Norwegischer Beitrag widerlegt nicht, dass CO2 Einfluss auf die Erderwärmung hat
- Veröffentlicht am 5. März 2024 um 12:28
- Aktualisiert am 5. März 2024 um 12:47
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
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"Norwegens Statistikamt widerspricht Klimanarrativ: CO2 zu schwach, um Temperatur zu beeinflussen" ist in einem Video als Überschrift eines Artikels zu lesen. "Die Klimakrise ist aufgeflogen", kommentiert die Userin, die den Artikel in dem Clip bespricht, der seit dem 6. Februar 2024 über 4000 Mal auf Facebook geteilt wurde.
Im Video ist der Instagram-Account "robertkattirs" als Quelle angegeben, dort kommt der Clip auf über 5000 Likes.
In anderen Beiträgen ist der Artikel, der von der Website "Epoch Times" veröffentlicht wurde, direkt verlinkt und wird auf Facebook, und X verbreitet. Darunter ist auch ein Beitrag der Vorsitzenden der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung Erika Steinbach.
Der Artikel fasst die Ausführungen der beiden Autoren des Diskussionsbeitrags, John Dagsvik und Sigmund Moen, zusammen. "Der Eindruck, den die Massenmedien vermitteln" sei, dass "unter vielen Klimaforschern offenbar ein weitgehender Konsens" über den systematischen und teilweise menschengemachten Klimawandel herrsche, erklären Dagsvik und Moen in der Einleitung des Beitrags. Schließlich zitiert der Artikel ihr Fazit: "Der Effekt der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen scheint nicht stark genug zu sein, um systematische Veränderungen der Temperaturschwankungen während der letzten 200 Jahre zu verursachen."
Die Website "Epoch Times" sponsert auf X eigene Posts zu ihrem Artikel über den Forschungsbeitrag:
"Epoch Times" ist bereits in der Vergangenheit durch die Verbreitung von Falschinformationen aufgefallen, die AFP widerlegt hat, wie beispielsweise die Behauptung, dass Windräder den Klimawandel verstärken würden.
Der im Artikel zusammengefasste Beitrag wurde von der norwegischen Statistikbehörde Statistics Norway im September 2023 veröffentlicht. Die Autoren Dagsvik und Moen analysieren darin die Temperaturdaten einiger Messstationen. "Anhand verschiedener Auswahlkriterien wurden 75 Zeitreihen aus 32 Ländern in der statistischen Analyse in diesem Papier" berücksichtigt, schreiben sie.
Wissenschaftliches Vorgehen des Beitrags unüblich
Kurz nach Erscheinen des Diskussionsbeitrags veröffentlichte das norwegische Statistikamt eine Stellungnahme, der zufolge der Behörde vorgeworfen wurde, Zweifel an etablierten Forschungsergebnissen zur Erderwärmung zu wecken. Forschungsdirektorin Linda Nøstbakken erklärte, der Beitrag spiegele nicht die Meinung des Statistikamtes wider. Dennoch mache sich das Amt dafür stark, dass seine Forschenden "ihre akademische Meinungsfreiheit nutzen dürfen".
Kritik an dem Papier äußerte auch Edgar Hertwich, Professor für Industrieökologie an der Norwegian University of Science and Technology, in einem Beitrag auf der norwegischen Forschungswebsite "forskersonen.no". So führt er an, "dass eine Stichprobe von Daten einiger Klimastationen zu klein ist, um etwas über das globale Klima auszusagen". Außerdem würden die in der statistischen Analyse berücksichtigten Stationen nur sechs Prozent der Erdoberfläche abdecken, wodurch die Messungen "weniger empfindlich" seien als gemeinhin in der Klimaforschung üblich sei. Deshalb zieht er die Zuverlässigkeit der Ergebnisse in Zweifel.
Ein weiterer Kritikpunkt von Hertwich ist, "dass es nicht einmal einen Hinweis auf eine Zusammenfassung des Wissens über die Auswirkungen des menschlichen Klimas gibt, die vom Weltklimarat (IPCC) erstellt wurde". Der Rückblick auf die bisherige Forschung auf das Gebiet, mit dem sich ein wissenschaftlicher Beitrag befasst, sei jedoch fester Bestandteil von eben solchen Artikeln.
Zudem gebe es ähnliche Analysen zum Einfluss des Menschen auf das Klima, die mit demselben statistischen Modell zum gegenteiligen Ergebnis kommen, nämlich dass die Erwärmung "weit über das Erwartbare hinaus zugenommen hat", so Hertwich.
Er kritisiert auch von Dagsvik und Moen verwendete Literatur. Sie führen in ihren Quellen das Buch "Die Kalte Sonne" des deutschen ehemaligen RWE-Vorstands und Ex-Politikers Fritz Vahrenholt, das Hertwich durch selektive Literatur und falsch zitierte Quellen aufgefallen sei. Auch der Überprüfung durch Klimajournalisten von "klimafakten.de" hielt es nicht stand.
Beitrag ignoriert wissenschaftlichen Konsens
Jochem Marotzke, Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max‐Planck‐Institut für Meteorologie in Hamburg sowie Mitglied der Akademie der Nationalen Wissenschaften Leopoldina, erklärte gegenüber AFP in einer E-Mail vom 29. Februar 2024: "Es gibt keinerlei Grund, der Studie im öffentlichen Diskurs irgendeine Rolle zuzugestehen." Das begründet er ebenfalls mit dem Vorgehen im Diskussionsbeitrag. Er "ignoriert nämlich hunderte von Studien und sechs IPCC-Sachstandsberichte, die eindeutig gezeigt haben: Die globale Erwärmung ist auf den Menschen zurückzuführen", so Marotzke. "Diese Studien gehen auf die Erkenntnis von Klaus Hasselmann aus dem Jahre 1979 zurück, dass man gerade NICHT einzelne Stationsdaten nehmen sollte, sondern nach dem MUSTER der erwarteten Veränderung suchen sollte."
"Der Duktus des Papiers zeigt aber, dass es um die Leugnung des menschengemachten Klimawandels geht", erklärte Marotzke weiter. "Es wird die ganze Leugner-Literatur herangezogen, nicht aber seriöse Veröffentlichungen."
Auch Peter Braesicke, Professor und Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung am Karlsruher Institut für Technologie, erklärte in einem Gespräch mit AFP am 27. Februar 2024 in Bezug auf die globale Erwärmung: "Im Mittel wird es wärmer – das bedeutet nicht, dass die Temperatur an allen Messstationen steigt." Das Fazit des Papiers, "dass es unmöglich erscheine zu ermitteln, inwieweit CO2 für den Temperaturanstieg verantwortlich ist, ist keine zulässige Schlussfolgerung", ergänzte er.
So ließe sich beispielsweise an den im Diskussionsbeitrag analysierten Daten der Messstation Hohenpeißenberg "die Klimaerwärmung gut ablesen". Die Station liege auf einem Berg im Süden von Deutschland, die Daten reichten fast bis ins vorindustrielle Zeitalter hinein – "hier würde man eine Erwärmung erwarten". Diese Daten werden Braesicke zufolge nicht ausreichend berücksichtigt und widersprechen dem Fazit des norwegischen Beitrags. Zudem kritisierte Braesicke wie auch Hertwich und Marotzke, dass unter den Veröffentlichungen, die die beiden Autoren im Literaturverzeichnis anführen, nicht-begutachtete Aufsätze von Klimaskeptikern seien.
Zwar sei der Anteil von Kohlenstoffdioxid an der Atmosphäre "prozentual wenig", erklärte Braesicke. Heute seien es über 400 ppm (parts per million), in der vorindustriellen Zeit habe sich der Wert jedoch noch auf 280 ppm belaufen. Das sei eine Steigerung von fast 50 Prozent. "Der Anteil ist immer noch gering, aber dieser geringe Anteil ist eben sehr wirksam."
CO2 verstärkt Treibhauseffekt
Auch in anderen Zusammenhängen wurde bereits der Einfluss von CO2 auf den globalen Temperaturanstieg infrage gestellt und von AFP überprüft. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.
Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz, erklärte dazu gegenüber AFP, dass die Konzentration von Treibhausgasen im Vergleich zu Stickstoff und Sauerstoff tatsächlich gering sei. "Allerdings sind letztere zweiatomige Gase, die im Wesentlichen keinen Einfluss auf die Abstrahlung der Wärmestrahlung von der Erde haben." Demgegenüber seien Treibhausgase in der Lage, Wärmestrahlung zu absorbieren und einen großen Teil davon wieder zur Erde auszusenden.
Auch laut Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sei das CO2 so schädlich, weil es den Treibhauseffekt verstärke. Die Erdatmosphäre agiere wie ein Schutzschild um unseren Planeten, wodurch die Temperaturen moderater sind. Gase wie CO2 spielten eine entscheidende Rolle dabei, die Rückstrahlung der Sonnenenergie ins Weltall zu verhindern. Moleküle mit mehreren Atomen, wie Kohlenstoffdioxid, beeinflussen die Wärmereflektion auf eine andere Weise und legen sozusagen eine wärmende Decke um die Erde.
Das IPCC schreibt im Synthesebericht zu seinem sechsten Sachstandsbericht aus dem Jahr 2021: "Menschliche Aktivitäten haben eindeutig die globale Erwärmung verursacht, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen. Dadurch lag die globale Oberflächentemperatur im Zeitraum 2011–2020 um 1,1 °C höher als der Wert von 1850–1900." Die Berichte des IPCC gelten als Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands zum Klima. Auch ein umfassendes Papier des Deutschen Klimakonsortiums zusammen mit anderen Institutionen führt aus: "Die Menschheit ist nachgewiesenermaßen Ursache der aktuellen Klimaänderung; sie ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft hauptsächlich verursacht durch die menschengemachte Verstärkung des Treibhauseffekts."
Wechsel von Kalt- und Warmzeiten spricht nicht gegen CO2-Einfluss
Douglas Maraun erklärte, dass die Klimaänderungen der letzten 100.000 Jahre, im Wesentlichen der Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten, durch Änderungen der Erdbahn und Erdneigung erzeugt wurden, welche die Verteilung der Sonneneinstrahlung über das Jahr geändert haben. "Da war CO2 in der Tat kein Treiber, sondern hat die astronomischen Änderungen nur verstärkt." Der aktuelle Klimawandel sei jedoch "im Wesentlichen" durch CO2 verursacht: "Die Sonneneinstrahlung schwankt zwar ein wenig über die Jahrzehnte, ist im Mittel seit dem Ende der kleinen Eiszeit konstant geblieben und hat in den letzten Jahrzehnten sogar eher abgenommen."
Hauke Schmidt, Geophysiker am Max-Planck-Institut für Meteorologie, erläuterte zu den Abfolgen von Warm- und Kaltzeiten der letzten 100.000 Jahre ebenfalls: "Die CO2-Konzentration der Atmosphäre variierte während dieser Zeit ungefähr zwischen 190 und 280 ppm, also weit unterhalb dessen, was wir aktuell beobachten." Für einige der Übergänge von Kalt- zu Warmzeit oder umgekehrt sehe es zudem so aus, dass die Temperatur sich erst verändere und dann das CO2 nachziehe. "Dieses wird seit längerer Zeit von Klimawandelleugnern als vermeintlicher Beweis dafür angeführt, dass der aktuelle Klimawandel nicht durch CO2 verursacht wird", so Schmidt.
Fazit: Der norwegische Diskussionsbeitrag, veröffentlicht vom dortigen Statistikamt, widerspricht dem wissenschaftlichen Konsens, wonach der Einfluss von CO2 auf die Erderwärmung als erwiesen gilt. Zudem erklärten Forscher gegenüber AFP, dass der Beitrag Literatur von Leugnern des Klimawandels zitiere und den Fehler mache, auf die Daten einzelner Stationen zu schauen, anstatt Veränderungen darin zu analysieren.