Diese Verordnung ermöglicht lediglich virtuelle Hauptversammlungen bis Dezember 2021
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- Veröffentlicht am 2. Februar 2021 um 15:45
- Aktualisiert am 2. Februar 2021 um 15:46
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Mehr als 1000 Menschen haben auf Facebook seit dem 18. Januar 2021 einen Screenshot geteilt, der die vermeintlich entlarvende Corona-Verordnung zeigt. Das erste Posting dazu fand AFP auf der Facebook-Seite "Querdenken 711". Ein weiteres verbreitet sich hier mit bislang 595 Shares.
In Telegram-Kanälen ist die Reichweite höher: Mehr als 76.000 User sahen den Screenshot seit dem 18 Januar allein hier. Auch der Verschwörungsmythiker Attila Hildmann erreichte damit in seinem Channel rund 18.300 User. Die mit Abstand meisten Menschen erreichte diese Version des Dokuments mit rund 169.000 Views.
Im Screenshot von der offiziellen Verordnung des Bundesministeriums für Justiz und für Verbraucherschutz wurden einige Passagen gelb hervorgehoben: Die Worte "Verlängerung von Maßnahmen", "wird bis zum 31. Dezember 2021 verlängert" und der Ort und das Datum der Verordnung "Berlin, den 20. Oktober 2020". Daraus schlussfolgern die Facebook- und Telegram-User, dass die öffentlichen Corona-Maßnahmen bis zum 31.21.2021 verlängert worden seien. So heißt es in einem der Postings etwa: "Aber nein: Es war von Anfang an geplant, das knallharte Programm bis mindestens Ende 2021 durchzuziehen!"
AFP hat die Verordnung in der Datenbank des Bundesanzeigers der Bundesregierung gefunden (hier). Die Screenshots geben ihren Wortlaut korrekt wieder.
Darin heißt es: "Aufgrund des § 8 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-,Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569, 570) verordnet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (...)". Dieses Gesetz wiederum lässt sich hier finden. Nur auf eben diese Rechtsbereiche bezieht sich also die aktuell geteilten Verordnung.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat den Verordnungstext am 20. Oktober 2020 gestempelt. Der Bundesanzeiger veröffentlichte ihn am 28. Oktober, nochmal einen Tag später trat die Verordnung in Kraft (hier), mit der die Geltungsdauer des zugrundeliegenden Gesetzes vom 27. März 2020 bis zum 31. Dezember 2021 verlängert wurde.
Die Möglichkeit, die Gültigkeitsdauer per Verordnung bis zum Ende dieses Jahres verlängern zu können, wurde bereits im Gesetz selbst festgelegt: "Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Geltung der §§ 1 bis 5 gemäß § 7 bis höchstens zum 31. Dezember 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in der Bundesrepublik Deutschland geboten erscheint."
Bestimmt das Gesetz auch den Inhalt der Verordnung?
Das Gesetz befasst sich indes nicht mit allgemeinen Corona-Schutzmaßnahmen, sondern mit digitalen Versammlungen von "Aktiengesellschaften; Kommanditgesellschaften auf Aktien; Europäische Gesellschaften (SE); Versicherungsvereinen". Darin heißt es: "Der Vorstand kann entscheiden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, sofern 1. die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt [...]"
Auf AFP-Anfrage erklärte Rabea Bönnighausen, Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in einer E-Mail am 1. Februar 2021: "Diese Regelungen ermöglichen es den betroffenen Rechtsformen, also etwa Aktiengesellschaften, GmbHs, Genossenschaften, Vereinen und Wohnungseigentümergemeinschaften, virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen."
Bisher sah das Aktiengesetz § 118 unter Umständen die Möglichkeit vor, dass Aktionäre virtuell an der Hauptversammlung teilnehmen dürfen, aber nicht müssen. Das Problem an diesem Gesetz in Pandemie-Zeiten erklärte Sprecherin Rabea Bönnighausen auf Nachfrage am 2. Februar per E-Mail folgendermaßen: "Nach dem Aktiengesetz bleibt es für die Aktionäre möglich, auf einer physischen Teilnahme an der Hauptversammlung zu bestehen." Damit also Aktionäre nicht auf diesen Anspruch pochen können, wurde demnach das fragliche Gesetz beschlossen und mit der aktuell geteilten Verordnung verlängert.
Das Ablaufdatum 31. Dezember 2021 in der Verordnung ermögliche es den Unternehmen darauf aufbauend, für das gesamte Jahr 2021 Versammlung virtuell abhalten zu können, erklärte Bönnighausen weiter. Diese schon zuvor bestehende Möglichkeit sei im Oktober 2020 lediglich um ein Jahr verlängert worden, weil sie der "Planungssicherheit der jeweiligen Unternehmen" diene, "die ihre Hauptversammlungen teilweise mit nicht unerheblichem zeitlichen Vorlauf planen müssen".
Aufhebung der Verordnung vor 31.12.2021 möglich
Die geplante Gültigkeit der Verordnung bedeute nicht, dass die Maßnahmen auch wirklich bis Ende 2021 umgesetzt werden müssten. Bönnighausen schrieb: "Sobald sich die pandemische Lage so beruhigt hat, dass auch wieder eine größere Anzahl an Personen zu einer Hauptversammlung zusammenkommen können, bleibt es den betroffenen Unternehmen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten unbenommen, ihre Hauptversammlungen auch im laufenden Jahr wieder in einem Präsenzformat abzuhalten."
Die allgemeinen Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsregeln sind in dieser Verordnung nicht geregelt. Sie basieren auf dem Infektionsschutzgesetz und werden von Bundesländern bestimmt, etwa in der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin vom 20. Oktober 2020.
Fazit: Die auf Facebook geteilte Verordnung bezieht sich nicht auf allgemeine Corona-Maßnahmen, sondern auf die Anwesenheitsbestimmungen bei Versammlungen von Aktiengesellschaften, Vereinen und Unternehmen. Diesen wird es bis zum 31. Dezember ermöglicht, Hauptversammlungen und Abstimmungen auch rein virtuell abzuhalten. Die Behauptung, dass die Regierung die allgemeinen Corona-Maßnahmen bis zum 31. Dezember 2021 verlängert habe, ist falsch.