Die Bundesregierung besuchte nach Beginn des Ukraine-Kriegs weiterhin das Ahrtal

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  • Veröffentlicht am 20. Juli 2022 um 17:31
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
Trotz des Ukraine-Krieges besuchten immer wieder Politikerinnen und Politiker der Bundesregierung das Ahrtal, das im vergangenen Jahr von einer Flut zerstört worden war. Zehntausende User haben dennoch Anfang Juni 2022 auf Facebook die falsche Behauptung geteilt, "alle" würden nach Kiew fliegen, aber "niemand" in das Ahrtal fahren. Es gibt zahlreiche Medienberichte über Besuche von Politikerinnen und Politikern im Ahrtal. Auch die Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz dementierte gegenüber AFP ausgebliebene Besuche.

Zehntausende User haben Anfang Juni 2022 eine Texttafel mit der Behauptung auf Facebook geteilt. Auch auf Instagram und Twitter kursierte die Behauptung. Unter den Verbreitenden ist auch der nordrhein-westfälische AfD-Landtagsabgeordnete Markus Wagner sowie die Facebookseite der AfD Nordrhein-Westfalen und der dortigen AfD im Hochsauerlandkreis.

Die Behauptung: Alle User teilten den Satz: "Alle fliegen nach Kiew, aber niemand fährt ins Ahrtal." In einigen Postings ist auch die Ergänzung "Prioritäten, so wichtig" zu lesen. Facebook-User kommentieren die Behauptung mit den Worten: "Echt traurig, das man die Leute aus dem Ahrtal vergisst und nur Polittourismus in der Ukraine zelebriert" und "Wer unterstützt die Menschen im Ahrtal… niemand".

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Am 15. Juli 2021 zerstörte eine Flutwelle Städte an den Ufern der Ahr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Überschwemmungen folgten auf tagelangen Starkregen und zerstörten zahlreiche Städte. Allein im Ahrtal starben 134 Menschen. Für den Wiederaufbau stellten Bund und Länder 15. September 2021 30 Milliarden Euro bereit. Bis zur Gedenkfeier ein Jahr nach der Katastrophe nahm die Berichterstattung über die Flutfolgen etwas ab – auch, weil seit Ende Februar 2022 in der Ukraine Krieg herrscht. In diesem Kontext reisten tatsächlich viele hochrangige Politikerinnen und Politiker nach Kiew, so auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen). Die verbreitete Behauptung kursierte etwa einen Monat vor dem Jahrestag der Katastrophe.

Politische Besuche trotz Ukrainekrieg

Auch wenn die mediale und auch politische Aufmerksamkeit ab dem 24. Februar 2022 stärker auf dem Krieg in der Ukraine lag, haben Spitzenpolitikerinnen und -Politiker sowohl Kiew als auch das Ahrtal besucht. Das belegen Medienberichte einiger Besuche.

Laut Medienberichten (hier, hier, hier) haben am 29. März 2022 der Bundeskanzler, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) das von den Fluten stark getroffene Ahrtal besucht. Scholz informierte sich bei dem Besuch über den Fortschritt des Wiederaufbaus und unterhielt sich auch mit Betroffenen vor Ort.

Nachdem bereits Ende 2021 in Mainz und Düsseldorf Untersuchungsausschüsse zum Hochwasser gebildet wurden, besuchten diese die betroffenen Regionen. So besuchten Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Untersuchungsausschusses am 20. Mai 2022 Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Auch am 8. Juni 2022 besuchte Ministerpräsidentin Dreyer einen Getränkehersteller in Sinzig, der seine Produktion nach den Fluten erstmals wieder aufnahm. "Die Landesregierung ist an der Seite der Menschen im Ahrtal und setzt alles daran, dass der Wiederaufbau gelingt. Auch wenn wir dafür einen langen Atem brauchen, zeigen Momente wie diese, dass wir guten Grund zur Zuversicht haben und das Ahrtal auf dem Weg zurück zur Normalität ist", so die Ministerpräsidentin laut Mitteilung des Unternehmens Sinziger Mineralbrunnen.

Staatskanzlei Rheinland-Pfalz dementiert ausgebliebene Besuche

AFP hat bei der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz nach der Behauptung gefragt. Am 12. Juli 2022 antwortete Sprecherin Andrea Bähner: "Die Unterstützung der Bundesregierung ist weiterhin groß, davon, dass die Bundesregierung das Ahrtal vergessen habe oder vernachlässige, kann daher keine Rede sein." Zwar sei die Landesregierung nicht in alle politischen Besuche eingebunden, dennoch sei die Aufmerksamkeit durch "das Interesse der Regierungsmitglieder, die sich vor Ort ein Bild machen und mit ihren Ministerien den Wiederaufbau unterstützen", dokumentiert.

So seien laut Staatskanzlei neben dem bereits erwähnten Besuch von Scholz und Faeser am 4. März 2022 auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und am 12. Juli 2022 Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Ahrtal gewesen. Das belegen Medienberichte (hier, hier).

Weitere Besuche fanden nach der Veröffentlichung des Facebook-Postings um den Jahrestag statt, waren aber bereits damals angekündigt. So auch ein Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Gedenkfeier am 14. Juli 2022. Auch der Bundeskanzler und die Landesministerin Dreyer nahmen an dem Gedenken im Ahrtal im Juli teil.

Finanzielle Unterstützung für das Ahrtal

Neben politischen Besuchen der Flutregion sind auch die finanzielle Unterstützung zum Wiederaufbau wichtig. Laut Staatskanzlei sei von der Bundesregierung "in kürzester Zeit" zum 15. September 2021 ein Wiederaufbaufonds in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht worden. "Mit diesen Mitteln, die in Rheinland-Pfalz zum überwiegenden Teil dem Ahrtal zur Verfügung gestellt werden, wird ein nachhaltiger Wiederaufbau ermöglicht. Der Wiederaufbau wird noch Jahre dauern", heißt es aus der Staatskanzlei.

In einer ersten Jahresbilanz zum Wiederaufbau erklärt Ministerpräsidentin Malu Dreyer am 7. Juli 2022: "Für die Wiederbeschaffung von zerstörtem Hausrat wurden mehr als 100 Millionen Euro in Rheinland-Pfalz ausgezahlt."

Dennoch kritisierten Betroffene und Medien auch neun Monate nach der Katastrophe immer wieder, dass die Auszahlungen zu bürokratisch und der Wiederaufbau nur schleppend voran laufen würden (hier, hier). Auch der Bürgermeister im Ahrtal beklagt die Bürokratie beim Wiederaufbau im AFP-Video.

Dreyer zeigte im Vorwort Verständnis für diese Kritik: "Ich kann die Ungeduld verstehen, wenn Anträge zum Wiederaufbau nicht so schnell bewilligt werden, wie viele erwarten. Ich kann Ihnen aber versichern, wir setzen alles daran."

Fazit: Die Behauptung, Politikerinnen und Politiker würden nur nach Kiew, nicht aber in das Ahrtal reisen, ist falsch. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine Ende Februar 2022 besuchten immer wieder Spitzenpolitikerinnen und -politiker das Ahrtal. Das bestätigen Medienberichte und die Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz gegenüber AFP.

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