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Gesamter Talkshow-Auftritt von Habeck ist weiterhin online abrufbar
- Veröffentlicht am 20. Februar 2025 um 15:08
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Gundula HAAGE, AFP Deutschland
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Im Bundestagswahlkampf 2025 spielen Debatten um mögliche Verschärfungen der deutschen Migrationspolitik eine bedeutende Rolle. Am 4. Februar 2025 war Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" zu Gast und wurde von Moderator Lanz unter anderem zu diesem Themenkomplex befragt. Seitdem wurde ein kurzer Clip aus der Sendung vielfach in sozialen Medien geteilt.
"Hört euch das an!!!!!!", schrieb ein Tiktok-Nutzer am 5. Februar 2025. Dazu teilte er einen 26-sekündigen Videoclip, in dem Robert Habeck über offene Haftbefehle in Deutschland spricht und auf eine Nachfrage von Markus Lanz antwortet. Über dem Video ist folgender Text eingeblendet: "26 sek Die auf allen Aufzeichnungen entfernt wurden Teilen und Verbreiten bevor es gelöscht wird!! Lanz 04.02.25".
Auf Facebook, X, Telegram und Youtube wurde der identische Clip ebenfalls vielfach geteilt.
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Wie AFP nachweisen konnte, stammt der online kursierende Clip tatsächlich aus der Talkshow "Markus Lanz" vom 4. Februar 2025. Doch die Behauptung, der Clip sei aus allen Aufzeichnungen gelöscht worden, ist falsch.
Talkshow zur Migrationsdebatte ist online in voller Länge verfügbar
Die gesamte "Markus Lanz"-Sendung vom 4. Februar 2025 ist in der ZDF-Mediathek abrufbar (hier archiviert) – inklusive der angeblich gelöschten Sequenz. Thomas Hagedorn von der ZDF-Kommunikation bestätigte auf AFP-Nachfrage am 18. Februar 2025: "Ja, es werden die kompletten 'Markus Lanz'-Sendungen in der ZDF-Mediathek zur Verfügung gestellt." Verändert oder gekürzt werde dabei laut Hagedorn nicht. Auch die Folge vom 4. Februar 2025 mit Robert Habeck sei unverändert hochgeladen worden.
Die Talkshow fand 19 Tage vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 zu einem politisch brisanten Zeitpunkt statt: Nachdem ein psychisch kranker Mann mit afghanischen Wurzeln am 22. Januar 2025 eine Kindergartengruppe im bayerischen Aschaffenburg attackiert hatte, war der deutsche Wahlkampf verstärkt geprägt von Debatten über Migration und öffentliche Sicherheit.
Am 29. Januar 2025 hatte die konservative Partei CDU für einen Entschließungsantrag über Zuwanderungsbegrenzung eine Mehrheit im Bundestag erhalten – allerdings mithilfe von Stimmen der in Teilen rechtsextremen Partei AfD. SPD, Grüne und andere potenzielle Koalitionspartner stimmten dagegen und kritisierten den Schritt der CDU deutlich. Hunderttausende Menschen demonstrierten daraufhin bundesweit für eine deutliche Abgrenzung zur AfD. Am 31. Januar 2025 erhielt der umstrittene Gesetzentwurf unter dem Titel "Zustrombegrenzungsgesetz" im Parlament keine Mehrheit.
Vor diesem Hintergrund ist der thematische Schwerpunkt der Sendung zu verstehen. "Zur laufenden Migrationsdebatte, warum in der Praxis eine Vielzahl von Abschiebungen scheitert sowie zu Deutschlands Wirtschaftskrise", lautete die Sendungsbeschreibung der 75-minütigen Talkrunde des ZDF. Neben Habeck waren die "FAZ"-Wirtschaftskorrespondentin Julia Löhr und der Autor Olaf Sundermeyer zu Gast.
Der online kursierende Clip zeigt dabei authentische Aussagen von Robert Habeck, die dieser auf Nachfragen von Moderator Lanz weiter ausführte. Doch wurden Habecks Antworten in dem Clip zusammengeschnitten und aus ihrem Kontext gerissen.
Clip wurde auf verfälschende Weise zusammengeschnitten
Das online geteilte Video beginnt mit Habecks Worten: "170.000 offene Haftbefehle in Deutschland. 14.000 davon gegen Schwerverbrecher, gegen Gewaltverbrecher. Offene Haftbefehle – also nicht Vollzug, wo irgendwie verhandelt wird, sondern die sind vollzugspflichtig." Diese Sequenz ist in der ZDF-Mediathek ab Minute 16:36 (hier archiviert) abrufbar, wie der folgende Screenshot-Vergleich zeigt:
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Die Sequenz ist im Originalvideo Teil einer längeren Antwort von Habeck zu seinen Einschätzungen über die Migrationsbegrenzungspläne der CDU. Habeck vertritt dabei die Meinung, dass es bereits eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen zur Abschiebung von ausreisepflichtigen Straftätern gäbe. Allerdings sei nicht die Gesetzeslage das Problem, sondern deren Durchsetzung. Im Originalvideo fügt Habeck hinzu: "Und ich glaube, dass das der viel größere Punkt ist, um die Sicherheit und auch das Sicherheitsgefühl im Land zu erhöhen." Doch dieser Satz wurde aus dem Clip herausgeschnitten.
Im kursierenden Clip fragt Moderator Lanz direkt: "Herr Habeck, Entschuldigung, und das ist Ihnen jetzt aufgefallen, oder wissen Sie das schon länger?" In der ZDF-Mediathek ist dieser Moment ab Minute 16:58 abrufbar (hier archiviert). "Yes!", sagt eine künstliche Stimme in dem Clip und über Lanz' Gesicht ist für eine Sekunde eine eingezeichnete Sonnenbrille zu sehen. Diese Aufnahme ist kein Teil des Originalvideos. Auch das im Hintergrund eingeblendete Bild unterscheidet sich von demjenigen, das im Originalvideo zu sehen ist, wie der folgende Screenshot-Vergleich zeigt:
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Der Clip endet mit Habecks Antwort: "Das mit den offenen Haftbefehlen, das wusste ich, also das wusste ich schon länger." Es wird deutlich, dass die Antworten des Grünen-Politikers aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und verkürzt dargestellt wurden, um ein irreführendes Bild zu erzeugen.
Bundeskriminalamt bestätigt weitgehend die von Habeck genannten Zahlen
In sozialen Medien lösten die von Robert Habeck genannten Zahlen zu "170.000 offenen Haftbefehlen", darunter "14.000 Gewaltverbrecher" viele negative Reaktionen aus. Laut einem Sprecher des Bundeskriminalamts (BKA) treffen diese Zahlen mit einer gewissen Einschränkung zu: "Zum Stichtag 1. Januar 2025 waren in Deutschland 171.016 Fahndungen zu offenen Haftbefehlen im polizeilichen Informationssystem INPOL-Z ausgeschrieben", antwortete er auf AFP-Nachfrage am 19. Februar 2025 per E-Mail.
Der BKA-Sprecher wies jedoch darauf hin, dass die Zahl der offenen Haftbefehle nicht gleichzusetzen sei mit der Anzahl der tatsächlich gesuchten Personen, da für einige Personen mehrere Fahndungen gleichzeitig bestehen können. "Die Fahndungen zu offenen Haftbefehlen in INPOL-Z zum Stichtag 1. Januar 2025 lassen sich auf insgesamt 148.503 Personen zurückführen", führte er aus.
Unter allen offenen Haftbefehlen ließen sich zum selben Stichtag "14.302 Fahndungen (dies entspricht einem Anteil von 8,4 Prozent) dem Bereich der 'Gewaltkriminalität' nach Definition der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zuordnen". Unter "Gewaltkriminalität" werden Verbrechen wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Raub, Geiselnahme, Erpresserischer Menschenraub, schwere Körperverletzung (mit und ohne Todesfolge) und Angriffe auf Luft- und Seeverkehr zusammengefasst. Alle Definitionen finden sich auf der BKA-Website.
Alle Faktenchecks zu Falschinformationen rund um den Bundestagswahlkampf 2025 finden sich auf der AFP-Website.
Fazit: Entgegen online kursierender Behauptungen ist ein Talkshowbesuch von Grünen-Politiker Robert Habeck bei "Markus Lanz" in voller Länge online abrufbar. Ein 26-sekündiger Zusammenschnitt von Aussagen über offene Haftbefehle wurde aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und bearbeitet.