
Studie zu kurzzeitigem Anstieg des Antarktis-Eisschilds online missinterpretiert
- Veröffentlicht am 26. August 2025 um 09:43
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Manon JACOB, Anna HOLLINGSWORTH, AFP USA, AFP Finnland
- Übersetzung und Adaptierung: Elena CRISAN , AFP Österreich
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"Die Lügen der Klima-Fanatiker werden immer offensichtlicher", lauteten mehrere Beiträge auf Facebook, Instagram und Telegram im August 2025. Chinesische Forscher hätten nun angeblich "eindeutig festgestellt, dass das Eis am Südpol nicht schmilzt, sondern in Rekordgeschwindigkeit" zunehme. Die Website anonymousnews, die AFP bereits in der Vergangenheit überprüfte, griff die Behauptungen ebenfalls auf.
Auch auf Schwedisch sowie auf Englisch verbreitete sich die Behauptung im Mai 2025.

Etwa 60 Prozent des Süßwassers der Erde sind im antarktischen Eisschild gespeichert. Eisschilder werden auch Inlandeis genannt. Wenn der antarktische Eisschild schmelzen würde, nähme der Meeresspiegel um rund 50 Meter zu. In der Antarktis bedeckt das Eis eine Fläche, die größer ist als ganz Europa und als die größte zusammenhängende Eismasse der Erde gilt.
In einer Studie, die im März 2025 in der Fachzeitschrift Science China Earth Sciences veröffentlicht wurde, analysierte ein Forschungsteam die Veränderungen der Masse des antarktischen Eisschilds zwischen 2002 und 2023. Das Team beobachtete, dass der dortige Eisschild zwischen 2021 und 2023 wuchs und in diesem Zeitraum nicht zum globalen Anstieg des Meeresspiegels beitrug.
Dieses Phänomen konnte jedoch den Gesamtanstieg des Meeresspiegels in diesen Jahren aufgrund von Eisverlust und der Klimaerwärmung an anderen Orten nicht ausgleichen. Nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde Nasa ist der Meeresspiegel aufgrund steigender Temperaturen in den letzten 100 Jahren um etwa 160 bis 210 Millimeter gestiegen. Etwa die Hälfte dieses Anstiegs ist seit 1993 zu verzeichnen.
Ungewöhnliche Niederschläge einschließlich Schnee und Regen in der östlichen Antarktis und auf der Antarktischen Halbinsel waren gemäß einem der Autoren der Studie der Hauptgrund für die Zunahme der Inlandeismasse. Das bestätigten weitere Wissenschaftler gegenüber AFP. Sie sagten, dass der kurzzeitige Anstieg der Eismasse keinen Widerspruch darstelle, dass der Klimawandel Folgen für die Antarktis habe.
Studie belegt bloß kurzzeitige Veränderung
Yunzhong Shen, Co-Autor der Studie, erklärte gegenüber AFP am 19. Mai 2025, dass die zwischen 2021 und 2023 beobachtete Zunahme "auf zu kurzer Zeitskala" stattfand, um als neuer Trend zu gelten. Die Studienergebnisse würden auch nicht die Auswirkungen des Klimawandels in der Region widerlegen. Er sagte, dass der Anstieg des Eisschilds in der Antarktis "nach 2024 zu Ende" gegangen sein dürfte und "durch weitere Forschung bestätigt werden" müsse.
James Kirkham, Wissenschaftler bei der International Cryosphere Climate Initiative, pflichtete dem bei: "Die jüngsten von der Nasa bisher für 2025 gemeldeten Werte sehen genauso aus wie 2020, kurz vor dem plötzlichen Anstieg." Die International Cryosphere Climate Initiative ist ein Netzwerk von Fachleuten aus der Politik sowie Wissenschaft, die sich für Initiativen zum Schutz der Kryosphäre der Erde einsetzen. Die Kryosphäre ist der Teil der Erdoberfläche, der aus Eis und Schnee besteht. Dazu zählen etwa Permafrost, also ständig gefrorener Boden, und Eiskappen.
Betrachtet man die Gesamtmassenbilanz, so veranschaulichen die Daten der Nasa seit 2002 einen Nettoverlust:

Die Tatsache, dass in einem wärmeren Klima "vermehrt Schneefälle in der Antarktis auftreten, sei völlig erwartbar, da die Atmosphäre in einem wärmeren Klima mehr Feuchtigkeit speichern kann", erklärte Kirkham gegenüber AFP am 27. Mai 2025. "Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterereignisse zunimmt", sagte der Wissenschaftler. Dazu gehörten auch die starken Schneefälle, die während des Studienzeitraumes zu einer Zunahme der Masse in der Ostantarktis geführt haben.
Auch der Leiter des Antarktis-Forschungszentrums an der Victoria University of Wellington in Neuseeland Robert McKay sagte, dass der Massenanstieg infolge erhöhter Schneefälle in einem relativ stabilen Teil des antarktischen Inlandeises "für Teile der Ostantarktis in einem sich kurzfristig erwärmenden Klima nicht unerwartet ist und von mehreren Modellen vorhergesagt wurde".

"Das bedeutet keineswegs, dass der Klimawandel nicht real ist", sagte McKay am 15. Mai 2025. "Es bestätigt lediglich, dass die Auswirkungen des Klimawandels regional variieren und die Ostantarktis von einem Prozess betroffen ist, der als 'Schneekanone' bezeichnet wird", wie er erklärte. Etwa würden bestimmte Regionen der Welt unter Dürre leiden, während andere mehr Niederschläge haben. "Diese extremen Phänomene werden zu großen Schwankungen in regionalen Prozessen führen, und die Antarktis bildet da keine Ausnahme."
Meeresspiegel stieg als Folge des Klimawandels an
Peter Neff, Klimaforscher an der US-amerikanischen University of Minnesota, sagte am 27. Mai 2025, dass die Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels bereits in großem Umfang rund um die Antarktische Halbinsel und die Küste der Antarktis zu sehen seien. Es dauere jedoch länger, bis die Auswirkungen das Landesinnere erreichen. Der Kontinent sei laut Neff "wie ein riesiger Pfannkuchen mit sehr steilen Rändern". Die Ränder "bremsen" die wärmere Luft, die von Süden nach Norden strömt.
Insgesamt habe das Inlandeis der Antarktis seit 2002 an Masse verloren, sagte McKay, und das jüngste Wachstum reiche "bei weitem nicht aus, um die seitdem entstandenen Verluste auszugleichen".
Fast alle Eisverluste in der Antarktis betreffen Gletscher, die vor allem in der Westantarktis und auf der Halbinsel liegen.
McKay sagte, dass Forschende sich meist um Gebiete wie die Westantarktis sorgen, da diese nahe an einem "Kipppunkt" liegen könnten, der zu einem stark beschleunigten Anstieg des globalen Meeresspiegels führen könnte.
Er erklärte, dass der Meeresspiegel derzeit hauptsächlich aufgrund der thermischen Ausdehnung des Meeres, des Abschmelzens des grönländischen Eisschildes und der Berggletscher steige. Derzeit trage die Antarktis im Vergleich dazu in relativ geringem Maße bei. Aber dies könnte sich in Zukunft ändern, wenn das Inlandeis in der Westantarktis unter dem Meeresspiegel zusammenbricht, sagte er.
Die folgende Grafik zeigt, dass der globale Meeresspiegel entgegen den Behauptungen in sozialen Medien auch im Zeitraum 2021 bis 2023 weiter angestiegen ist:

Wetterstationen messen das Wetter in der Antarktis im Vergleich zu anderen Regionen der Welt erst seit Kurzem. Nichtsdestotrotz zeigen sie eine lang anhaltende Erwärmung und Auswirkungen auf den Meeresspiegelanstieg, auch wenn die Schwankungen von Jahr zu Jahr sehr groß sind. In der Antarktis herrscht das wechselhafteste Klima der Welt.
Satellitendaten haben kürzlich gezeigt, dass Inlandeis wesentlich anfälliger für den Klimawandel ist als bisher angenommen. Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels schmelzen die Eisschilde Grönlands und der Antarktis.
Die Menge an Eis, die in Grönland und der Westantarktis schmilzt oder abbricht, beträgt derzeit durchschnittlich 400 Milliarden Tonnen pro Jahr und hat sich in den letzten drei Jahrzehnten vervierfacht, was deutlich mehr ist als der gesamte Rückgang von Gebirgsgletschern.
Laut dem Weltklimarat IPCC erwärmen sich die Ozeane in beiden Polarregionen. Dabei habe der Südliche Ozean einen "überproportionalen und zunehmenden Anteil" am globalen Anstieg der Meereswärme.
AFP überprüfte bereits mehrere Behauptungen zu Eisschildern sowie generell zum Thema Klima.
Fazit: In sozialen Medien wurde eine im März 2025 veröffentlichte Studie zum Anstieg des Eisschilds in der Antarktis missinterpretiert. Laut den irreführenden Behauptungen sei der Kontinent nicht von Klimaveränderungen betroffen. Doch laut Fachleuten deuten die Studienergebnisse nicht auf eine langfristige Erholung der Antarktis hin. Vielmehr sei der Anstieg des Eisschilds auf spezifische Wetterbedingungen zurückzuführen.