
Diese Behauptungen zu einer angeblichen Verurteilung von Annalena Baerbock sind frei erfunden
- Veröffentlicht am 26. September 2025 um 16:28
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Katharina ZWINS, AFP Österreich
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"Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Urteil, dass die Mainstream-Medien am liebsten totschweigen würden, Annalena Baerbocks Handeln in ihrer Zeit als Außenministerin für rechtswidrig erklärt", heißt es in einem Video, das am 17. September 2025 auf Facebook veröffentlicht wurde. "Konkret geht es um die Veruntreuung von Steuergeldern in Millionenhöhe unter dem Deckmantel ihrer sogenannten feministischen Außenpolitik", wird in dem Clip, der auch auf Instagram vielfach geteilt wurde, weiter erklärt.
In dem Video sind unter anderem mehrere Aufnahmen von Berlin sowie Bilder von Baerbock zu sehen. Eingeblendet sind die Worte "Gericht verurteilt Baerbock wegen UN Skandal! Und in den ÖRR (Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, Anm. d. Red.) hört und sieht man nicht".

Die geteilte Behauptung ist jedoch falsch, wie AFP-Recherchen ergaben.
In dem Clip wird Baerbock unter anderem konkret vorgeworfen, sie hätte "systematisch Millionenbeträge an obskure NGOs und UN-nahe Organisationen weitergeleitet, die ausschließlich ihre radikal-grüne, globalistische Agenda vorantreiben". Von 2021 bis 2025 war Baerbock deutsche Außenministerin unter Olaf Scholz (SPD). Sie war die erste Frau in diesem Amt und setzte sich für feministische Außenpolitik ein. Während Kritiker ihre Ansätze oft als zu weitgehend einstuften, bemängelten Frauenrechtlerinnen zugleich den aus ihrer Sicht unzureichenden Fortschritt. Während ihrer Amtszeit geriet Baerbock zudem wiederholt in die Kritik, insbesondere wegen der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Ein Punkt war die Visavergabe an gefährdete Afghanen, bei der Kritiker dem Auswärtigen Amt zu großzügiges Vorgehen und zu starke Orientierung an NGO-Angaben vorwarfen. Nach dem Ende ihrer Ministerinnentätigkeit wurde die Politikerin im Juni 2025 zur Präsidentin der UN-Generalversammlung gewählt und trat ihr Amt am 9. September 2025 in New York an.
Das Video wurde von einem User namens frank.t.t.i.b. veröffentlicht, dessen Name auch in dem geteilten Clip zu sehen ist. Auf Instagram veröffentlicht der Nutzer unter anderem Videos von Falschbehauptungen und weit verbreiteten Verschwörungserzählungen oder teilt Clips von Nutzern, deren Behauptungen AFP bereits widerlegt hat.
Verwaltungsgericht Berlin dementiert Behauptung
Auf AFP-Anfrage am 18. September 2025 erklärte eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts Berlin, das das vermeintliche Urteil angeblich gefällt haben soll, in einem Telefonat: "Wir haben keinerlei Informationen zu einer Klage betreffend Annalena Baerbock beim Verwaltungsgericht Berlin. Sie erscheint nicht in unserem System." Zudem sagte die Sprecherin, dass sie sich die Sinnhaftigkeit der Behauptung aus rechtlicher Sicht "nicht erklären" könnte.
Die Sprecherin wies zudem auf den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts hin (hier archiviert). Darin ist festgelegt, welche Richterinnen und Richter im Geschäftsjahr 2025 beim Verwaltungsgericht Berlin tätig sind und welche Kammern für die unterschiedlichen Angelegenheiten des Gerichts zuständig sind. Angeführt sind Rechtsgebiete wie beispielsweise Visumsrecht, Versammlungsrecht, Schulrecht oder Asylrecht. Auch Personenstandsrechtsangelegenheiten sowie Gewerberecht, Energierecht oder Wasserrecht sind im Geschäftsverteilungsplan angeführt. "Das Verwaltungsgericht Berlin ist für Streitigkeiten zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat zuständig." Strafrechtliche Angelegenheiten wie etwa Veruntreuung, die Baerbock in dem geteilten Video vorgeworfen wird, fielen nicht in die sachliche Zuständigkeit des Gerichtes, erklärte die Sprecherin weiter.
Gesetzlich geregelt ist die Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hier ist unter anderem festgeschrieben, dass der Verwaltungsrechtsweg in "öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art" gegeben ist. Für strafrechtliche Angelegenheiten sind hingegen Amts-, Land- oder Oberlandesgerichte zuständig. Auch privatrechtliche Streitigkeiten, bei denen es um Rechtsbeziehungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern geht, fallen nicht darunter.
Auf AFP-Anfrage schrieb Patrick Hilbert, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht der Universität Münster, am 24. September 2025, "dass die Verwaltungsgerichte in Deutschland nicht im technischen Sinne über eine Strafbarkeit der Untreue nach dem Strafgesetzbuch (StGB) entscheiden". Er betonte jedoch, dass ohne konkreten Fall oder Klageantrag nicht definitiv beurteilt werden könne, ob ein Gericht zuständig sei oder ein anderes.
Doch selbst wenn eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin nach dem VwGO vorläge, müsste der Kläger oder die Klägerin klagebefugt sein, erklärte Hilbert. Im Video heißt es, die Klage gegen Baerbock sei "von einer mutigen Gruppe von Haushaltsexperten" eingereicht worden. Klagebefugt ist, wer in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt wird. Hierbei handelt es sich, etwas vereinfacht dargestellt, um einen Anspruch von Personen gegenüber dem Staat (oder einer anderen öffentlichen Stelle) auf die Gewährung oder den Schutz einer bestimmten Rechtsposition. Die zuständige Behörde ist dabei zu einem bestimmten Verhalten gegenüber Einzelpersonen verpflichtet. Beispiele sind etwa das Recht auf Anerkennung einer verliehenen Konzession oder Anspruch auf Rückerstattung irrtümlich gezahlter Abgaben. Zur geteilten Behauptung schrieb Hilbert: "Alle Konstellationen einer Klage gegen Mittelverwendungen in Bundesministerien scheitern spätestens hieran." Die "mutige Gruppe von Haushaltsexperten", die im Video genannt wird, würde demnach an der Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts scheitern.
In dem geteilten Clip heißt es zudem, Baerbocks Handeln sei von dem Gericht "für rechtswidrig erklärt worden". Dazu erklärte Hilbert: "Unter bestimmten Voraussetzungen können vor deutschen Verwaltungsgerichten Feststellungsklagen erhoben werden, mit denen festgestellt wird, ob ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht (§ 43 VwGO). Je nach Antragstellung kann damit in der Sache auch entschieden werden, dass ein bestimmtes Handeln rechtswidrig war." Auch hier scheint jedoch keine Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts gegeben – wenngleich sowohl Experte Hilbert als auch die Sprecherin des Gerichts hervorhoben, dass ein solcher fiktiver Fall nicht eindeutig beurteilt werden könne.
Baerbock häufig Ziel von Falschbehauptungen
Eine Stichwortsuche zu einem angeblichen Urteil gegen Baerbock in diesem Zusammenhang lieferte keine Ergebnisse. AFP-Anfragen an Baerbock sowie das Außenministerium blieben bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.
In der Vergangenheit war Baerbock bereits vielfach Gegenstand von Falschbehauptungen, die AFP überprüft hat. Die Politikerin stürmte etwa nicht aus einer Kabinettssitzung, weil der damalige SPD-Bundeskanzler Scholz Hilfsgelder für die Ukraine blockieren wollte. Ein häufig geteiltes Video sollte zudem darstellen, dass Baerbock bei einem Besuch in China nicht von einem offiziellen Empfangskomitee begrüßt wurde. Auch diese Behauptung ist falsch.
Fazit: Im September 2025 kursierte ein Video, wonach das Verwaltungsgericht Berlin das Handeln von Baerbock wegen der Veruntreuung von Steuergeld für rechtswidrig erklärt hätte. Das ist jedoch falsch, wie das Gericht bestätigte. Laut Fachleuten sowie aufgrund einschlägiger Gesetze ist die Behauptung aus rechtlicher Sicht zudem wenig stichhaltig.