Annalena Baerbock hat ein Master-Studium abgeschlossen

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Mitte Mai haben Tausende Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook eine Behauptung geteilt, wonach die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, "überhaupt nicht studiert" habe. Baerbock besitzt allerdings ein Vordiplom der Politischen Wissenschaft der Universität Hamburg und einen Master of Laws der London School of Economics and Political Science (LSE).

Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock habe ihr Studium vorgetäuscht. Nicht "abgeschrieben oder gefälscht", die Grüne Kandidatin habe "überhaupt gar nicht studiert" – das behaupten Mitte Mai Tausende User auf Facebook (hier, hier, hier). "Mit fremden Federn geschmückt. Und das als Kanzlerkandidatin. Nein Danke", heißt es etwa in den Kommentaren zu einer verbreiteten Bildkarte mit der Behauptung.

Facebook-Screenshot: 17.05.2021

Seit der Verkündung ihrer Spitzenkandidatur Ende April reißen die Falschbehauptungen über Baerbock nicht ab. So habe die Politikerin etwa ein Verbot von Haustieren zugunsten des Klimas gefordert, bei ihrer Kandidatinnen-Feier gegen Corona-Regeln verstoßen oder eine Abschaffung der Witwenrente gefordert.

Es folgten eine Kontroverse über Ungereimtheiten in Baerbocks Online-Studienangaben (hierzu später mehr) und aktuell eine Debatte über tatsächlich nachgemeldete Nebeneinkünfte der Grünen-Politikerin. Aber hat Baerbock überhaupt nicht studiert, wie aktuell in Postings behauptet?

Baerbocks Lebenslauf

Baerbock selbst bezeichnet sich als Völkerrechtsexpertin, etwa in diesem NDR-Interview von 2020. Die Website des Bundestages bezeichnet sie ebenfalls als "Völkerrechtlerin, LL.M.". Genauere Angaben zu ihrem bisherigen Lebensweg – von politischen Funktionen über Mitgliedschaften in Vereinen bis hin zu Berufs- und Ausbildungsstationen – macht Baerbock auf ihrer eigenen Website. In ihrem Lebenslauf gibt es dort Angaben zu drei Hochschulen:

Screenshot des Ausbildungswegs Annalena Baerbocks laut ihrer Website, 17.05.2021

Zur Bestätigung postete Grünen-Sprecher Andreas Kappler am 11. Mai Ausschnitte der jeweiligen Zeugnisse der Universität Hamburg und der London School of Economics auf Twitter. Dazu schrieb er: "Annalena Baerbock hat in Hamburg und London studiert und ihr Studium an der LSE mit einem Master of Laws in Public International Law abgeschlossen."

Die Universität Hamburg antwortete am 19. Mai auf AFP-Anfrage: "Frau Baerbock hat an der Universität Hamburg kein Studium abgeschlossen, sondern eine Diplom-Vorprüfung im Diplomstudiengang Politikwissenschaft abgelegt." Bei dieser Diplom-Vorprüfung habe es sich um eine studienbegleitende Prüfung gehandelt, deren Bestehen die erfolgreiche Teilnahme an verschiedenen Lehrveranstaltungen vorausgesetzt habe.

Baerbock hat also zwar laut Universität keinen berufsqualifizierenden Abschluss an der Uni Hamburg gemacht, dort aber sehr wohl studiert.

Zur Qualifizierung für einen Master-Studiengang schrieb die Uni Hamburg: "Soweit die mit einer Diplom-Vorprüfung nachgewiesenen Qualifikationen den Zugang zu einem Masterstudiengang ermöglicht haben, beruhte dies auf den Anerkennungsregelungen der jeweils aufnehmenden Institution." Dabei handelt es sich um die London School of Economics.

Die LSE hatte Baerbock anlässlich der Verkündung ihrer Kandidatur auf Twitter bereits im April als ihre Absolventin bestätigt.

Die LSE bezeichnete Baerbock in ihrem Tweet allerdings als Rechtsabsolventin der Uni Hamburg, genau genommen hatte sie dort aber Politikwissenschaft und nur im Nebenfach Recht studiert.

Die Freie Universität Berlin hat bis zur Veröffentlichung noch nicht auf eine AFP-Anfrage reagiert.

Vorausgegangene Bachelor-Kontroverse

Die jetzt verbreitete Falschinformation fußt auf einer  öffentlich diskutierten Unklarheit über den ersten Hochschulabschluss von Baerbock.

Im Juni 2019 veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" ein Porträt über die Politikerin mit einem Überarbeitungshinweis. Darin ist zu lesen: "In einer vorigen Fassung des Texts hatten wir angegeben, Frau Baerbock habe einen Bachelorabschluss. Dies ist nicht korrekt." Der "Tagesspiegel" brachte eine ähnliche Erklärung unter einen Artikel über Baerbocks akademischen Werdegang an. So fragten sich viele Menschen auf Social Media: Wie konnte Baerbock ein Masterstudium ohne vorangegangenen Bachelorabschluss studieren?

Auch mehrere Plagiatsjäger beschäftigten sich mit Baerbocks Studienverlauf (hier, hier). Für das Masterstudium an der LSE ohne vorheriges Bachelorstudium gibt es aber eine Erklärung, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Redaktionsnetzwerk Deutschland”, "Süddeutsche Zeitung” und der "Standard" berichteten. Im Jahr 2004 war es für Deutsche durchaus möglich, für ein LL.M.-Studium nur mit einem Vordiplom aufgenommen zu werden, wie eine archivierte Liste der Zulassungsbedingungen der LSE zeigt. Volljuristin ist Baerbock nicht, sie ist allerdings durchaus Völkerrechtlerin mit abgeschlossenem Studium an der LSE (mehr dazu hier).

Grünen-Sprecher Kappler erklärte die Zulassung in London am 11. Mai auf Twitter so:

"Die Studienleistungen in Hamburg waren Voraussetzung für die Aufnahme an der LSE. In Hamburg hatte sie Politische Wissenschaft auf Diplom mit Nebenfach Öffentliches Recht/Europarecht studiert. Da zu der Zeit in DE Bachelor+Master noch nicht flächendeckend eingeführt waren, war damals u.a. das Vordiplom Grundlage für Aufnahme von Masterstudiengängen im Ausland."

Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung beschrieb ebenfalls ein Bachelorstudium Baerbocks, weist aber mittlerweile in einem Korrekturhinweis darauf hin, dass es sich dabei um das erwähnte Vordiplom der Universität Hamburg handele.

Mehrfache Änderungen der Angaben im Online-Lebenslauf

Die Grünen änderten die Angaben in Baerbocks Lebenslauf tatsächlich mehrfach. Vorher hieß es zum Studium an der Universität Hamburg: "Politikwissenschaft, öffentliches Recht", wie eine archivierte Version der Website vom April 2021 zeigt. Im Mai 2021 stand dort dann nur mehr "Politische Wissenschaft”, aktuell genauer "Politische Wissenschaft (Vordiplom), Nebenfach: Öffentliches Recht", siehe Screenshot oben.

In einem anderen Bereich ihrer Website hatte sie 2014 ihre Ausbildung in Hamburg zudem als "Politik- und Jurastudium” bezeichnet, 2011 noch als "Politikstudium”.

Fazit: Dass Annalena Baerbock nicht studiert hat, ist falsch. Sie besitzt ein Vordiplom der Universität Hamburg in Politikwissenschaft und hat ein LL.M.-Studium der London School of Economics abgeschlossen.

BUNDESTAGSWAHL 2021