BBC-Bericht über ukrainische Soldaten mit Nazi-Symbolen ist gefälscht
- Veröffentlicht am 26. September 2024 um 16:00
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Marion DAUTRY, AFP Belgrad
- Übersetzung: Johanna LEHN
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"BBC-Journalisten zählten mehr als 1.000 Fälle von ukrainischen Terroristen mit Nazi-Symbolen, die die Region Kursk infiltrierten", lautet die Beschreibung eines Videos in einem Telegram-Kanal vom 4. September 2024. Das Video macht den Anschein, vom britischen Sender BBC zu stammen. Darin wird auf Englisch behauptet, Journalisten der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hätten Aufnahmen gesichtet und über nationalsozialistische Symbole bei der ukrainischen Armee berichtet. Diese Behauptung passt in ein prorussisches Narrativ, wonach die ukrainische Regierung aus Nationalsozialisten bestehe.
Dasselbe Video wird auch in Facebook-Beiträgen und auf anderen Sprachen wie Französisch, Polnisch, Serbisch und Tschechisch geteilt.
Das Video ist jedoch gefälscht. Darin ist das Logo des britischen Senders BBC zu sehen, es wurde allerdings nicht von dem Sender veröffentlicht. AFP konnte weder auf dem Instagram- noch auf dem Facebook-Kanal der BBC einen Hinweis auf das Video finden. Auch auf der Website von RSF, die im Video zitiert wird, findet es sich nicht.
Die russischen Behörden würden "den Ruf bestimmter westlicher Organisationen (in dem Fall die BBC und RSF)" nutzen, "um ihrer Kriegspropaganda Glaubwürdigkeit zu verleihen", erklärte Arnaud Froger, Leiter des RSF-Investigativteams, in einer Pressemitteilung vom 13. September 2024 (hier archiviert).
AFP sendete das Video an die BBC, die in einer E-Mail vom 20. September 2024 erklärte, dass es nicht vom Sender produziert wurde. "Das ist nicht unser Report", so ein Sprecher des Senders.
Video von prorussischen Accounts verbreitet
Eine Recherche von Mitte September 2024 von RSF zeigt, dass das Video Ende August 2024 auf nicht authentischen X-Accounts auftauchte und von bekannten westlichen Accountbetreiberinnen und -betreibern verbreitet wurde, die häufig prorussische Desinformation teilen. Auch offizielle Kanäle des Kremls teilten das Video. RSF kritisierte die sozialen Medien, vor allem X und Telegram, dafür, dass sie nichts gegen das gefälschte Video unternommen haben.
"Die russischen Behörden wissen, dass dieses Video gefälscht ist", erklärte Froger in einem Video auf X vom 13. September 2024 (hier archiviert). "Sie haben es für ihre Kriegspropaganda genutzt."
Das Design des Videos stimmt zudem nicht mit dem Design überein, das die BBC für ihre Videos auf Instagram nutzt, wie ein Vergleich mit einem BBC-Video vom 14. September 2024 zeigt (hier archiviert):
Das gefälschte Video erwähnt zwar zig Stunden an Videomaterial, das RSF ausgewertet habe, es zeigt diese Aufnahmen jedoch nicht. Stattdessen werden im Video Fotos und Clips genutzt, die überwiegend von vor der ukrainischen Offensive in der westrussischen Region Kursk im August 2024 stammen.
Im Video wird ein angebliches Zitat von Antoine Bernard, RSF-Direktor für Beratung und Unterstützung, angeführt. Die Fotos im Video, die Bernard in diesem Zusammenhang zeigen, sind auf der Website der Organisation und auf seinem X-Account zu finden (hier, hier und hier archiviert).
Das Foto eines zerstörten Trucks wird bereits mindestens seit März 2024 in russischen Netzwerken verbreitet, lange bevor die Ukraine ihre Offensive in Kursk startete. In diesen Netzwerken hieß es seither, das Foto sei in der ukrainischen Region Donezk entstanden. AFP konnte das nicht verifizieren.
Das Bild eines Mannes mit einer Kappe, auf der die schwarze Sonne beziehungsweise das Sonnenrad, ein altes europäisches Symbol, das von den Nazis verwendet wurde, zu sehen ist, wurde 2016 veröffentlicht. Es erschien in einer Pressemitteilung vom Untersuchungskomitee der Russischen Föderation zur Eröffnung eines Prozesses gegen einen Russen, dem vorgeworfen worden war, 2014 im Donbass für die Ukraine gegen Russland gekämpft zu haben. AFP konnte keine Informationen darüber finden, wann und wo das Foto aufgenommen wurde. Es stammt jedoch von lange vor der ukrainischen Offensive in Kursk.
Ein weiteres Foto zeigt den bekannten ukrainischen Rechtsextremisten Serhii Filimonov. Es wurde im Jahr 2020 auf seinem Instagram-Account hochgeladen.
Das Video eines Mannes, der einen Helm mit einem nationalsozialistischen Symbol trägt, wurde vom russischen Staatssender Russia Today veröffentlicht. Dazu wurde behauptet, es sei von ukrainischen Soldaten aufgenommen worden, die einen älteren Mann in Kursk verhöhnt haben sollen. AFP konnte diese Behauptung nicht überprüfen.
AFP konnte zudem nicht bestimmen, wer der Mann in einem anderen Teil des Videos ist, der einen Pullover mit rassistischem Aufdruck trägt und vor einer Flagge der neonazistischen Gruppe Misanthropic Division posiert. Das Foto wird jedoch seit mindestens 2022 mit der Behauptung geteilt, darauf sei ein Franzose abgebildet, der von dem französischen Sender LCI interviewt worden sei und auf Seiten der Ukraine kämpfe.
Die einzigen bestätigten Bilder eines Ukrainers, der das Symbol einer SS-Division auf einer Kappe trägt, die auch in der Region Kursk aufgenommen wurden, stammen aus einem Bericht des italienischen Senders RAI 24 und wurden in von Russland kontrollierten Medien breit gestreut. "Ich bedauere zutiefst, dass ich einem ukrainischen Soldaten, der ein Abzeichen mit einem Nazi-Symbol trug, wenn auch nur für ein paar Sekunden eine Stimme gegeben habe", erklärte der Journalist Ilario Piagnerelli auf X. Er habe das Abzeichen erst bemerkt, nachdem der Bericht gesendet worden war.
"Ukrainischer Nationalsozialismus" ist Teil russischer Propaganda
Russlands Präsident Wladimir Putin behauptete, das Ziel seines Angriffs auf die Ukraine sei die "Entnazifizierung" des Landes. Behauptungen, die Ukraine werde von Sympathisanten des Nationalsozialismus regiert, haben Expertinnen und Experten gegenüber AFP mehrfach dementiert.
Maria Domanska, Expertin für russische Politik am Zentrum für Osteuropastudien in Warschau, erklärte am 24. März 2022 in einer E-Mail an AFP, dass Putin hoffe, durch das Nazi-Narrativ innenpolitische Unterstützung für seinen Einmarsch in die Ukraine zu gewinnen. "Es geht darum, sich die Unterstützung der Behörden zu sichern, aber auch darum, die Idee der Integration der postsowjetischen Staaten in den Westen zu diskreditieren", erklärte sie. "Für den Kreml ist der neue 'Nazismus' in Wirklichkeit die liberale Demokratie."
Die Verwendung und das Bewerben von Symbolen der NS-Ideologie sind nach ukrainischem Recht verboten. Zwar haben einige ukrainische paramilitärische Gruppen wie beispielsweise das Asow-Bataillon und der Rechte Sektor, die mit dem Nationalsozialismus sympathisieren, 2014 eine gewisse Popularität erlangt. Ihr soziales und politisches Gewicht wird in der prorussischen Propaganda jedoch übertrieben dargestellt. Seit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2014 haben sich russische Neonazis Expertinnen und Experten zufolge für die eine oder andere Seite entschieden, um für sie zu kämpfen.
David Marples, Professor für Geschichte und Forscher im Programm für zeitgenössische ukrainische Studien an der Universität von Alberta in Kanada, erklärte im November 2022 gegenüber AFP für einen serbischen Faktencheck, dass "es in der Ukraine extremistische paramilitärische Gruppen gibt, von denen die bekanntesten das Asow-Bataillon und der Rechte Sektor sind". Ihm zufolge spielen sie "im politischen Leben der Ukraine keine große Rolle – das wurde von Putin und anderen erfunden". Sie seien jedoch "nicht zu vernachlässigen, und könnten an Sichtbarkeit gewinnen". Weiter erklärte er: "Heute ist der Nationalismus in der Ukraine natürlich stärker, weil das Land überfallen wurde."
Zwar gibt es Fälle, in denen ukrainische Truppen Nazi-Symbole zeigen, wie in dem Bericht von RAI 24, doch viele der vom Kreml und seinen Netzwerken verbreiteten Behauptungen über "Nazismus" beruhen auf manipulierten Beweisen wie gefälschten Medienberichten oder auch gefälschten oder aus dem Zusammenhang gerissenen Fotos und Videos, recherchierte AFP bereits in der Vergangenheit.
Alle Faktenchecks zum Ukrainekrieg sammelt AFP auf ihrer Website.
Fazit: Ein angebliche BBC-Bericht über die Entdeckung von Nazi-Symbolen ukrainischer Soldaten durch Journalisten von Reporter ohne Grenzen in Kursk ist gefälscht. Der Sender sowie die Organisation bestätigten, dass es sich um eine Fälschung handelt. Die im Video verwendeten Aufnahmen sind in der Mehrzahl lange vor der ukrainischen Offensive in Kursk entstanden.