
Diese Liste mit Ungeimpften-Definitionen ist teilweise falsch
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- Veröffentlicht am 14. Januar 2022 um 14:20
- Aktualisiert am 14. Januar 2022 um 14:43
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Mehr als 1400 User haben seit dem 27. November die Aufzählung mit sieben Definitionen auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Auf Telegram erreichte die Liste Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer.
Die irreführende Behauptung: In gleich mehreren Fällen würden Corona-Infizierte auf Intensivstationen als "ungeimpft" gezählt. Dies gelte etwa für Patientinnen und Patienten, die lediglich einfach geimpft, erst vor Kurzem zweifach geimpft oder kreuzgeimpft seien, also verschiedene Impfstoffe erhalten hatten. Weiterhin werden Patientinnen und Patienten aufgeführt, bei denen die zweite Impfung oder eine Corona-Erkrankung mehr sechs Monate zurückliegt, deren Impfstatus unbekannt ist oder die den russischen Impfstoff Sputnik verabreicht bekommen hatten.
User teilen dazu die Frage: "Warum liegen so viele ‘Ungeimpfte’ auf der Intensivstation?" Die vermeintliche Antwort liefert das Bild selbst: "Weil sie unter ‘ungeimpft’ etwas anderes verstehen als du!"

Immer wieder haben Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken falsche Behauptungen über die Corona-Infektionszahlen aufgestellt. AFP hat bereits Behauptungen geprüft, wonach Behörden Corona-Infektionszahlen verfälschen würden. Das geschehe etwa durch angebliche Fehler in der Zählweise (hier, hier) oder durch vermeintlich verzerrende Definitionen (hier, hier). Auch die aktuelle Behauptung reiht sich in diese Serie ein.
Wer gilt als geimpft?
Wer in Deutschland als geimpft gilt, regelt die Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung. Zusammengefasst ist demnach vollständig geimpft, wer mit einem in der Europäischen Union zugelassenen Covid-Impfstoff geimpft wurde und bei dem mindestens 14 Tage nach der letzten Impfdosis vergangen sind. Dafür müssen je nach Impfstoff ausreichend Impfdosen injiziert werden. Möglich sind auch Kreuzimpfungen mit verschiedenen Impfstoffen. Außerdem gelten Menschen als vollständig geimpft, die eine mit einem PCR-Test bestätigte Coronainfektion durchgemacht haben oder gesichert Antikörper nachweisen können und zusätzlich einmal geimpft wurden.
Diese Kriterien führt auch das Robert Koch-Institut (RKI) auf seiner Website an, genauso wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
Die Krankenhäuser halten sich bei der Meldung von Corona-Zahlen an diese Definitionen. Das bestätigten auf AFP-Anfrage im November das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM), die Helios-Kliniken, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK).
Wie kommt das RKI zu seinen Zahlen?
Die so gemeldeten Fallzahlen samt Impfstatus aus den Krankenhäusern finden über mehrere Stationen den Weg zum RKI. Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI, erklärte am 1. Dezember 2021 in einer E-Mail an AFP, dass die Krankenhäuser die Patientinnen und Patienten selbst erfassten, diese Daten mit Meldezetteln an die Gesundheitsämter weitergäben, welche sie wiederum über die Landesstellen an das RKI meldeten.
Das RKI ordnet diese Daten dann vier Kategorien zu: "vollständig geimpft", "unvollständig geimpft", "ungeimpft" oder "Impfstatus unbekannt". Diese Informationen fasst das RKI dann in wöchentlichen Berichten zusammen.
Im Folgenden erklärt AFP, warum mehrere Punkte auf der kursierenden Liste falsch oder für die RKI-Statistik irrelevant sind.
1. Teilweise falsch: "1x geimpft = ungeimpft"
Menschen, die nur einmal geimpft wurden, gelten tatsächlich als ungeimpft – außer sie wurden mit dem Vektor-Impfstoff Janssen von Johnson & Johnson geimpft. Bei diesem ist laut Ständiger Impfkommission (Stiko) nämlich nur eine Impfdosis zur Grundimmunisierung nötig. Die Stiko empfiehlt zusätzlich allerdings eine zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, um den Impfschutz zu optimieren. Nötig ist diese aber für ein Impfzertifikat nicht.
Den Sonderfall von Janssen bestätigte Christine Bode, Sprecherin des Universitätsklinikums Gießen und Marburg GmbH (UKGM), auf AFP-Anfrage in einer E-Mail am 20. Dezember 2021. Einmalig mit Janssen Geimpfte werden dort als "geimpft" gemeldet.
2. Für Statistik irrelevant: 2 x geimpft + unter 14 Tage = ungeimpft
Zweimal Geimpfte, die die 14-tägige Frist bis zum Aufbau des vollen Impfschutzes noch nicht erreicht haben, melden Kliniken als "ungeimpft", ergänzen aber zusätzliche Informationen auf den Meldezetteln, erklärten Sprecherinnen von Helios und UKGM. Helios-Sprecherin Vallentin schrieb in einer E-Mail am 17. Dezember: „Bei unvollständig Geimpften tragen wir die angegebene Impfstoff-Dosis ein und führen die Person unter „ungeimpft."
Auf den Meldezetteln, die den Krankenhäusern dafür zur Verfügung stehen, sind deshalb zusätzliche Angaben zu den bisher verabreichten Impfdosen möglich. So können die Meldekategorien "geimpft", "nicht geimpft" und "Impfstatus unbekannt" um bereits verabreichte Impfungen ergänzt werden.
Solch ein standardisiertes Meldeformular liegt AFP vor und wurde vom Gesundheitsamt Berlin Pankow für AFP verifiziert (ähnlich hier und hier). Das Gesundheitsamt in Pankow bestätigte ebenfalls die an das RKI übermittelten Meldekategorien. Erst das RKI nutze die Meldekategorie, um die Geimpften oder Ungeimpften in die jeweiligen Definitionen einzuordnen.
Die als "ungeimpft" angekreuzten unvollständig Geimpften, die zwei in der EU zugelassenen Impfdosen bekommen haben, sind laut RKI-Sprecherin Marieke Degen allerdings für die Statistiken in den Wochenberichten irrelevant.
Sie erklärte in einer E-Mail am 27. Dezember: "Fälle, die geimpft sind, aber der Definition einer Grundimmunisierung nicht entsprechen (etwa nur eine Dosis des Impfstoffs Moderna oder Abstand zur Impfung weniger als 14 Tage), werden der Kategorie "unvollständig geimpft" zugeordnet und in den Analysen nicht weiter berücksichtigt." Eine Verzerrung der Statistik könne dadurch nicht stattfinden.
Auch im Wochenbericht vom 23. Dezember 2021 heißt es: "Fälle, die mit den vorliegenden Angaben nicht zu ‘grundimmunisiert’, ‘Auffrischimpfung’ oder ‘ungeimpft’ zugeordnet werden konnten, wurden komplett aus den Analysen ausgeschlossen. Hier konnten also Angaben zum Impfstatus unvollständig sein oder es wurde eine unvollständige Grundimmunisierung angegeben."
3. Falsch: "kreuzgeimpft = ungeimpft"
In der aktuell geteilten Liste wird behauptet, mit verschiedenen Impfstoffen Geimpfte würden als "ungeimpft" eingestuft. Das ist falsch. Sind beide Impfstoffe in der EU zugelassen, gelten diese Menschen laut RKI als "geimpft", auch wenn sie von unterschiedlichen Herstellern stammen. Das sogenannte "heterologe Impfschema" bestätigt ein Papier des RKI und auch RKI-Sprecherin Degen auf Nachfrage.
Auch das UKGM, die Helios-Kliniken und die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestätigten am 30. November, dass sie sich an diese Vorgaben des RKI halten.
4. Für Statistik irrelevant: "Impfstatus unbekannt = ungeimpft"
Laut Helios-Sprecherin Vallentin kommt es in den Kliniken vor, dass Menschen ihren Impfstatus nicht mitteilen wollten oder könnten. "In solchen Fällen isolieren wir die Patienten und versuchen den Impfstatus zu klären. Wenn das nicht geht, gilt die Person als ‘Impfstatus unbekannt’. Das sind aber Ausnahmen", sagte sie.
Das RKI erklärte gegenüber AFP, dass Fälle mit unbekanntem Impfstatus genauso wie die unvollständig Geimpften nicht in der Statistik berücksichtigt würden. Diese seltenen Fälle würden die Statistik also laut RKI nicht verzerren.
Ganz so problemlos wie vom RKI dargestellt war das allerdings nicht immer. Laut dem Recherchezentrum Correctiv gab es bis Ende September 2021 bezüglich der Einordnung von Patienten und Patientinnen mit unklarem Impfstatus Lücken in den Daten der RKI-Statistik, die mehrere Medien aufgegriffen hatten (hier, hier) Grund dafür waren demnach komplizierte Meldestrukturen, Personalmangel und fehlende Digitalisierung, aber auch die fehlenden Antworten von Corona-Erkrankten zu ihrem Impfstatus. Laut Correctiv war dem RKI bis Ende September bei einem Fünftel der Corona-Infizierten der Impfstatus unbekannt gewesen, was zu einer Kategorisierung als "ungeimpft" im RKI-Wochenbericht geführt hatte. Das ist allerdings nach anfänglichen Einwänden geändert worden, wie auch RKI-Sprecherin Glasmacher am 13. Januar 2022 gegenüber AFP bestätigte. Diese Fälle würden seitdem aus der Statistik ausgeschlossen. Correctiv hatte nach eigenen Angaben dazu zahlreiche Behörden in Deutschland befragt und die Antworten im Text verlinkt.
5. Falsch: 2x geimpft + 6 Monate = ungeimpft
In der auf Facebook kursierenden Definition heißt es weiter, dass bei vollständig Geimpften der Impfstatus nach sechs Monaten ausliefe und sie deshalb im Falle einer Corona-Infektion auf Intensivstationen als "ungeimpft" gezählt würden.
Laut einer Informationsseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist diese Behauptung falsch. Auf der Seite hieß es im Dezember 2021: "Ein bisher erreichter Status eines vollständigen Impfschutzes nach nationalen Regelungen gilt zurzeit weiterhin fort. Die Gültigkeitsdauer von europäischen (EU)-Impfzertifikaten bleibt von dem Angebot einer Booster-Impfung derzeit unberührt." Allerdings liege es in der Hand der EU-Staaten, die Auffrischungsimpfung als Voraussetzung für einen vollständigen Impfschutz festzulegen. Das ist in Deutschland aber bisher nicht der Fall.
Sowohl die Helios-Kliniken als auch das UKGM dementierten das in den Postings beschriebene Vorgehen auf der auf Facebook kursierenden Liste.
6. Für Statistik irrelevant: "Sputnik = ungeimpft"
Es ist richtig, dass Menschen, die mit dem russischen Impfstoff Sputnik geimpft wurden, kein Impfzertifikat in Deutschland erhalten und von Kliniken als "ungeimpft" gemeldet werden. Helios-Sprecherin Vallentin erklärte dazu: "Sputnik ist bei uns nicht zugelassen." Die Sputnik-Impfung werde aber als Zusatzinformation auf den Meldeformularen eingetragen.
RKI-Sprecherin Glasmacher erklärte dazu: "Die Frage, welche Zertifikate anerkannt werden, wird von der Politik geregelt." Laut RKI-Seite müssen Sputnik-Geimpfte sich in Deutschland für ein Impfzertifikat erneut impfen lassen.
Sputnik-Geimpfte werden aber Glasmacher zufolge ebenfalls in den Analysen und Statistiken in den Wochenberichten nicht berücksichtigt.
7. Für Statistik irrelevant: "erkrankt + 6 Monate = ungeimpft"
Schließlich würden laut der geteilten Liste auch ungeimpfte Genesene nach sechs Monaten in den Meldeformularen als "ungeimpft" gelten. Das bestätigte Helios-Sprecherin Vallentin gegenüber AFP: "Unter sechs Monaten gelten Genesene als geimpft. Alles darüber gilt als ungeimpft", sagte sie. Auch UKGM-Sprecherin Bode bestätigte das für ungeimpfte Genesene.
In den Meldeformularen finden sich auch für diesen Fall ein Feld, und zwar kann der Serostatus (IgG) angegeben werden, also das Vorhandensein von Antikörpern aus einer vergangenen Corona-Infektion.
Diese Fälle werden laut RKI-Sprecherin Glasmacher ebenfalls nicht für die Statistik berücksichtigt. Das RKI schließt diese Fälle auch in mehreren Wochenberichten selbst explizit aus. Etwa im Wochenbericht vom 23. Dezember heißt es: "Fälle, die mit den vorliegenden Angaben nicht zu ‘grundimmunisiert’, ‘Auffrischimpfung’ oder ‘ungeimpft’ zugeordnet werden konnten, wurden komplett aus den Analysen ausgeschlossen. Hier könnten also Angaben zum Impfstatus unvollständig sein oder es wurde eine unvollständige Grundimmunisierung angegeben."
Andere Statistik bestätigt die RKI-Zahlen
Auch die Angaben eines großen Klinikverbandes decken sich mit den Zahlen des RKI. Zum Helios-Netzwerk gehören 52 Kliniken. Deren Daten veröffentlicht Helios im Internet unabhängig vom RKI und dessen Meldeketten. Die dort veröffentlichten Zahlen zeigen ein ähnliches Bild vom Anteil Geimpfter auf Intensivstationen wie die Berichte des RKI.
Fazit: Die Definitionen auf der auf Facebook kursierenden Liste sind zum großen Teil falsch oder für die Statistik über Ungeimpfte auf Intensivstationen irrelevant, weil die genannten Kategorien in der Statistik überhaupt nicht berücksichtigt werden. Das bestätigen Krankenhäuser, Gesundheitsämter und das Robert Koch-Institut.