ergebnis eines Chirurgen namens François Faivre.

Auch andere Elemente deuten darauf hin, dass das Video eine Fälschung ist.
In dem 43-sekündigen Ausschnitt, der ein Vorabgespräch des Magazins "Closer" mit Faivre darstellen soll, blinzelt der angebliche Chirurg nicht ein einziges Mal. Das merkte auch die französische Zeitung "20 minutes" in einem Faktencheck an.
Zudem spricht die Off-Stimme auf Französisch von einer Journalistin von "Closer", während im Text des Videos von einem Journalisten die Rede ist. "Closer" erklärte am 11. Juli 2025 auf AFP-Anfrage, dass "kein 'Closer'-Journalist" den angeblichen Arzt interviewte. "Das Interview ist komplett gefälscht, es handelt sich um eine Falschinformation", erklärte die Redaktion.
In dem Ausschnitt sind darüber hinaus einige Unstimmigkeiten zu sehen. Zum Beispiel ist auf dem Diplom in der oberen rechten Ecke der Beginn der Überschrift "World Association of ..." zu erkennen, während die restlichen Wörter unscharf sind. Eine Wandverkleidung befindet sich nur auf der linken Seite des Bildausschnitts, rechts des Mannes fehlt sie im Hintergrund.

Um Faivre anhand des Videomaterials und seines Porträts zu identifizieren, verwendete AFP das Gesichtserkennungsprogramm Pimeyes und fand auf der Website iStock von Getty Images ein Foto einer Person mit ähnlichen Gesichtszügen. Den Bildinformationen zufolge wurde es am 28. Mai 2017 veröffentlicht.

Dasselbe Gesicht taucht auch in verschiedenen Werbeanzeigen auf, die nichts mit der online geteilten Behauptung zu tun haben.
Das könnte darauf hindeuten, dass es sich um einen Schauspieler oder ein Model handelt, dessen Bild von KI in einem irreführenden Kontext verwendet wurde – eine Methode, über die AFP bereits in ähnlichen Fällen berichtet hat. Es könnte sich jedoch ebenso um ein Bild handeln, das von KI generiert wurde und keine reale Grundlage hat.
Website stahl Identitäten von sechs Journalisten
Die Website Enquête du jour, auf der der Artikel veröffentlicht wurde, enthält keine Informationen über ihre Gründer und verfügt weder über einen rechtlichen Hinweis noch über Kontaktdaten.
Eine Suche auf der Website Whois, die Informationen zu Website-Domainnamen bereitstellt, zeigt, dass Enquête du jour am 25. Juni 2025 erstellt wurde – nur eine Woche vor der Veröffentlichung des Artikels mit dem Titel "Chirurg, der mit Gerüchten über die Transidentität von Brigitte Macron in Verbindung gebracht wird, tot in Paris aufgefunden". Die Domainregistrierung wurde zuletzt am 30. Juni 2025 aktualisiert.

Unter dem Namen "Ano Nymous" wurde die Website in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware erstellt.
Der auffälligste Aspekt dieser Website und mehrerer darin enthaltener Artikel ist der Identitätsdiebstahl von sechs französischen Journalistinnen und Journalisten, von denen die meisten für die Nachrichtenwebsite Streetpress arbeiten: Audrey Parmentier, Aurélien Defer, Clara Monnoyeur, Lina Rhrissi, Pauline Gauer und Sophie Boutboul. Auf Anfrage des Formats "Vrai ou Faux" des französischen Senders Franceinfo bestätigte die freiberufliche Journalistin Audrey Parmentier, deren Identität für die Autorinnenschaft des gefälschten Artikels gestohlen wurde, dass sie weder diesen Artikel noch einen der anderen verfasst habe, die ihr auf der Website zugeschrieben werden. Die übrigen betroffenen Journalistinnen und Journalisten bestätigten das ebenfalls im Artikel von Franceinfo.

Der freiberufliche Journalist Aurélien Defer erklärte auf AFP-Anfrage am 3. Juli 2025, dass er "völlig überrascht" gewesen sei, als er erfahren habe, dass seine Identität gestohlen worden sei. "Es ist überhaupt nicht angenehm, sein Foto und seinen Namen als Urheberangabe unter Artikeln zu sehen, die in einer groß angelegten Desinformationskampagne verwendet werden", erklärte er. "Glücklicherweise hat die Redaktion von Streetpress schnell reagiert und unterstützt uns bei rechtlichen Schritten."
Er führte weiter aus: "Soweit ich weiß, dienen fast alle veröffentlichten Artikel dazu, dieser Website den Anschein einer zuverlässigen, allgemeinen Informationsquelle zu verleihen, damit sie Falschinformationen über Brigitte Macron verbreiten kann." Dieses Vorgehen "ähnelt denen, die bereits in früheren prorussischen Desinformationskampagnen zum Einsatz kamen, obwohl ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass es einen Zusammenhang gibt", erklärte Defer.
Diese Methode ähnelt der von Storm-1516, einer prorussischen Einflusskampagne, die in großem Umfang falsche Informationen erstellt und verbreitet hat. "Storm-1516 ist mindestens seit August 2023 aktiv und könnte aufgrund seiner Größe die öffentliche Debatte in Europa beeinflusst und sogar mehrere Wählerstimmen beeinflusst haben", erklärt das französische Verteidigungsministerium online. "Das Ziel solcher Desinformationskampagnen ist es, die Integrität einer Wahl in Frage zu stellen, einen Kandidaten zu verunglimpfen oder zu unterstützen, je nach den Interessen Russlands."
"KI wird verwendet, um Deepfakes zu erstellen, das heißt Videos, die Personen des öffentlichen Lebens oder sogar anonyme Internetnutzerinnen und -nutzer imitieren, um die verbreiteten Botschaften glaubwürdiger zu machen", heißt es auf der Website des Ministeriums.
In einem Artikel vom 4. Juli 2025 kündigte Streetpress an, rechtliche Schritte "wegen Identitätsdiebstahls einzuleiten, um den Ruf der Journalistinnen und Journalisten zu verteidigen". Das Medium klage "aber auch vor einem Zivilgericht, um die vollständige Schließung der Website zu erreichen".
Fazit: Ein Nachrichtenbericht und ein Artikel zum angeblichen Tod eines mutmaßlichen Arztes, der Enthüllungen zu einer Geschlechtsangleichung von Brigitte Macron angekündigt haben soll, sind gefälscht. Es gibt keine Hinweise auf die Existenz eines Arztes in Frankreich mit dem im Video und Artikel verwendeten Namen. Zudem ist eine vorgebliche Interviewsequenz höchstwahrscheinlich KI-generiert. Verschwörungserzählungen um Brigitte Macrons Geschlecht kursieren bereits seit kurz vor der französischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2022.