
Dieses Zitat über den Ukrainekrieg stammt nicht von BND-Präsident Bruno Kahl
- Veröffentlicht am 22. April 2025 um 11:50
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Elena CRISAN, AFP Österreich
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In Paris berieten Ende März 2025 Vertreterinnen und Vertreter von mehr als 30 Ländern über eine weitere Unterstützung der Ukraine. Doch als die Verteidigungsminister zusammentrafen, meldete das russische Staatsmedium Russia Today, sie täten das mit dem angeblichen Ziel, "den Kriegsgrund aufrechtzuerhalten und den Krieg zu verlängern".
Diese Erzählung ergänzte auch eine Veröffentlichung des Blogportals Freie Welt am 24. März 2025, die im Titel ein angebliches Zitat vom Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl anführte: "Am besten wäre es, wenn der Krieg noch fünf Jahre weitergeht". AFP überprüfte Behauptungen des Portals bereits in der Vergangenheit. Auf Facebook teilten Userinnen und User die Behauptung und kommentierten etwa: "So möchte es die Eu als auch die deutsche Regierung .Und dann sagen , der Russe will keinen Frieden". Auch auf X kursierte Ende März 2025 die Behauptung.

Doch das Zitat stammte nicht von Kahl in dem als Quelle angeführten Interview – das beteuern Journalistinnen und Journalisten, die bei dem Dreh anwesend waren. Auch Sprecherinnen und Sprecher des BND wiesen eine solche Äußerung zurück.
Zitat kam im ursprünglichen Gespräch nicht vor
Der BND-Präsident sprach am 8. März 2025 in einem Interview mit der Deutsche Welle-Journalistin Rosalia Romaniec über den Krieg in der Ukraine und Bedrohungen Europas durch Russland. Zu diesem Interview führte eine Kette mehrerer Links in den geteilten Posts und Artikeln.
Auf AFP-Anfrage bestätigte Romaniec am 7. April 2025, dass Bruno Kahl im Interview mit ihr keinen längeren Krieg wünschte: "Es gibt keine weiteren Zitate, die Herr Kahl uns gegenüber geäußert hat, außer das, was in dem Video zu hören und zu sehen ist", schrieb die Ressortleiterin im Hauptstadtstudio der Deutschen Welle. Dies bestätigte in einem Telefonat mit AFP Mitte März 2025 auch ein bei dem Dreh anwesender Kollege.
In der Aufzeichnung des Deutsche Welle-Interviews nannte Kahl keine Jahreszahlen für ein Ende des Krieges. Das Gespräch ist seit der Ausstrahlung am 8. März 2025 auf der Website des Senders nachzuhören. Kahl wurde im Interview zirka bei Minute 7:00 gefragt, ob Russland die Einheit der Nato-Staaten auf die Probe stellen könnte. In Artikel 5 des Vertrages der Verteidigungsallianz ist das Prinzip der kollektiven Verteidigung der Bündnisstaaten verankert. Wenn ein Nato-Verbündeter Opfer eines bewaffneten Angriffs wird, ist jedes andere Mitglied des Bündnisses demnach verpflichtet, "das zu leisten, was er unter den besonderen Umständen für notwendig hält und leisten kann", um dem angegriffenen Verbündeten zu helfen. Dass Russland "die Einheit des Westens auf die Probe stellen" wolle, "davon müssen wir ausgehen", sagte Kahl. Mit dem Zusatz: "Wir hoffen sehr, dass das nicht stimmt."
In manchen Beiträgen wurde bereits einige Tage nach dem Deutsche Welle-Interview behauptet, unter anderem auf Youtube oder Telegram, Bruno Kahl habe darin verraten, dass der Krieg in der Ukraine bis 2029 dauern sollte. Diese Behauptung verbreiteten die deutschsprachigen Websites von Russia Today und Pravda am 9. März 2025, ebenfalls mit Verweis auf das Gespräch mit Romaniec. "Bei ihm taucht diese eigenartige Jahreszahl auf, die schon aus NATO-Planungen bekannt ist", schrieb Russia Today.
Der BND distanzierte sich von Behauptungen, dass es für Europa besser sei, wenn der Krieg in der Ukraine länger, beziehungsweise bis 2029 dauern sollte. "Beide Aussagen hat der Präsident des Bundesnachrichtendienstes nie in dieser Form getätigt", schrieb eine Sprecherin am 2. April 2025 auf AFP-Anfrage. Wann Kahl stattdessen von einem Ende des Krieges in der Ukraine ausgehe, führte der BND auf Nachfrage nicht an.
Bei einer Podiumsdiskussion am 27. November 2024, auf die der BND zudem verwies, sprach Bruno Kahl ab Minute 6:30 von einer "ernsten Lage" und davon, dass der russische Präsident Wladimir Putin "eine neue Weltordnung" schaffen wolle. Mit dem fortschreitenden Aufwuchs des Militärpotenzials Russlands werde "auch eine direkte militärische Konfrontation mit der Nato zu einer möglichen Handlungsoption für den Kreml". Aus russischer Sicht wäre, so Kahl, "ein Scheitern der Nato als Verteidigungsbündnis erreicht", wenn Artikel 5 des Nato-Vertrags "ohne Wirkung" bleibe.
AFP fand mittels erweiterter Websuche schließlich keine öffentlichen Aufzeichnungen von Bruno Kahl, worin er für einen längeren Krieg in der Ukraine plädiert hätte.
Warum die Jahreszahl 2029 kursiert
In der Tat kam die Jahreszahl 2029 des Öfteren in aktuellen Medienberichten vor. Danach, ob Russland einen Angriff auf die Nato etwa 2029 oder 2030 vornehmen könnte, fragte auch Romaniec sinngemäß. Kahl antwortete im Interview mit der Deutschen Welle ab Minute 7:10 wörtlich: "Diese Zeitspanne ist gegründet auf ganz fundierten Daten aber sie ist natürlich auch abhängig von zeitlichen Entwicklungen." Weiters führte er aus, dass es auch früher zu einer Gefährdung kommen könnte, wenn die "kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine früher zum Stillstand kommt". Er begründete dies damit, dass Russland dann "natürlich" früher in der Lage wäre, "die technischen und materiellen Mittel", aufzubringen und eine "Drohkulisse gegen Europa abzugeben". Dazu gehört etwa, Rüstungen zu beschaffen und Personal zu rekrutieren, wie Kahl ausführte.
Die Journalistin bezog sich bei der Fragestellung auf "auf die allgemein bekannten Fakten und Expertenaussagen", wie sie Anfang April gegenüber AFP in einer E-Mail schrieb. Dazu zählen etwa mehrere Medienberichte, wonach SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius vor einem drohenden Angriff Putins auf Europa in "fünf bis acht Jahren" sprach. Sein Vertrauter und Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer warnte bereits im Sommer 2024 vor einem möglichen russischen Angriff auf die Nato.

Ulrich Kühn, Sicherheitsexperte mit Fokus auf die Nato und Russland am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), stellte im AFP-Gespräch am 9. April 2025 jegliche Zeitangaben für einen möglichen Angriffs Russlands infrage. Zwar habe Russland "keine guten Absichten" gegenüber Europa, doch es gebe "keine Anhaltspunkte" für eine Offensive bis 2030. Diese Jahreszahl beruhe rein auf einer Rechnung, wie hoch die militärischen Kapazitäten Russlands sein müssten, damit diese für einen Angriff reichen. Das Land produziere in den vergangenen Jahren "tatsächlich mehr Rüstung", doch "Europa rüstet ebenfalls deutlich auf". Der zweite Punkt werde in der Zeitrechnung nicht berücksichtigt. Dennoch sollte die Gefahr vonseiten Russlands "weiterhin evaluiert werden, um dagegen gewappnet" zu sein.
Kreml wies Kriegsschuld auf Europa
Zum falsch zugeschriebenen Zitat führte eine Reihe verschiedener Veröffentlichungen. In dem vielfach geteilten Blogbeitrag der Freien Welt wurde ein Interview erwähnt, in dem Kahl gemeint haben soll, dass es "besser für Europa" wäre, "wenn der Krieg in der Ukraine mindestens bis 2029 oder 2030 andauerte". Das Portal Freie Welt bezog sich auf einen englischsprachigen Blogbeitrag auf der laut Impressum in Ungarn angesiedelten Plattform Remix News, die laut Medienberichten regierungsfreundliche Beiträge und massiv Werbung schaltet. Darin lautete am 21. März 2025 die Conclusio, dass ein Friedensdeal laut Kahl in weniger als fünf Jahren für Europa nicht von Vorteil wäre.
Diese These wiederum basiert auf einem Artikel der "Berliner Zeitung", auf die explizit verwiesen wurde. Darin stellte der Autor folgende Frage: "Wird der Krieg auf dem Rücken der Ukrainer ausgetragen?" Diese basierte auf ein Posting der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko, als sie Kahls Aussagen im Deutsche Welle-Interview auf Facebook kritisierte. Der am 10. März 2025 erschienene Artikel der "Berliner Zeitung" zitierte Kahls Aussagen gegenüber der Deutschen Welle zwar wörtlich richtig, doch die aktuellen Beiträge in sozialen Medien basieren auf einer fehlerhaften Interpretation seiner Worte.
Indessen warf Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Medienberichten dem designierten Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz Mitte April 2025 vor, zu einer "Eskalation" des Krieges durch eine mögliche Lieferung von "Taurus"-Raketen an die Ukraine beizutragen. Aus Kreml-Sicht fehle der Wille in europäischen Hauptstädten, "sich um Wege zu Friedensgesprächen zu kümmern, sie sind eher geneigt, die Fortsetzung des Krieges weiter zu provozieren", äußerte Peskow Mitte April 2025.
AFP nahm bereits mehrere falsche oder irreführende Behauptungen zum Krieg in der Ukraine unter die Lupe.
Fazit: Ein im März 2025 kursierendes Zitat von Bruno Kahl, welches er in einem Interview mit der Deutschen Welle gesagt haben soll, ist irreführend. Zwar äußerte sich der BND-Chef darin zum Krieg in der Ukraine – nannte jedoch keine Daten für ein Ende des Krieges und wünschte sich auch nicht öffentlich eine Verlängerung. Auch abseits des Interviews habe Kahl das Zitat nicht geäußert, bestätigten Journalistinnen und Journalisten sowie der BND.