
Fachleute widersprechen Trumps Behauptungen über Paracetamol, Autismus und die Amisch-Gemeinschaft
- Veröffentlicht am 29. September 2025 um 14:11
- 9 Minuten Lesezeit
- Von: AFP Frankreich, AFP USA
- Übersetzung und Adaptierung: Johanna LEHN , AFP Deutschland
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"Nehmen Sie es nicht ein" und "geben Sie es nicht Ihrem Baby", sagte US-Präsident Donald Trump während einer Pressekonferenz im Weißen Haus zum Thema Autismus am 22. September 2025 über Paracetamol. Im Frühjahr versprach sein Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., der seit Jahren gegen Impfungen eintritt, "bis September" die Ursachen dieser angeborenen Entwicklungsstörung zu ermitteln. Angesichts der Komplexität des Themas und der Vergangenheit des Ministers, der bereits mehrfach Fehlinformationen verbreitet hat, löste diese Ankündigung Besorgnis bei Expertinnen und Experten aus.
"Es gibt ein Gerücht – und ich weiß nicht, ob es stimmt oder nicht –, dass es in Kuba kein Tylenol (ein US-amerikanisches Schmerzmittel wie Paracetamol, Anm. d. Red.) gibt, weil sie kein Geld für Tylenol haben. Und sie haben praktisch keinen Autismus", fügte der US-Präsident, der "kein Arzt" ist, aber "seine Meinung äußert", während der Konferenz hinzu. Während seiner Pressekonferenz gab Trump zu, dass seine persönlichen Theorien genau das seien: Theorien. "Das kommt von meinem Gefühl", sagte er.
Kurze Zeit später verbreitete sich die Behauptung auch auf Deutsch in sozialen Medien, wie beispielsweise ein Telegram-Beitrag vom 23. September 2025 zeigt. "Mit sofortiger Wirkung wird die FDA (US-amerikanische Arzneimittelbehörde, Anm. d. Red.) Ärzte darüber informieren, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft mit einem HOHEN RISIKO FÜR AUTISMUS verbunden ist", hieß es in dem Beitrag.
Die Behauptung kursierte auch auf anderen Sprachen wie Englisch, Griechisch und Ungarisch.

Es ist nicht die erste Behauptung Trumps ohne wissenschaftliche Grundlage. Im Jahr 2020 hatte er beispielsweise vorgeschlagen, dass die Injektion von Desinfektionsmittel ausreichen würde, um das Coronavirus loszuwerden.
Am Tag nach der Erklärung des US-Präsidenten widersprachen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahlreiche Gesundheitsbehörden – darunter die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die britische Arzneimittelzulassungsbehörde (MHRA) – seinen Äußerungen und bekräftigten, dass es keine wissenschaftlichen Belege dafür gebe, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft Autismus bei Kindern verursache.
Während seiner Pressekonferenz sagte Trump zudem, dass die in den USA lebenden Amischen "im Wesentlichen keinen Autismus" hätten. "Ich glaube, ich kann sagen, dass es bestimmte Gruppen von Menschen gibt, die keine Impfstoffe und keine Medikamente nehmen und keinen Autismus haben", behauptete er und fragte Kennedy, ob das stimme. Dieser antwortete, dass "einige Studien" auf die Amischen verweisen würden – eine christliche Gruppe in Nordamerika, die moderne Technologie ablehnt.
"Sehen Sie, Bobby möchte mit seinen Äußerungen sehr vorsichtig sein, und das sollte er auch, aber ich bin nicht so vorsichtig mit dem, was ich sage", fuhr Trump fort. "Aber es gibt bestimmte Gruppen. Die Amisch zum Beispiel haben im Grunde genommen keinen Autismus."
Expertinnen und Experten widerlegten jedoch auch Trumps Behauptung, dass Autismus unter den Amischen nicht vorkomme.
Keine stichhaltigen Beweise für Paracetamol-Behauptung
Paracetamol oder Acetaminophen, das in dem von Trump erwähnten Tylenol (ein Markenname für Acetaminophen in den USA und Kanada) enthalten ist, wird schwangeren Frauen zur Behandlung von Schmerzen oder Fieber empfohlen, da andere Medikamente wie Aspirin oder Ibuprofen insbesondere in der späten Schwangerschaft kontraindiziert sind.
Obwohl die Fälle von Autismus – einer komplexen Störung mit einem breiten Spektrum – in den vergangenen Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten angestiegen sind, verneinen Forschende die Existenz einer Epidemie und verweisen auf Verbesserungen in der Diagnose. Was die Ursachen betrifft, hat die Wissenschaft gezeigt, dass die Genetik eine wichtige Rolle spielt. Auch bestimmte Umweltfaktoren wurden hervorgehoben, wie beispielsweise Neuroinflammation oder die Einnahme bestimmter Medikamente während der Schwangerschaft wie das Antiepileptikum Depakine.
Die WHO, die EMA und die MHRA haben indes erklärt, dass es keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, dass Paracetamol Autismus verursacht. "In den vergangenen zehn Jahren wurden umfangreiche Forschungen durchgeführt, darunter auch groß angelegte Studien, um den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft und Autismus zu untersuchen", erklärte die WHO am 24. September 2025. "Bislang konnte kein konsistenter Zusammenhang festgestellt werden."
Selbiges bekräftigte Steffen Thirstrup, Chefarzt der EMA, in einer Erklärung vom 23. September 2025: "Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft Autismus bei Kindern verursachen kann." Auch Alison Cave, Leiterin der Abteilung für Arzneimittelsicherheit bei der britischen MHRA, bestätigte in einer Mitteilung vom 22. September 2025, dass keine derartigen Hinweise vorlägen.
Eine bahnbrechende schwedische Studie
Monique Botha, Psychologin an der Durham Universität im Vereinigten Königreich, die sich mit Autismus befasst, erklärte auf AFP-Anfrage, dass "die bislang zuverlässigsten Daten" aus einer schwedischen Studie stammen, die 2024 im Journal of the American Medical Association (Jama) veröffentlicht wurde und in der fast 2,5 Millionen in Schweden geborene Kinder über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten beobachtet wurden. Diese Studie wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft als die qualitativ hochwertigste Analyse zu Autismus angesehen, die derzeit verfügbar ist.
Die Studie verglich die Auswirkungen auf verschiedene Geschwisterkinder, wenn ihre Mutter während der Schwangerschaft Schmerzmittel einnahm – oder nicht einnahm. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass "Geschwisterkontrollanalysen keine Hinweise darauf ergaben, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft mit Autismus, ADHS oder geistiger Behinderung in Verbindung steht", fügte Botha hinzu.
Dieses Thema ist keineswegs neu, sondern wird bereits seit etwa zehn Jahren diskutiert. Im Jahr 2021 untersuchte eine Gruppe internationaler Expertinnen und Experten Daten aus Studien an Menschen und Tieren zur Anwendung von Paracetamol während der Schwangerschaft. In ihrer gemeinsamen Erklärung in der Fachzeitschrift Nature Reviews Endocrinology riefen sie zur Vorsicht bei der Verschreibung von Paracetamol für Schwangere auf.
"Wir empfehlen, dass Frauen vor oder zu Beginn der Schwangerschaft folgende Hinweise erhalten: Schwangere Frauen sollten auf die Einnahme von APAP (Acetaminophen, Anmerkung des Herausgebers) verzichten, sofern dies nicht medizinisch indiziert ist", heißt es in dem Text, der wegen seines alarmistischen Tons Kritik hervorrief.
Rod Mitchell, Professor für pädiatrische Endokrinologie an der Universität Edinburgh in Schottland und einer der Autoren der Erklärung, sagte auf AFP-Anfrage, er habe "ernsthafte Bedenken" hinsichtlich der Äußerungen von Trump. Mitchell zufolge gebe es Hinweise darauf, "dass Paracetamol den sich entwickelnden Fötus beeinträchtigen könnte, vor allem in Bezug auf die zukünftige Fortpflanzungsfähigkeit und Fruchtbarkeit". Er fügte allerdings hinzu, dass die möglichen Auswirkungen oder Risiken nicht eindeutig geklärt seien. "Insgesamt deuten die verfügbaren Erkenntnisse jedoch nicht darauf hin, dass Paracetamol Autismus verursacht."
Einschränkungen in der vom Trump-Lager zitierten Studie
Mitglieder der Trump-Regierung verweisen ihrerseits auf eine Studie, die die Ergebnisse von rund 40 Studien zusammenfasst und im Sommer 2025 in der Fachzeitschrift Environmental Health veröffentlicht wurde. Diese Analyse kommt zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang "zwischen der Exposition gegenüber Paracetamol während der Schwangerschaft und einer erhöhten Inzidenz von neurologischen Entwicklungsstörungen" besteht.

Viele Forschende sind jedoch der Meinung, dass diese Studie aufgrund ihrer mangelhaften Methodik lediglich Wege für weitere Forschungen aufzeigen könne. Sie liefere kaum Erkenntnisse über die tatsächlichen Ursache-Wirkungs-Mechanismen. Könnte es beispielsweise sein, dass die Erkrankungen, gegen die Paracetamol eingenommen wurde, das Auftreten von Autismus begünstigt haben?
Im Gegensatz dazu berücksichtigt die Jama-Studie mehrere Faktoren, die die Analyse verzerren könnten, und vergleicht insbesondere das Autismusrisiko bei Geschwistern, da die Vererbung hierbei eine wichtige Rolle spielt.
Psychologin Botha wies auch darauf hin, dass die ältesten Studien, die in der im Fachjournal Environmental Health veröffentlichten Analyse berücksichtigt wurden, oft methodische Mängel aufwiesen. Zudem seien Faktoren wie die Tatsache, dass die Eltern der Kinder selbst autistisch waren, nicht berücksichtigt worden – obwohl mehrere Studien geschätzt hätten, dass etwa 80 Prozent der Autismusfälle auf genetische Faktoren zurückzuführen seien, die von den Eltern vererbt worden seien.
"Eine kürzlich veröffentlichte zusammenfassende Analyse hat zwar einige Hinweise auf einen schwachen Zusammenhang gefunden, jedoch nicht die Qualität der Studien bewertet, auf denen die Analyse basiert. Wichtig ist, dass diese Studien nicht berücksichtigen, dass Fieber während der Schwangerschaft bekanntermaßen das Risiko für Autismus erhöht, und dass Mütter deshalb überhaupt erst Paracetamol einnehmen", betonte eine in den USA gegründete Koalition von Autismus-Expertinnen und -Experten online, die 2025 als Reaktion auf Maßnahmen des US-Gesundheitsministeriums entstand.
Kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen
Steven Kapp, Dozent für Psychologie an der Universität Portsmouth in England und Mitglied dieser Koalition, erklärte am 22. September 2025 gegenüber dem Science Media Centre, dass "Studien, die einen Zusammenhang herstellen wollen, nicht zwischen Korrelation und Kausalität unterscheiden" würden. "Eltern autistischer Kinder neigen möglicherweise aus verschiedenen Gründen eher dazu, Paracetamol einzunehmen, unter anderem weil sie selbst häufiger autistisch sind und weil autistische Menschen häufiger unter Schmerzen leiden (überempfindlich gegenüber Schmerzen sind und an schmerzbezogenen Störungen leiden)", fügte der Experte hinzu.
Tarik Jasarevic, ein Sprecher der WHO, der am 23. September 2025 während einer regulären Pressekonferenz zu den Äußerungen des US-Präsidenten befragt wurde, fasste zusammen, dass zwar "einige Beobachtungsstudien einen möglichen Zusammenhang zwischen der pränatalen Exposition gegenüber Paracetamol und Autismus nahelegen", die "Beweislage jedoch weiterhin uneinheitlich ist".
Die von der US-Arzneimittelbehörde an Ärztinnen und Ärzte herausgegebene Empfehlung zu Paracetamol besagt ebenfalls, dass "zwar in vielen Studien ein Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus beschrieben, jedoch kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen wurde und es in der wissenschaftlichen Literatur auch gegenteilige Studien gibt". Eine Assoziation oder Korrelation weist lediglich darauf hin, dass mehrere Phänomene gemeinsam in einer Gruppe auftreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass zwischen diesen Phänomenen eine Ursache-Wirkungs-Beziehung besteht.
Bei Überdosis besteht ein Risiko
Nach Trumps Äußerungen bekräftigte die EMA, dass "Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen werden kann". Derzeit gebe es "keine neuen Erkenntnisse, die eine Änderung der aktuellen EU-Empfehlungen für seine Verwendung rechtfertigen würden", schrieb die europäische Behörde, die selbst im Jahr 2019 mehrere Studien zur neurologischen Entwicklung von Kindern überprüft hatte, die während der Schwangerschaft Paracetamol ausgesetzt waren. Dabei konnte kein Zusammenhang mit neurologischen Entwicklungsstörungen festgestellt werden.
Zur Erinnerung: Wie bei jedem Medikament ist auch die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft nicht ohne Risiko. Besorgniserregend sind jedoch die mit einer Überdosierung verbundenen Risiken, insbesondere die schädlichen Auswirkungen, die zu viel Paracetamol auf die Leber haben kann. Es sollte daher "in der niedrigsten wirksamen Dosis, für die kürzestmögliche Dauer und so selten wie möglich" angewendet werden, erklärte die EMA.
Paracetamol ist nach wie vor das mit Abstand sicherste Schmerzmittel für Schwangere, im Gegensatz zu Aspirin oder Ibuprofen, die in der späten Schwangerschaft absolut nicht empfohlen werden, da sie zum Tod des Fötus oder zu Fehlbildungen führen können.
Autismus unter Amischen
In den USA und Kanada leben etwa 411.000 Amische, wobei große Gemeinschaften in Pennsylvania, Ohio und Indiana zu finden sind. Obwohl die Datenlage begrenzt ist, bestätigen Expertinnen und Experten, dass Autismus unter den Amischen vorkommt. "Wir haben einige Amische gefragt, ob es in ihrer Gemeinschaft Fälle von Autismus gibt", erklärte der Epidemiologe Braxton Mitchell, Co-Direktor der Amish Research Clinic der Universität Maryland, in einer E-Mail vom 23. September 2025. "Die Antwort lautet ja. Wir wissen nur nicht, in welchem Umfang."
Die Koalition der Autismus-Expertinnen und -Experten erklärte auf AFP-Anfrage am 23. September 2025, dass Autismus in Amisch-Gemeinden vorkommt, jedoch aufgrund des begrenzten Zugangs zu medizinischer Versorgung wahrscheinlich unterdiagnostiziert ist.
Für eine vorläufige Auswertung im Jahr 2010 wurden Ärztinnen und Ärzte in den Bezirken der US-Bundesstaaten Ohio und Indiana von Tür zu Tür geschickt, wo sie 1899 Kinder von Amischen anhand eines standardisierten Fragebogens und anderer Diagnosewerkzeuge testeten. Die Forschenden berichteten über das Vorliegen von Autismus "bei etwa 1 von 271 Kindern", schrieben jedoch, dass weitere Studien "die kulturellen Normen und Bräuche, die möglicherweise eine Rolle bei der Art der Berichterstattung durch die Betreuungspersonen spielen", untersuchen müssten.
Endokrinologe Mitchell, dessen Team seit über 30 Jahren mit Amischen zusammenarbeitet, erklärte gegenüber AFP, dass es schwierig sei, die Ergebnisse der Studie mit nicht-amischen Bevölkerungsgruppen zu vergleichen, da ein direkter Vergleich die Anwendung derselben Methoden erfordern würde. "Autismus kommt bei den Amischen vor", aber "wir wissen nicht, wie häufig er im Vergleich zu Nicht-Amischen auftritt", sagte er.
Alycia Halladay, wissenschaftliche Leiterin der US-amerikanischen Autism Science Foundation, stimmte zu, dass es in Amisch-Gemeinden "definitiv Autismus gibt". Sie merkte an, dass in einigen Fällen eine höhere Rate an genetischen Störungen aufgrund von Blutsverwandtschaft zu Autismus beitragen kann. Sie zitierte eine Fallstudie aus dem Jahr 2009 über ein Amisch-Mädchen mit Autismus und Krampfanfällen, die mit einer seltenen genetischen Mutation in Verbindung stehen.
Steven Nolt, Professor für Geschichte und Täuferstudien am Elizabethtown College im Lancaster County im US-Bundesstaat Pennsylvania – Heimat einer der größten Amisch-Siedlungen in den USA – erklärte, dass auch anekdotische Beweise Trumps Aussage widerlegen. "Amische Eltern schreiben manchmal in amischen Publikationen über ihre Kinder mit Autismus und verwenden diesen Begriff", erklärte er auf AFP-Anfrage in einer E-Mail vom 24. September 2025.
Untersuchungen zeigen auch, dass die Amischen impfen, wenn auch in geringerem Umfang als die allgemeine Bevölkerung – ein Trend, den Nolt auf geografische und kulturelle Faktoren zurückführt. Für eine Studie aus dem Jahr 2011 wurden Amisch-Eltern in einem County in Ohio befragt. Sie ergab, dass nur 14 Prozent ihren Kindern keine einzige Impfung verabreicht hatten.
Weitere Faktenchecks zur US-Politik sammelt AFP auf der Website.
Fazit: Expertinnen und Experten sowie Gesundheitsorganisationen wie die WHO oder die EMA widersprachen der Behauptung von US-Präsident Donald Trump, dass Schwangere kein Paracetamol einnehmen sollten, weil ihre Kinder dadurch Autismus bekommen könnten. Auch die Behauptung, dass es unter Amischen keinen Autismus geben würde, wiesen Fachleute zurück.