
Bürgergeld wird nicht ab Juni 2025 direkt in die Ukraine überwiesen
- Veröffentlicht am 27. Mai 2025 um 16:01
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
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"Ab 01.06.2025 Bürgergeld kann direkt in die Ukraine ausgezahlt werden", verkündet eine computeranimierte Figur in einem Video, das am 7. Mai 2025 bereits auf Instagram und später auf Facebook, X, Telegram, Tiktok und Youtube verbreitet wurde. Über die Whatsapp-Tipline erreichte die Behauptung AFP ebenfalls. Auch der AfD-Politiker Christian Abel teilte das Video auf X und versah es mit dem Kommentar "Bürgergeld kann direkt in die Ukraine ausgezahlt werden? Deswegen sollen wir dummen Deutschen mehr arbeiten". Abel war zur Bürgerschaftswahl in Hamburg im März 2025 angetreten, erhielt jedoch kein Mandat.
Mit der Auszahlung von Bürgergeld in die Ukraine soll die CDU laut Video angeblich das Ziel verfolgen, Migration aus der Ukraine einzudämmen und gleichzeitig finanzielle Hilfe in der Ukraine zu leisten. Für die Beantragung des Bürgergelds und dessen Auszahlung in der Ukraine müssten Ukrainerinnen und Ukrainer lediglich auf einer der Websites der deutschen Jobcenter den entsprechenden Antrag ausfüllen und ihren Pass zur Identifikation bereithalten.

Derartige Neuerungen zum 1. Juni 2025 sind jedoch nicht bekannt.
Verabschiedete Gesetze und Änderungen bestehender Gesetze werden im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Eine Stichwortsuche nach "Bürgergeld" führte zu mehreren Änderungen des zugrundeliegenden Sozialgesetzbuches II. Die letzte Änderung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels wurde am 26. August 2024 veröffentlicht und trat rückwirkend zum 1. Januar 2024 in Kraft. Eine Auszahlung des Bürgergelds in die Ukraine ist kein Bestandteil dieser Änderung. Es geht stattdessen etwa um eine Neufassung einer Bestimmung, die die Witwenrente betrifft.
Auch in den bisherigen Kabinettssitzungen befasste sich die schwarz-rote Koalition von CDU/CSU und SPD unter Friedrich Merz (CDU) nicht mit dem Bürgergeld. Sie hatte sich im April 2025 auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt, die Ministerinnen und Minister der Regierung sind seit dem 6. Mai 2025 im Amt.
Bundesregierung plant Änderung beim Bürgergeld
In ihrem Koalitionsvertrag erklärten Union und SPD, das Bürgergeld "zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende" umgestalten zu wollen. Weiter hieß es: "Die Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, müssen deutlich reduziert werden." Für alleinstehende Leistungsberechtigte beträgt der Regelsatz im Jahr 2025 laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 563 Euro pro Monat, in Partnerschaften erhalten Leistungsberechtigte je 506 Euro. Pro Kind beträgt das Bürgergeld je nach Alter 357 bis 451 Euro. Daneben sind weitere Zahlungen wie etwa Zusatzleistungen für Kinder oder die Erstattung von Wohnnebenkosten möglich.
Mitte April 2025 erklärte die Koalition, dass Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen sind, Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sollen. Zuvor eingereiste Ukrainerinnen und Ukrainer betreffe die Änderung nicht, teilte das BMAS auf AFP-Anfrage am 26. Mai 2025 mit. Sie können weiterhin Bürgergeld beziehen, sofern sie leistungsberechtigt sind. Laut Medienberichten will die Bundesregierung mit der Änderung erreichen, dass Ukrainerinnen und Ukrainer schneller einer Arbeit nachgehen.

Insgesamt haben Ende 2024 rund 5,4 Millionen Menschen in Deutschland laut Daten der Bundesagentur für Arbeit Bürgergeld bezogen. 53,7 Prozent (2,9 Millionen) der Empfängerinnen und Empfänger sind deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger, 46,3 Prozent (2,5 Millionen) haben andere Nationalitäten. Von diesen 2,5 Millionen machen Ukrainerinnen und Ukrainer mit fast 706.000 Menschen den größten Anteil aus, gefolgt von Syrerinnen und Syrern sowie Menschen aus Afghanistan.
Stand Ende April 2025 befinden sich 1,2 Millionen ukrainische Staatsbürgerinnen und -bürger in Deutschland, schlüsselt die Informationsplattform Mediendienst Integration auf. Im Februar 2025 lag die Beschäftigungsquote der rund 900.000 erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland bei rund 32,4 Prozent. In den Jahren 2023 und 2024 waren es noch zwischen 25 und 30 Prozent.
Wie kann Bürgergeld ausgezahlt werden?
Auf AFP-Anfrage, ob Bürgergeld – auch Grundsicherung genannt – "direkt in die Ukraine ausgezahlt" werden kann, wie online behauptet wurde, erklärte ein BMAS-Sprecher: "Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden grundsätzlich auf deutsche Konten oder Sepa-fähige Konten im EU-Ausland überwiesen." Habe jemand kein solches Konto, könne "eine Zahlungsanweisung zur Verrechnung" an den Wohnort in Deutschland der leistungsberechtigten Person gesendet werden. Bei dieser Auszahlungsmethode können Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger ihre Leistung in Postbankfilialen und bei der Deutschen Post gegen Vorlage der Anweisung innerhalb eines Monats bar ausgezahlt bekommen.
Die vom BMAS angesprochenen Sepa-fähigen Konten sind Bankkonten in Ländern des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums – also in den "27 EU-Staaten, Island, Liechtenstein, Norwegen sowie Monaco, der Schweiz, San Marino, Andorra, dem Staat Vatikanstadt und dem Vereinigten Königreich", wie die Deutsche Bundesbank aufzählt. Sepa steht dabei für "Single Euro Payments Area", den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum.
Die Ukraine fehlt in dieser Aufzählung. Auch ein Sprecher des Sozialverbands Deutschland, der Menschen in Deutschland unter anderem zum Thema Bürgergeld berät, erklärte auf AFP-Anfrage am 27. Mai 2025, dass "eine Überweisung auf ein Bankkonto [...] im europäischen Ausland möglich" sei, wozu die Ukraine nicht zählt.
Im Hauptantrag für Bürgergeld wird als Kontoinformation zudem eine 22-stellige Iban gefordert. Die International Bank Account Number, kurz Iban, "ist eine international standardisierte Kontonummer, die den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr erleichtert", erklärt die Deutsche Bundesbank online. Laut Auflistung der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift), einem Anbieter weltweiter Kommunikationsdienstleistungen zum Informationsaustausch zu Finanztransaktionen, sind ukrainische Iban 29 Stellen lang und nicht Sepa-fähig. Demzufolge ist eine direkte Überweisung von Bürgergeld in die Ukraine ausgeschlossen.
Wer Bürgergeld bekommt, muss in Deutschland sein
Die Ausgestaltung des Bürgergelds ist im Sozialgesetzbuch II geregelt. Leistungsberechtigt ist demzufolge, wer in Deutschland lebt und als erwerbsfähig und hilfsbedürftig gilt. Das erklärte auch der Sprecher des Sozialverbands Deutschland. Bürgerinnen und Bürger aus anderen Staaten benötigen zusätzlich eine Aufenthaltserlaubnis oder vorläufige Aufenthaltserlaubnis. Zudem müssen sich Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger laut Gesetz "im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters aufhalten und werktäglich dessen Mitteilungen und Aufforderungen zur Kenntnis nehmen können".
Für maximal 21 Tage pro Jahr können sie Urlaub machen, den sie allerdings vom Jobcenter genehmigen lassen müssen. Leistungsberechtigte Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen somit für höchstens drei Wochen in die Ukraine oder an einen anderen Ort fahren und können nicht in Deutschland Bürgergeld beziehen, während sie in der Ukraine leben. Auch der Sozialverband erklärte, es sei "nicht möglich, Bürgergeld im Ausland zu beziehen".
Das Center for Countering Disinformation, eine Organisation, die vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine im März 2021 ins Leben gerufen wurde, veröffentlichte am 21. Mai 2025 einen Beitrag auf X zu dem online kursierenden Video. Darin bezeichnete sie es als "Fake" und nannte einen prorussischen Telegram-Kanal als Quelle der Falschbehauptung. Eine AFP-Anfrage an die Organisation nach dem konkreten Kanal blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
AFP widerlegte bereits mehrere Falschbehauptungen zu Ukrainerinnen und Ukrainern in Bezug auf Sozialleistungen und angebliche Vorteile in Deutschland und Österreich sowie allgemein zum Krieg in der Ukraine.
Fazit: Bürgergeld wird nicht auf ukrainische Konten ausgezahlt. Zwar sind Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen, antragsberechtigt. Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger brauchen jedoch ein deutsches Konto oder eines, das Sepa-fähig ist. Dazu zählen ukrainische Konten nicht.