
US-Regierungsbericht zu Kindergesundheit zitiert laut Autoren erfundene Studien
- Veröffentlicht am 5. Juni 2025 um 11:30
- Aktualisiert am 5. Juni 2025 um 11:32
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Marisha GOLDHAMER, Bill MCCARTHY, AFP USA
- Übersetzung: Katharina ZWINS
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Der mit Spannung erwartete Bericht "Make America Healthy Again" (zu Deutsch: "Macht Amerika wieder gesund") wurde am 22. Mai 2025 von US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. vorgelegt. Der 72-seitige "MAHA"-Report wirft einen kritischen Blick auf die Lebensmittelversorgung in den USA sowie auf die Auswirkungen von Pestiziden und verschreibungspflichtigen Medikamenten. Er stützt sich dabei auf hunderte Studien. In dem Bericht werden US-amerikanische Kinder als übermäßig medikamentiert und gleichzeitig mangelhaft ernährt beschrieben. Außerdem spricht er sich für eine erneute Prüfung des Impfplans für Kinder aus. Doch der Bericht enthält fehlerhafte Zitat-Links und schreibt Autorinnen und Autoren wissenschaftliche Arbeiten zu, die bestreiten, diese verfasst zu haben.
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, spielte die Fehler während eines Pressebriefings am 29. Mai 2025 als "Formatierungsprobleme" herunter. "Das mindert nicht die inhaltliche Substanz des Berichts", sagte Leavitt. Sie äußerte Vertrauen in US-Gesundheitsminister Kennedy und sein Team und betonte, deren Arbeit basiere auf "solider Wissenschaft".

Über die Probleme wurde erstmals am 29. Mai 2025 von "Notus" berichtet, einem US-amerikanischen Nachrichtenportal, das mit dem gemeinnützigen Allbritton Journalism Institute verbunden ist.
Noah Kreski, ein Forscher der Columbia University, der in dem Bericht als Autor einer Studie über Angstzustände und Depressionen bei Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie aufgeführt ist, sagte gegenüber AFP, das Papier sei "nicht eine unserer Studien" und "scheint überhaupt keine existierende Studie zu sein". Das ursprüngliche Zitat enthielt einen Link, der angeblich zu einem Artikel in der wissenschaftlich geprüften medizinischen Fachzeitschrift "Jama Pediatrics" führen sollte, doch der Link war fehlerhaft. Jim Michalski, ein Sprecher des Jama Networks, sagte, der Artikel sei "nicht in 'Jama Pediatrics' oder in einer anderen Zeitschrift des Jama Networks veröffentlicht worden".
Die Epidemiologin Katherine Keyes von der Columbia University, die ebenfalls als Autorin der angeblichen Jama-Studie aufgeführt wurde, sagte gegenüber AFP, dass sie zwar zu dem Thema forsche, jedoch nicht wisse, woher die ihr zugeschriebenen Statistiken stammten und dass sie "diese Arbeit nicht verfasst" habe. Sie äußerte sich besorgt über den Fehler und sagte: "Zitationspraktiken sind ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlicher Strenge und Berichterstattung." Sie fügte hinzu, dass sie der Kommission gerne ihre tatsächliche Forschung zu depressiven Symptomen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusenden würde, "um den Bericht zu korrigieren, obwohl ich bisher keine Informationen darüber erhalten habe, wie ich sie erreichen kann".
Guohua Li, ein weiterer Professor der Columbia University, der im Bericht zitiert wird, sagte, der Verweis sei "vollständig erfunden" und er kenne Kreski nicht einmal.
AFP sprach auch mit Harold Farber, Professor für Pädiatrie am Baylor College of Medicine, der erklärte, die ihm im Bericht zugeschriebene Studie "existiert nicht" und er habe nie mit den im Bericht genannten Co-Autoren und -Autorinnen zusammengearbeitet.
Ebenso bestätigte Brian McNeill, Sprecher der Virginia Commonwealth University, dass Robert Findling, Professor für Psychiatrie, nicht der Autor eines Papiers sei, das ihm im Bericht zugeschrieben wird und das sich mit Werbung für Psychopharmaka bei Jugendlichen befassen soll.
Eine vierte Arbeit über Medikamente bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) wurde zudem nicht wie behauptet in der Zeitschrift "Pediatrics" im Jahr 2008 veröffentlicht, so der Herausgeber, die American Academy of Pediatrics. Eine Stichwortsuche ergab einen Blogbeitrag mit demselben Titel wie das angebliche Papier. Allerdings stammt dieses von einem anderen Autor und ist keine fachlich überprüfte Publikation.
Das Democratic National Committee (DNC), das nationale Organisationsgremium der Demokratischen Partei der USA, kritisierte den Bericht in einer Pressemitteilung vom 29. Mai 2025 scharf als "voller Fehlinformationen". Das DNC erklärte, Kennedys Behörde "rechtfertigt ihre politischen Prioritäten mit Studien und Quellen, die nicht existieren".
Zitate wurden überarbeitet
Das US-Gesundheitsministerium (Department of Health and Human Services, HHS) lehnte eine Stellungnahme ab und verwies AFP an das Weiße Haus. Während ihres Briefings lehnte es Sprecherin Leavitt ab, Fragen zur Entstehung des Berichts zu beantworten oder dazu, ob möglicherweise Werkzeuge künstlicher Intelligenz (KI) bei seiner Erstellung verwendet wurden. Sie verwies diesbezüglich zurück an das HHS.
Die "Washington Post" berichtete, ihre Analyse der Quellenangaben habe gezeigt, dass "oaicite" in den URLs enthalten war. Das sei ein Hinweis darauf, dass KI-Tools des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI verwendet wurden.

Nur wenige Stunden nach dem Briefing wurde auf der Website des Weißen Hauses eine überarbeitete Version des Berichts veröffentlicht, die das ursprüngliche Dokument ersetzte. Die Änderungen wurden weder hervorgehoben noch als Korrekturen gekennzeichnet, doch die vier von AFP untersuchten Quellenangaben wurden durch andere Links ersetzt.
Das angeblich vom Team der Columbia University stammende Papier wurde durch einen Verweis auf ein Briefing zur National Health Interview Survey über Jugendliche ersetzt, das von der US-amerikanischen gemeinnützigen Organisation KFF veröffentlicht wurde. Die nicht existierende Farber zugeschriebene Studie wurde durch eine Arbeit über die Verschreibung von oralen Steroidhormonen bei Asthma ersetzt, die er 2017 in der Zeitschrift "Pediatrics" veröffentlicht hatte. Ein Artikel, der 2006 in der Fachzeitschrift "Psychiatric Services" erschienen ist, ersetzte das ursprünglich Findling zugeschriebene Papier. Der Verweis auf eine angebliche Studie zur Werbung für ADHS-Medikamente wurde durch einen Artikel der "New York Times" aus dem Jahr 2013 ersetzt.
Bedenken gegenüber Kennedy
Die Enthüllungen über die Studie kamen nur einen Tag, nachdem Kennedy große medizinische Fachzeitschriften angegriffen hatte, sie der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie bezichtigte und damit drohte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Regierung von der Veröffentlichung in diesen Zeitschriften auszuschließen.
Kennedy wurde Anfang 2025 als US-Gesundheitsminister bestätigt, obwohl die medizinische Fachwelt wegen seiner Vorgeschichte, Fehlinformationen zu Impfstoffen zu verbreiten und wissenschaftliche Fakten zu leugnen, breite Besorgnis äußerte.
Seit seinem Amtsantritt hat er die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden angewiesen, die Ursachen von Autismus zu untersuchen – eine angeborene Entwicklungsstörung, die er lange fälschlicherweise mit dem Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff (MMR) in Verbindung brachte. Die im Bericht enthaltenen Hinweise auf chronische Krankheiten scheinen genau darauf anzuspielen, obwohl die seitdem diskreditierte These, die auf falschen Daten basierte, seit ihrer ersten Veröffentlichung Ende der 1990er-Jahre widerlegt wurde. Der Bericht kritisiert zudem die "Übermedizinierung" von Kindern, verweist auf stark gestiegene Verschreibungen von Psychopharmaka und Antibiotika und macht die "Übernahme durch Konzerne" für die Verzerrung wissenschaftlicher Forschung verantwortlich.
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