Das Foto ist nicht aktuell, sondern zeigt eine griechische Rettungsaktion von 2022
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- Veröffentlicht am 29. Juni 2023 um 15:54
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Théophile BLOUDANIS, AFP Griechenland, AFP Deutschland
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"Schiffsunglück in Pylos: Seht ihr Trauer in ihren Gesichtern? Irgendwas ist falsch. Und… wo sind die sogenannten Frauen und Kinder?", heißt es in einem griechischen Facebook-Beitrag vom 16. Juni 2023. Zwei Tage zuvor war ein mit Geflüchteten überladenes Boot vor der griechischen Küste von Pylos gekentert und gesunken. Einen ähnlichen Text teilte dieser Facebook-Beitrag.
Die Beiträge teilen ein Foto, das von einer Website stammt, die behauptet, es zeige angeblich die Überlebenden der Katastrophe von Pylos. Auf dem Foto ist eine Gruppe von Männern zu sehen. Das auf Facebook und in dem Artikel geteilte Foto zeigt jedoch keine Überlebenden der Tragödie vom 14. Juni 2023, sondern Flüchtlinge, die im September 2022 bei einer Rettungsaktion vor Pylos gerettet wurden. Das bestätigte das Medienunternehmen, das das geteilte Foto ursprünglich veröffentlicht hatte.
Im Juni war ein Boot offenbar vom libyschen Tobruk aus in Richtung Italien in See gestochen und kenterte vor der griechischen Küste. Die Behörden wissen immer noch nicht, wie viele Menschen sich genau an Bord des aktuell gesunkenen Schiffes befanden, schätzen aber, dass es zwischen 400 und über 700 gewesen seien. Insgesamt wurden 104 Menschen gerettet und in den Hafen von Kalamata gebracht, während die offizielle Zahl der Todesopfer bis zum 21. Juni 2023 bei 82 lag. Die griechischen Behörden haben neun Ägypter festgenommen, die im Verdacht stehen, Schlepper zu sein.
Eine Rettung von 2022
Eine umgekehrte Bildsuche führte zu einem Foto, das bereits in einem Artikel vom 22. September 2022 auf der Online-Nachrichtenseite "Leidiseis" erschienen war. Neben dem verbreiteten Foto, das die Gruppe von Geflüchteten zeigt, sind auch andere Fotos der Rettungsaktion zu sehen.
Im Artikel wird berichtet, dass an diesem Tag eine Rettungsaktion vor der Küste von Pylos stattgefunden habe und dass damals insgesamt 85 Menschen gerettet und in den Hafen von Kalamata gebracht worden seien.
Noch am selben Tag berichtete die Online-Nachrichtenseite "Newsbeast" ebenfalls über die Aktion und veröffentlichte die selben Fotos.
Beide Artikel verweisen auf eine Pressemitteilung der griechischen Küstenwache zu dem Einsatz. Diese Mitteilung wurde am 22. September 2022 auf der Website der Küstenwache veröffentlicht. Darin wird berichtet, dass 85 Menschen aus einem Boot 65 Seemeilen südwestlich der peloponnesischen Küste von Pylos gerettet worden seien.
Ein Vertreter von "Leidiseis" bestätigte gegenüber AFP am 20. Juni 2023 per Telefon, dass das Foto die Rettungsaktion vor Pylos vom 22. September 2022 zeige und dass es dem Medium von einer seiner Quellen zur Verfügung gestellt worden sei.
AFP berichtete ebenfalls über die Rettungsaktion. Am 22. September 2022 führte die griechische Küstenwache zwei Rettungsaktionen durch, eine vor Pylos und eine vor der Insel Leros, bei der 49 Menschen gerettet wurden und sechs Personen als vermisst gemeldet wurden.
Beim Untergang im Juni überlebten weder Frauen noch kleine Kinder
Sowohl der verbreitete Online-Artikel als auch die Facebook-Beiträge enthalten in ihren Behauptungen eine Frage nach den Frauen und Kindern an Bord des gesunkenen Schiffes sowie den Überlebenden. Im Artikel heißt es: "Wo sind die Frauen und Kinder, die angeblich da waren???"
Die griechischen Behörden berichteten, dass 104 Menschen nach dem Schiffbruch gerettet wurden, ausschließlich Männer zwischen 16 und 40 Jahren. Unter den Überlebenden befanden sich nach Angaben der griechischen Behörden sechs bis acht unbegleitete Minderjährige.
Das griechische Ministerium für Migration und Asyl bestätigte gegenüber AFP telefonisch am 21. Juni 2023, dass sich unter den Überlebenden acht unbegleitete Minderjährige befanden, Jungen im Alter von mindestens 16 Jahren. Sieben davon seien bereits in Zentren für unbegleitete Minderjährige untergebracht, während einer noch im Krankenhaus von Kalamata behandelt werde.
Einigen Zeugen zufolge sollen sich im Laderaum des untergegangenen Schiffes bis zu 100 Kinder und Frauen befunden haben. Ein AFP-Journalist, der am 14. Juni 2023 in Kalamata vor Ort war, berichtete, dass er unter den Überlebenden keine Frauen oder Kleinkinder gesehen habe.
Die Suche nach Überlebenden wurde am 20. Juni 2023 vor der Küste von Pylos fortgesetzt. Die Chancen, noch Überlebende zu finden, sinken jedoch immer weiter, je mehr Zeit seit der Katastrophe vergeht.
Nach dem Schiffsunglück kündigte der amtierende griechische Ministerpräsident Ioannis Sarmas eine dreitägige Staatstrauer an.
Darüber hinaus wird in dem irreführenden Artikel auf einen anderen Artikel verwiesen, in dem von einem Budget von über einer Milliarde Euro für das Ministerium für Migration und Asyl die Rede ist. Dies gehe aus einem offiziellen Haushaltsdokument für mehrere Programme hervor, die das Ministerium in Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen geschaffen hat.
Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine "Enthüllung", wie in dem Artikel behauptet, da dieses Dokument auf der offiziellen Website der griechischen Regierung frei einzusehen ist.
Fazit: Das verbreitete Foto zeigt keine Überlebenden des Schiffsunglücks vor Pylos vom 14. Juni 2023, die sich angesichts des Schicksals der ertrunkenen Geflüchteten ungerührt zeigen. Das Foto stammt von einer Rettungsaktion aus dem September 2022 ebenfalls vor Pylos, bei der über 80 Menschen gerettet wurden.