Nein, "HAARP-Schiffe" verursachten keine Überschwemmungen in Spanien
- Veröffentlicht am 14. November 2024 um 11:55
- Aktualisiert am 14. November 2024 um 12:03
- 10 Minuten Lesezeit
- Von: Théophile BLOUDANIS, AFP Griechenland
- Übersetzung: Elena CRISAN , AFP Österreich
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"Was für ein Zufall", schrieb ein Facebook-User am 5. November 2024: "Das mysteriöse Schiff, das Strom erzeugt, war vor wenigen Tagen versehentlich vor Spanien." Darunter setzte der User den Hashtag "Haarp" und postete ein Video, auf dem ein Frachtschiff mit Auspuffrohren und Hochspannungsmasten auf dem Deck zu sehen ist. User in sozialen Medien tauften dieses "Dana-Schiff mit Haarp Antennen".
Ein weiteres Video von einem ähnlichen Schiff machte auf Instagram die Runde. Darunter kommentierte ein User: "Mit diesem Schiff , wird auf hoher See das Wetter beeinflusst und sorgt auf dem Festland ,entsprechend für UNWETTER , wie Tornados !!" Auch auf Telegram kursierte die Theorie, es handele sich um eine "HAARP-Anlage", welche "Unwetter auslösen" könne. "Hinter der Katastrophe steckt Klima-Manipulation", heißt es in einem weiteren Facebook-Posting.
Ähnliche Beiträge wurden auch auf Griechisch, Französisch, Niederländisch und Spanisch geteilt.
Doch diese Behauptungen sind falsch. Bei den in den Videos zu sehenden Schiffen handelt es sich um schwimmende Kraftwerke eines türkischen Unternehmens, das nichts mit HAARP oder Wettermanipulation zu tun hat, wie ein Experte gegenüber AFP erklärte.
Außerdem liefern die Videos keinen Beweis dafür, dass die Schiffe vor oder nach den Überschwemmungen vor der Küste Valencias waren. Im Gegenteil: AFP fand heraus, dass sich eines der Schiffe zu dieser Zeit vor der Küste Ghanas befand. Ein weiteres Video tauchte im Netz auf und zeigt, dass sich ein ähnliches Schiff Ende September 2024 in der Nähe der Insel Gran Canaria befand.
Schließlich ist das Forschungsprogramm HAARP nicht in der Lage, das Wetter zu beeinflussen oder Stürme zu verursachen, wie etwa diese AFP-Recherche zeigt.
Tod und Verwüstung werden wahrscheinlicher
Am 29. Oktober 2024 wurde die Region Valencia von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht (hier archiviert), die zu tödlichen Überschwemmungen führten, die unermessliche Schäden anrichteten. 219 Menschen starben, 78 werden noch vermisst. Die spanische Regierung kündigte ein Hilfspaket in Höhe von 10,6 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der verwüsteten Region an.
Laut World Weather Attribution (WWA, hier archiviert) waren die verheerenden Regengüsse und Überschwemmungen in Valencia am 29. Oktober 2024 zwölf Prozent stärker und doppelt so wahrscheinlich wie in einer Welt vor dem Klimawandel. WWA ist eine internationale Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Meteorologen, die die Rolle des Klimawandels bei extremen Wetterereignissen untersuchen. Die Expertinnen und Experten stellten keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Klimawandel fest, sagten aber, dass dieser "sehr wahrscheinlich" die Ursache sei.
Laut dem Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC, hier archiviert) kommen aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels extreme Wetterereignisse öfter vor, die Überschwemmungen und Dürren mit schwerwiegenderen Folgen verursachen.
Doch worauf sind die tödlichsten Überschwemmungen innerhalb einer Generation in Spanien zurückzuführen? Expertinnen und Experten erklärten gegenüber AFP, dass sie auf starke Stürme zurückzuführen seien, die durch die globale Erwärmung, eine schlechte Stadtplanung und ein mangelndes Verständnis der Wetterlage begünstigt werden.
Schiffe waren nicht vor Spanien
Eines der ersten Videos, das AFP finden konnte, in dem die falsche Behauptung verbreitet wurde, war dieser griechische Beitrag auf Facebook vom 3. November 2024. Mittels umgekehrter Videosuche konnte AFP jedoch das Original (hier archiviert) finden. Dieses wurde am 11. August 2017 auf dem offiziellen Youtube-Kanal von Karpowership, einem türkischen Unternehmen, das Motorschiffe baut und betreibt, veröffentlicht. Das war demnach Jahre vor den Überschwemmungen in Valencia. Der Titel des Originalvideos lautet "Karadeniz Powership Osman Khan | Istanbul, Türkei". Das mit der falschen Behauptung geteilte Video verwendet dieselbe Hintergrundmusik wie das Original.
Einer Suche auf der Schiffsverfolgungsseite Marine Traffic mit dem Namen des Schiffes zeigt, dass das Schiff "Karadeniz Powership Osman Khan" derzeit in Ghana stationiert ist.
Laut der Website Power Technology liegt es seit 2019 im Hafen von Takoradi in Ghana. Das Schiff kann auch auf Google Maps (hier archiviert) gefunden werden.
Eine weitere umgekehrte Videosuche führte auch zum Original des Facebook-Videos mit dem Schiff, das sich laut AFP-Recherchen Ende September 2024 in der Nähe der Insel Gran Canaria befand. Es wurde am 25. September 2024 – ebenfalls lange vor den Überschwemmungen in Valencia – auf Tiktok von einem Account namens "restorantepuntomarino" (hier und hier archiviert) gepostet.
Im Video ist eine Stimme zu hören, die auf Spanisch sagt: "Ein Kraftwerk auf dem Meer. Dieses Boot ist am Mittwoch angekommen, voll mit Antennen." Zu keinem Zeitpunkt erwähnt die Person HAARP oder das Wetter.
Ein weiteres Video auf demselben Tiktok-Konto (hier archiviert) zeigt ein Restaurant namens "Punto Marino", das sich laut einer Google Maps-Suche auf der Insel Gran Canaria befindet. Das deutet darauf hin, dass sich das Schiff nicht vor der Küste von Valencia im Mittelmeer, sondern vor den Kanarischen Inseln im Atlantik befand.
Einem Artikel der spanischen Zeitung "La Provincia" vom 26. September 2024 zufolge hat ein Schiff namens "Onur Sultan", ebenfalls ein Karadeniz-Kraftwerk, tatsächlich Las Palmas de Gran Canaria angesteuert.
Schwimmende Kraftwerke verbunden mit lokalen Stromnetzen
Eine erweiterte Stichwortsuche mit dem Namen des Schiffes "Karadeniz Powership Osman Khan" ergab eine Beschreibung des Schiffes auf der Website des Unternehmens Karpowership.
Das Bild desselben Schiffes erscheint in einer Diashow von Bildern ähnlicher Schiffe, bei denen etwa 20 Schornsteine und Hochspannungsmasten an Deck installiert wurden. Die Silhouette dieser Schiffe entspricht auch der, die etwa in diesem Facebook-Video zu sehen ist.
Beide namentlich erwähnten Schiffe, die in den Videos zu sehen sind und zusammen mit den falschen Behauptungen verbreitet wurden, gehören dem türkischen Betreiber von Stromschiffen, Karpowership. Laut der Website des Unternehmens besitzt es 40 Stromschiffe, die in mehreren afrikanischen und südamerikanischen Ländern Strom erzeugen (hier archiviert). Die Schiffe der "Khan-Klasse" können zwischen 415 und 470 Megawatt Strom erzeugen (hier archiviert).
AFP hat Karpowership um eine Stellungnahme gebeten, aber bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks keine Antwort erhalten.
Lamis Aljounaidi, Energiewirtschaftlerin und Ingenieurin, die das Unternehmen Paris Infrastructure Advisory leitet, erklärte, dass ein "Powership" ein einsatzbereites mobiles Kraftwerk ist, das auf einem Schiff installiert ist und an das lokale Stromnetz angeschlossen und mit Kraftstoff versorgt werden kann.
"Im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken, deren Bau mehrere Monate dauert und die nicht einfach abgebaut werden können, ermöglicht das Powership den Einsatz von Notstromerzeugungskapazitäten, um auf unmittelbare Versorgungsbedürfnisse zu reagieren", erklärte Aljounaidi AFP in einer E-Mail am 5. November 2024.
Diese mit Diesel oder Erdgas betriebenen "Stromschiffe" würden "häufig dann eingesetzt, wenn die institutionellen und finanziellen Kapazitäten begrenzt sind, was die Entwicklung nachhaltigerer Lösungen erschwert", erklärte sie.
"Notstromanlagen wie Stromschiffe sind in der Regel teurer und daher weniger verbreitet als konventionelle Erzeugungsinfrastrukturen und kommen vor allem in Ländern mit fragiler Regierung oder finanziellen Schwierigkeiten zum Einsatz, denen es an Ressourcen oder Garantien für die Finanzierung konventioneller Infrastrukturprojekte mangelt", schrieb die Expertin. Solche Schiffe können auch nach Naturkatastrophen eingesetzt werden, wenn die vorhandene Strominfrastruktur beschädigt ist.
Laut Aljounaidi ist Karpowership einer der führenden Akteure beim Einsatz von Notstromkraftwerken dieser Art und in mehreren afrikanischen Ländern aktiv.
Historisch gesehen ist der Einsatz von Schiffen als schwimmende Kraftwerke durchaus üblich. So wurde beispielsweise 1929 der amerikanische Flugzeugträger USS Lexington einen Monat lang als Notstromkraftwerk für den Hafen von Tacoma in Washington genutzt. Es gab auch Nuklearprojekte. Die MH-1A schwimmende Nuklearstation etwa versorgte den Panamakanal mit Strom, wurde aber 2019 abgebaut.
HAARP kann das Wetter nicht beeinflussen
Das 1990 gestartete "High-frequency Active Auroral Research Program (HAARP)" ist laut eigener Website "der leistungsfähigste Hochleistungs-Hochfrequenzsender (HF) der Welt zur Erforschung der Ionosphäre".
Bis 2015 wurde HAARP von der United States Air Force (USAF) zusammen mit der United States Navy verwaltet. Nachdem die USAF im Verlauf der 25-jährigen Nutzung immer weniger Mittel für das Projekt bereit gestellt hatte, übernahm die University of Alaska Fairbanks den Betrieb der Anlage, heißt es auf der Website des Programms.
HAARP ist seit langem Gegenstand zahlreicher Verschwörungsmythen und Spekulationen. Fachleute haben gegenüber AFP wiederholt erklärt (zum Beispiel hier), dass dieses Forschungsprogramm keinen Einfluss auf das Wetter hat. AFP hat auch die Behauptung widerlegt, dass es Erdbeben wie das in der Türkei und Syrien im Jahr 2023 verursachen kann.
Laut HAARP werden die vom Sender ausgestrahlten Radiowellen nicht von der Troposphäre absorbiert, dem Teil der Atmosphäre, der das Wetter erzeugt. "Da es keine Wechselwirkung gibt, gibt es auch keine Möglichkeit, das Wetter zu kontrollieren", heißt es.
In einem früheren AFP-Faktencheck erklärte Umran S. Inan von der Stanford University gegenüber AFP, dass die von HAARP in der Ionosphäre erzeugte Erwärmung "fast eine Million Mal geringer ist als die durch Blitze verursachte".
"Angesichts der Tatsache, dass es auf unserem Planeten zu jeder Zeit etwa 2000 aktive Gewitter gibt und dass jede Sekunde durchschnittlich 50 bis 60 Blitze auf der Erde einschlagen, ist es völlig lächerlich, von einer Beeinflussung der Wetterbedingungen oder von Erdbeben durch HAARP zu sprechen", schrieb Inan in einer E-Mail vom 24. April 2024 an AFP.
Morris B. Cohen vom Georgia Institute of Technology in den USA stimmte zu, dass "HAARP nicht im Entferntesten in der Lage ist, das Wetter zu kontrollieren". "Im besten Fall ist HAARP so, als würde man den Finger in einen großen Fluss halten, um das Wasser und seine Strömung zu untersuchen. Diese Verschwörungserzählungen sind das Äquivalent zu der Aussage, dass das Halten des Fingers in einen Fluss eine massive Überschwemmung verursacht, was offensichtlich lächerlich ist", schrieb er in einer E-Mail am 24. April 2024.
Hélène Galiègue, Professorin und Forscherin für Elektromagnetismus und Antennen an der französischen Nationalen Hochschule für Zivilluftfahrt (ENAC), erklärte, dass die Troposphäre, in der klimatische und meteorologische Ereignisse stattfinden, in keiner Weise von den HF-Wellen betroffen ist, mit denen das HAARP-Projekt arbeitet. "Daher besteht keine Gefahr, dass diese Wellen das Klima in irgendeiner Weise verändern", lautet das Fazit der Professorin.
"Die durch HAARP verursachte Erwärmung von Teilchen in der Ionosphäre ist extrem lokal begrenzt und im Vergleich zu allen anderen Phänomenen, die die Teilchenbewegung in der Ionosphäre beeinflussen, wie zum Beispiel das Magnetfeld der Erde, extrem gering. Wie beim Werfen eines Sandkorns in einen Fluss ist der geringe Einfluss des Sandkorns auf das Wasser nach nur wenigen Sekunden unsichtbar", schrieb sie in einer E-Mail vom 2. Mai 2024.
Fazit: Nach den tödlichen Überschwemmungen in Spanien Ende Oktober 2024 kursierte die Falschbehauptung, dass zum Zeitpunkt der Katastrophe Schiffe vor der Küste Valencias gesichtet wurden, die mit dem US-Forschungsprogramm HAARP in Verbindung stehen und angeblich für die heftigen Regenfälle gesorgt hätten. Tatsächlich handelt es sich jedoch um Stromschiffe eines türkischen Unternehmens, die sich zu jenem Zeitpunkt nicht in der Nähe von Valencia befanden.