Der Weltklimarat wurde in Reaktion auf die globale Erwärmung gegründet

Der Weltklimarat (IPCC) wird wiederholt zum Ziel von klimawandelskeptischer Desinformation. Aktuell kursiert in sozialen Medien ein Sharepic, mit dem User einen kausalen Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und der Gründung des IPCC im Jahr 1988 implizieren. Doch wie Fachleute bestätigten und aus zahlreichen Forschungsarbeiten hervorgeht, wurde der menschenverursachte Klimawandel bereits lange vor der Gründung des Weltklimarats festgestellt.  

Der Weltklimarat (IPCC) wird in klimawandelskeptischen Kreisen immer wieder verunglimpft. Am 4. Dezember 2024 schrieb ein Facebook-Nutzer: "Lasst euch keinen Blödsinn erzählen, von den Geldausdentaschenziehenden dubiosen Institutionen, wie der Weltklimarat." Dazu postete er ein Sharepic, das seit Ende Oktober 2024 tausendfach in sozialen Medien verbreitet wurde. Unter dem Titel "Temperaturanstieg in Europa" zeigt es eine Grafik mit einem Temperaturverlauf der vergangenen hundert Jahre, wobei ein starker Anstieg ab den 1980er-Jahren zu sehen ist. Mit roten Pfeilen ist das Jahr 1988 markiert und als "Gründung des Weltklimarats" ausgewiesen. 

"Wenn (...) Temperaturen just in dem Moment steigen, als der Weltklimarat gegründet wurde, dessen Ziel es ist, den menschengemachten Klimawandel zu belegen, weiß man, dass man verarscht wird," kommentierte ein Telegram-Nutzer am 2. November 2024 ein beinahe identisches Sharepic, das sich lediglich durch den Schriftzug "Petr Bystron MdEP" in der rechten unteren Ecke unterscheidet. Auf Threads, X und Instagram zirkulierte das Sharepic ebenfalls, teilweise mit und teilweise ohne Bezug zu Petr Bystron. 

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Facebook- und Threads-Screenshots der Behauptung: 18. Dezember 2024

Der Politiker Petr Bystron, der für die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte deutsche Partei AfD im Europaparlament sitzt, veröffentlichte die Grafik am 28. Oktober 2024 auf seinem Facebook-Account. "Hat augenscheinlich nichts gebracht, vom Trabi auf das E-Auto umzusteigen?", schrieb Bystron dazu. Auch der Schweizer Volkspartei-Politiker und Nationalrat Andreas Glarner teilte das Sharepic am 30. Oktober 2024 auf seinem X-Account.

Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche und einer erweiterten Stichwortsuche konnte AFP keinen Post mit dem Sharepic ausfindig machen, der früher als Bystrons Beitrag datiert war.

Vertrauenswürdige Grafik wurde tendenziös bearbeitet

In einigen der Beiträge wird als Quelle der Grafik die US-amerikanischen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) genannt, deren Wasserzeichen auch auf dem kursierenden Sharepic zu erkennen ist. Und tatsächlich findet sich die Grafik auf der NOAA-Website (hier archiviert). 

Eine hervorgehobene Markierung für das Jahr 1988 sowie eine Erwähnung des Weltklimarats ist auf der Originalgrafik jedoch nicht zu finden:

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Screenshot-Vergleich der Originalgrafik der NOAA (links) und des online kursierenden Sharepics (rechts): 20. Dezember 2024

Laut NOAA-Website zeigt die Grafik die Temperaturentwicklung in Europa für die Zeitspanne 1924 bis 2024. Die Messdaten stammen dabei von tausenden Wetterstationen weltweit. 

Peter Hoffmann, Meteorologe und Forscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), bestätigte am 19. Dezember 2024 gegenüber AFP, dass die NOAA-Grafik ein realistisches Bild der Temperaturveränderungen in Europa zeige. Die rot und blau eingefärbten Grafikflächen geben keine Durchschnittstemperaturen der einzelnen Jahre an: Sie zeigen vielmehr die jährlichen Abweichungen vom Temperaturmittelwert der Jahre 1910 bis 2000. Temperaturabweichungen, die höher sind als der Mittelwert, wurden dabei rot hervorgehoben, niedrigere blau.

"Es wird deutlich, dass sich die Erwärmung in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat", erklärte Hoffmann per E-Mail. Im Jahr 2024 ist die Abweichung laut Grafik auf etwa zwei Grad gegenüber dem Referenzzeitraum angestiegen. 

"Im Vergleich zu den globalen Entwicklungen zeigt sie (die Grafik, Anm. d. Red.) zudem einen verstärkten Anstieg der Temperatur über Europa", fügte Hoffmann hinzu. Dies sei mit der Tatsache zu erklären, dass sich die Luft über Landmassen grundsätzlich stärker (hier archiviert) erwärmt als über Ozeanen. 

Die mit dem Sharepic implizierte Andeutung, die globale Erwärmung habe erst mit der Gründung des Weltklimarates im Jahr 1988 begonnen, ist jedoch falsch, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übereinstimmend erklärten.

Globale Erwärmung begann bereits vor 1988

Laut Daten des Copernicus-Klimadiensts der Europäischen Union sind die Temperaturen in Europa bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts gestiegen. Dieser Anstieg hat sich jedoch insbesondere in den vergangenen 40 Jahren beschleunigt. Das Jahr 2024 wird laut Copernicus-Prognosen mit größter Wahrscheinlichkeit als bisher wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in die Geschichte eingehen. Auch weltweit erhöhte sich die Geschwindigkeit der Erwärmung seit den 1980er-Jahren, wie eine Copernicus-Übersicht zeigt:

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Übersicht über die globalen Temperaturabweichungen seit 1940, Daten des Copernicus-Programms
(AFP / Julia Han JANICKI, Jan MROZINSKI, Thorsten EBERDING)

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) führte aus, dass die vergangene Dekade (2011 bis 2020) mit Abstand das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Aufzeichnungen war – sowohl an Land als auch im Ozean. 

Daten der US-amerikanischen Weltraumbehörde Nasa belegen diese Entwicklung ebenfalls. "Eindeutige Beweise zeigen, dass sich die Erde mit einer beispiellosen Geschwindigkeit erwärmt. Menschliche Aktivitäten sind dafür die Hauptursache", heißt es auf der Nasa-Website. Zu diesen menschlichen Aktivitäten zählen etwa der vermehrte Ausstoß von Treibhausgasen seit Beginn der Industrialisierung, die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, die Abholzung von Wäldern, Ausweitung der Landwirtschaft und intensivierte Viehzucht.

Über den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel herrscht wissenschaftlicher Konsens, wie AFP bereits in mehreren Faktenchecks überprüft hat. Zahlreiche von AFP kontaktierte Expertinnen und Experten bestätigten das wiederholt. So erklärte etwa Stefan Brönnimann, Professor für Klimatologie am Geographischen Institut der Universität Bern, für einen Faktencheck zum Anteil des Menschen an der aktuellen Erderwärmung gegenüber AFP im Jahr 2021: "Der Mensch trägt zum überwiegenden Teil zum aktuell ablaufenden Klimawandel bei." Aiko Voigt, Professor am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien, sagte in diesem Zusammenhang: "Natürliche Antriebsfaktoren spielen praktisch keine Rolle."

Matthias Mauder, Professor für Meteorologie an der Technischen Universität Dresden sagte AFP für einen weiteren Faktencheck aus dem Jahr 2022: "Diese Erwärmung wäre ohne die Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht denkbar. Solange die Menschheit weiterhin CO2 durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre emittiert, wird diese Erwärmung weitergehen." 

Im Februar 2024 antwortete Klimaforscher Jens Tambke vom deutschen Umweltbundesamt auf AFP-Anfrage für einen Faktencheck, dass 33 Prozent des CO2 in der Atmosphäre menschengemacht seien. "Und es wären theoretisch sogar 50 Prozent, wenn die Ozeane und die Landflächen uns nicht (...) jedes Jahr etwa die Hälfte unserer Emissionen dankenswerterweise 'abnehmen' würden." 

IPCC wurde wegen der Erderwärmung gegründet

Der Weltklimarat wurde im Jahr 1988 durch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) und die WMO gegründet. Nach Auskunft der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle hatten Forscherinnen und Forscher ab Mitte des 20. Jahrhunderts vermehrt festgestellt, dass sich die Atmosphäre in ungewöhnlichem Maß erwärmt und dass menschliche Aktivitäten, wie der vermehrte Ausstoß von Treibhausgasen, eine Ursache dafür sein könnten. "Ziel war es zu klären, welche Gefährdung vom Klimawandel ausgeht und wie darauf reagiert werden könnte", so die Sprecherin der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle auf AFP-Nachfrage am 18. Dezember 2024. Der Weltklimarat betreibe jedoch keine eigene Forschung, sondern trage die weltweit veröffentlichten Erkenntnisse der Klimawissenschaften zusammen, um diese wissenschaftlich einzuordnen.

Der IPCC veröffentlicht regelmäßig Berichte, die in der Wissenschaftsgemeinschaft als neutrale, zuverlässige und anerkannte Quelle für die globale Erwärmung und den aktuellen Stand der Klimawissenschaften angesehen werden. Bei internationalen Verhandlungen zur Klimapolitik leisten die IPCC-Berichte einen wichtigen Beitrag.

Im ersten Teil des am 9. August 2021 veröffentlichten sechsten Sachstandsberichts wurde festgehalten, dass die vergangenen vier Jahrzehnte jeweils wärmer waren als jedes vorangegangene Jahrzehnt seit 1850. Im Bericht heißt es zudem: "Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, Ozeane und die Landflächen erwärmt hat."  

Den online kursierenden Behauptungen, wonach es kein Zufall sein könne, dass ausgerechnet ab dem Gründungsjahr des IPCC die Temperaturen deutlich zu steigen begannen, widersprach die Sprecherin der IPCC-Koordinierungsstelle deutlich: "Die Kausalität ist anders herum als in den Posts impliziert: Der IPCC wurde gegründet, weil vermutet wurde, dass sich die Temperaturen erhöhten", schrieb sie.

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Fünf Szenarien des IPCC, wie sich die Temperatur der Erdoberfläche entwickeln könnte (AFP / Sabrina BLANCHARD, Nalini LEPETIT-CHELLA)

Auch Peter Hoffmann vom PIK bezeichnete die online kursierenden Behauptungen als "aus naturwissenschaftlicher Perspektive abwegig und fernab von Prozessen, die nach physikalischen Regeln und Naturgesetzen ablaufen".

Die Tatsache, dass der IPCC bereits vor 36 Jahren gegründet wurde und sich die Erde dennoch in beängstigender Geschwindigkeit weiter erwärme, mache vielmehr deutlich, "dass die Bündelung von Erkenntnissen aus der Klimawissenschaft nicht ausreicht, um den Klimawandel abzumildern", so Hoffmann. "Dazu braucht es politisches Handeln über Ländergrenzen hinaus, welches offensichtlich in den letzten Jahrzehnten nicht spürbar stattgefunden hat."

Auf der AFP-Website sind alle Faktenchecks zum Thema Klima gesammelt.

Fazit: Zahlreiche Forschungsarbeiten und Messdaten belegen, dass die globale Erwärmung bereits lange vor der Gründung des IPCC im Jahr 1988 begonnen hat. Der IPCC wurde als Reaktion auf die beobachtete Erderwärmung gegründet. Es herrscht wissenschaftlicher Konsens darüber, dass menschliche Aktivitäten maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind. 

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