
Nein, Richard Rothschild hat 2015 kein Patent für einen COVID-19-Test angemeldet
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- Veröffentlicht am 9. Oktober 2020 um 12:55
- Aktualisiert am 9. Oktober 2020 um 13:11
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Deutschland
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Über 540 Shares hat der größte von AFP gefundene Post vom 5. Oktober bisher auf Facebook erreicht. Darauf zu sehen: ein abfotografierter Bildschirm mit Suchergebnissen auf der Website des Europäischen Patentamtes. Die Post-Verfasserin kommentiert das Bild mit: "Gestern im europäischen Patentamt gefunden... Herr Rothschild hat das Patent für den Covid 19 Test bereits 2015 eingereicht..." Die Userin stellte den Facebook-Beitrag online, nachdem zuvor bereits mehrere Videos dasselbe Thema aufgegriffen hatten.
Der Anti-Corona-Aktivist Bodo Schiffmann etwa hatte in seinem Telegram-Kanal "Alles außer Mainstream" in einem dort mittlerweile gelöschten Video auf das angebliche Patent aufmerksam gemacht. Am 4. Oktober leitete der Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann Schiffmanns Video auf seinem Telegram-Kanal weiter und machte es damit 84.000 Usern zugänglich. Auch weitere Facebook-Posts zum Clip stehen noch immer online (etwa hier). Ein ähnliches Video vom 2. Oktober wird von einem "Kulturstudio" verbreitet, das einen 24.000 Mitglieder starken Telegram-Kanal betreibt. Am 2. Oktober hat auch der Kanal "Fakten Frieden Freiheit" eine weitere Version des Videos veröffentlicht. Weiterhin gibt es Versionen der Patent-Behauptung auf niederländisch, französisch, spanisch und italienisch.
Mit dem Patenteintrag durch den genannten Richard A. Rothschild sei bewiesen, dass die Corona-Pandemie in Wahrheit geplant sei, schreiben zahlreiche Postings. "PLANdemie bestätigt!" , heißt es etwa in einem Post. Die Verfasser heben dabei immer wieder den Namen "Rothschild" hervor. Dieser Familienname steht oft im Zentrum antisemitischer Verschwörungsmythen um eine angebliche allumfassende und geheime jüdische Weltmacht.

Allen Videos gemein ist der Aufbau. Sie zeigen eine Bildschirmaufnahme des jeweiligen Kommentators, der eine angebliche Internetrecherche zum Thema "Patente" durchführt. Startpunkt hierfür ist "Espacenet", ein Webportal zur Recherche von Patentdokumenten. Espacenet ist eine Entwicklung des Europäischen Patentamtes und bietet nach eigenen Angaben Zugang zu über 120 Millionen Patentdokumenten aus der ganzen Welt.
In den Suchfilter dieses Portals geben die Kommentatoren – Bodo Schiffmann und Co. – eine Nummer ein: US2020279585. Wie sie auf diesen Code gekommen sind, wird aus den Videos nicht klar. Er führt allerdings sofort zu einem Ergebnis, dem Datenbank-Eintrag "System und Methode zur Testung von COVID-19". AFP hat die Schritte nachvollzogen und gelangte ebenfalls zu dem, etwa von Schiffmann, präsentierten Ergebnis. Daraus abzuleiten, dass bereits seit 2015 ein Corona-Test-Patent existiert, ist aber ein Fehler.

Wie das AFP-Suchergebnis zeigt, wurde die Patentanmeldung am 3. September 2020 veröffentlicht. Schiffmann etwa bezieht sich aber nicht auf das Veröffentlichungsdatum, sondern auf das Prioritätsdatum (im Screenshot durch rote Kreise hervorgehoben). Dieses zeigt das Datum: 13. Oktober 2015. Schiffmann zitiert in seinem Video eine Definition aus Wikipedia: "Das Prioritätsdatum ist im Patentrecht das früheste Stichdatum, zu dem eine Technologie als neu und erfinderisch zur Patentierung eingereicht wird." Diese Definition stimmt. Sie bedeutet aber nicht, dass das gesamte Patent alt ist, wie Schiffmann und Co. behaupten.
Das Patent von Richard A. Rothschild
Bei der Patentanmeldung von Rothschild handelt es sich um eine amerikanische Patentanmeldung, genau genommen um eine sogenannte "continuation in part" (CIP)-Anmeldung, also eine teilweise Fortsetzung einer Anmeldung. In Europa wäre so eine CIP-Anmeldung nicht möglich, erklärt das Europäische Patentamt am 6. Oktober per Email gegenüber AFP. CIP-Patente werden allerdings trotzdem in der europäischen Datenbank angezeigt. Das CIP-Prinzip erlaubt einem Erfinder, eine neue Patentanmeldung um ältere Ansprüche zu erweitern. Die alte Erfindung muss aber immer etwas zur neuen beitragen.
Ein Beispiel: Wenn ein Forscher am 1. Januar 2021 ein Zeitreisemaschine erfindet und als Patent einreichen würde, würde als Prioritätsdatum dieser Maschine der 1. Januar 2021 in der Datenbank angeführt. Verbessert er seine Zeitreisemaschine einige Jahre später nochmals um einen automatischen Teleporter, könnte er diesen neuen Teleporter in den USA als "continuation in part" seiner Zeitreisemaschine eintragen. Als Prioritätsdatum scheint dann auch für den nagelneuen Teleporter das Datum des älteren Patents – die Zeitreisemaschine vom 1. Januar 2021. Der Vorteil für den Erfinder: Haben mehrere Tüftler dieselbe Idee für eine Erfindung gehabt, bekommt derjenige den Zuschlag, der zuerst sein Patent eingereicht hat. Genauso war es bei Richard A. Rothschild.
Er bezieht sich in seiner aktuellen Anmeldung (quasi der Teleporter) auf andere, ältere Patente (quasi die Zeitmaschine). Die neue COVID-19-Testmethode hat er am 17. Mai 2020 eingereicht, veröffentlicht wurde sie am 3. September 2020. Die älteste Einreichung, die er mit diesen neuen Patent verknüpft hat, stammt vom 13. Oktober 2015. Sie ist auch für den missverständlichen Zeitstempel in der Datenbank verantwortlich, auf den sich Schiffmann und Co. beziehen.
Diese erste Anmeldung Rothschilds aus 2015, die er jetzt 2020 angefügt hat, wurde nie offengelegt, sagt Rainer Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamtes gegenüber AFP. Auch habe Rothschild eine Erfindung aus dem Jahr 2016 hinzugefügt, in der es um Videodaten gegangen sei, erklärt Osterwalder. Darüber hinaus habe er die Einreichung um weitere Patentanmeldungen aus dem Jahr 2016 und 2017 ergänzt, in denen es um die Verarbeitung biometrischer Daten gegangen sei. "Zusammenfassend ist damit zu sagen, dass sich die Patentanmeldung vor dem Jahr 2020 keinen Bezug zu COVID-19 hatte", sagt Osterwalder. Das neuartige Coronavirus kommt demnach zum ersten Mal in der aktuellen Anmeldung aus dem Jahr 2020 vor, als die Welt schon längst vom neuartigen Coronavirus wusste.
Die genauen Schritte von Rothschilds aktueller Patentanmeldung kann man in der Akte auf Espacenet oder über Google Patents nachverfolgen. Momentan befindet sich die Anmeldung im Erteilungsverfahren des US-Patentamts.
Die Familie Rothschild
Warum wird der Name des Erfinders in vielen Posts so hervorgehoben? Die jüdische Bankiersfamilie Rothschild zählte im 19. Jahrhundert zu einer der einflussreichsten Geldgeber Europas. Dank ihres Unternehmens Rothschild & Co ist die Familie auch heute noch vermögend. Neben ihrer Aktivität als Banker ist der Name der Familie vor allem für antisemitische Verschwörungsmythen bekannt, die sich gegen sie richten.
Kern dieser Mythen ist der Glaube an eine vermögende und jüdische Elite, die im Geheimen das Finanzsystem und die Politik beherrscht und zu ihrem Vorteil nutzt. "Der Name der Familie Rothschild erfüllt bis heute die Funktion, eine vermeintlich jüdische Allmacht über das weltweite Finanzwesen zu konstruieren", schreibt etwa die Historikerin Juliane Wetzel in einem Beitrag für die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. In einem Erklärvideo begründet das "Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus" die Verwendung des Begriffs Rothschild so: "Nach der Shoah war offener Hass gegen Juden ein Tabu und so fingen Rechtsextreme und andere Antisemiten damit an, Codewörter für die angebliche Verschwörung der Juden zu finden. Und so wurde der Name Rothschild zu einem international verbreiteten Code für die Verschwörungstheorien, die bewusst oder unbewusst, Juden mit der Kontrolle von Finanzen oder Kapitalismus identifizierten."
Solche Codes werden auch immer wieder durch Falschmeldungen transportiert. AFP hat in der Vergangenheit etwa eine Behauptung widerlegt, wonach Lynn Forester de Rothschild vor einem Gemälde mit gefressenen Babys posiere. Auch das angebliche Test-Patent eines Rothschilds von 2015 passt zu diesen Verschwörungsmythen.
AFP hat das Unternehmen Rothschild & Co. kontaktiert, das von der Familie Rothschild geführt wird. Eine Sprecherin teilte per Email am 8. Oktober mit: "Es gibt keine Verbindung zwischen Rothschild & Co und der im Patent genannten Person." Der Patentanwalt von Richard Rothschild selbst hat bis zum Datum der Veröffentlichung nicht auf eine AFP-Anfrage reagiert.
Fazit
Das eingereichte Patent, das sich auf COVID-19 bezieht, stammt nicht aus dem Jahr 2015. Es ist ein aktuell veröffentlichtes Patent aus dem Frühjahr 2020, das nach amerikanischem Patentrecht mit älteren Ansprüchen ergänzt wurde. Nur deshalb wird es mit einem älteren Prioritätsdatum in der Datenbank geführt. Bei diesen älteren Teilen ist aber nie die Rede von Corona. Der Eintrag beweist also in keiner Weise, dass die Corona-Pandemie geplant und einigen Insidern schon vor 2019 bekannt gewesen sein soll.