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"Diktator ohne Wahlen"? Trumps verbale Angriffe auf Selenskyj im Faktencheck
- Veröffentlicht am 28. Februar 2025 um 16:59
- Aktualisiert am 28. Februar 2025 um 17:38
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Marion DAUTRY, AFP Frankreich
- Übersetzung: Lisa-Marie ROZSA
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Trump nannte Selenskyj einen "Diktator ohne Wahlen"
Am 19. Februar 2025 bezeichnete der US-Präsident bezeichnete Selenskyj als "Diktator ohne Wahlen" (hier archiviert), einen Tag nachdem er auch gesagt hatte, der ukrainische Staatschef habe in Umfragen nur eine Zustimmungsrate von vier Prozent. Knapp über eine Woche später jedoch hat der US-Präsident seine Kommentare dann wieder heruntergespielt. Bei einer Pressekonferenz am 27. Februar 2025 anlässlich des Washington-Besuches vom britischen Premierministers Keir Starmer, sagte Trump, er und Selenskyj würden "sehr gut miteinander auskommen (...) Ich habe großen Respekt vor ihm".
Woher die Zahl von vier Prozent stammt, erklärte Trump jedoch nicht. Selenskyj sagte gegenüber Reporterinnen und Reportern, es handele sich um eine russische Angabe. Er fügte hinzu, dass die Ukraine "Beweise" dafür habe, dass diese in Gesprächen zwischen russischen und US-amerikanischen Regierungsvertreterinnen und -vertretern genannt worden sei.
Auch in einigen russischen Medien wurde die Zahl von vier Prozent verwendet. Dabei wurde eine Umfrage des prorussischen Abgeordneten Oleksandr Dubynskyj auf dem Social-Media-Kanal Telegram zitiert. Dubynskyj wurde im Jahr 2021 von der US-Regierung sanktioniert.
Laut einer Umfrage, die im Februar 2025 vom Kyiv International Institute of Sociology durchgeführt wurde (hier archiviert), hat Selenskyj eine Zustimmungsrate von 57 Prozent. Auch wenn dies einen Rückgang gegenüber dem Höchststand von 90 Prozent unmittelbar nach der Invasion Russlands im Jahr 2022 darstellt, ist dies ein Zeichen dafür, dass Selenskyj "seine Legitimität behält", so das Institut.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat Selenskyj wiederholt als illegitimen Herrscher bezeichnet, weil er seit seinem Wahlsieg im Mai 2019 über eine fünfjährige Amtszeit keine Wahlen mehr ausgerufen hat.
Das am Tag der russischen Invasion beschlossene Kriegsrecht in der Ukraine schließt jedoch jegliche Wahlen aus. AFP hat bereits im Jahr 2023 irreführende Beiträge überprüft, wonach Selenskyj Wahlen "verboten" habe. Selensky hatte dem britischen Sender BBC in einem Interview erklärt, dass Wahlen nur in Friedenszeiten abgehalten werden können.
Wer hat den Krieg begonnen?
Bei einer Pressekonferenz am 18. Februar 2025 deutete Trump an, dass die Ukraine die Invasion vom 24. Februar 2022 verursacht habe. Russland hat seitdem etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums eingenommen.
"Ihr hättet das den Krieg nie beginnen dürfen, ihr hättet einen Deal machen sollen", sagte Trump nachdem Kiew gegen die bilateralen Gespräche zwischen den USA und Russland über den Ukraine-Krieg in der saudiarabischen Hauptstadt Riad protestiert hatte.
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Damit wiederholte Trump erneut prorussische Äußerungen. "Sie haben den Krieg 2014 begonnen", hatte Putin in einem Interview mit dem konservativen US-Kommentator Tucker Carlson im Februar 2024 gesagt.
Trumps ehemaliger Vizepräsident Mike Pence widersprach seiner Behauptung auf X. "Herr Präsident, die Ukraine hat diesen Krieg nicht 'begonnen'. Russland hat eine grundlose und brutale Invasion begonnen", sagte Pence. "Der Weg zum Frieden muss auf der Wahrheit basieren" (hier archiviert)
Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland geht auf den Februar 2014 zurück, als der prorussische Präsident Wiktor Janukowytsch im Zuge der proeuropäischen Maidan-Revolte nach Russland floh. Wenige Tage später übernahmen russische Spezialeinheiten inkognito die Kontrolle über die ukrainische Krim, bevor es zu einer formellen Annexion kam, die von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurde.
Der Konflikt griff dann auf den Donbass über, wo Moskau mit Hilfe prorussischer Separatisten einen bewaffneten Konflikt gegen Kiew schürte. Russland zog seine Streitkräfte an der Grenze zusammen, und am 24. Februar 2022 fuhren die ersten Panzer in die Ukraine ein, was den Beginn einer groß angelegten russischen Invasion darstellte.
"350 Milliarden Dollar" an US-Hilfsgeldern?
Trump wiederholte am 19. Februar 2025 auf seiner Plattform Truth Social, dass Selenskyj "die USA dazu überredet hat, 350 Milliarden Dollar für einen Krieg auszugeben, der nicht zu gewinnen war und der nie hätte beginnen müssen" (hier archiviert).
Am Tag zuvor sagte er, Selenskyj habe ihm gesagt, er wisse nicht, wohin die Hälfte des US-Geldes geflossen sei. Möglicherweise habe er eine Aussage des ukrainischen Staatschefs missverstanden, wonach mehr als die Hälfte der Hilfe nicht geleistet worden war.
Am 1. Februar 2025 teilte Trump der Associated Press mit, dass die Ukraine "etwas mehr als" 75 Milliarden Dollar der vom US-Kongress beschlossenen 177 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern erhalten habe, hauptsächlich in Form von militärischer Ausrüstung.
Das US-Außenministerium gab am 20. Januar 2025 bekannt, dass die USA der Ukraine seit der Invasion Russlands 65,9 Milliarden Dollar an Militärhilfe zur Verfügung gestellt haben (hier archiviert).
Das Kiel Institut für Weltwirtschaft, eine deutsche Wirtschaftsforschungsstelle, gab an, dass die USA von 2022 bis Ende 2024 114,2 Milliarden Euro (119,8 Milliarden Dollar) an finanzieller, humanitärer und militärischer Hilfe geleistet haben – davon 64 Milliarden Euro an militärischer Hilfe (hier archiviert).
USA großzügiger als die EU?
Trump sagte auch, dass die Hilfe Europas für die Ukraine einen "sehr viel geringeren Prozentsatz" ausmache. Das Kiel Institut gab an, dass Europa die Ukraine am meisten unterstützte und dass der Großteil dieser Hilfen humanitär oder finanziell waren.
"Ich denke, Europa hat 100 Milliarden Dollar gegeben und wir haben, sagen wir, mehr als 300 gegeben", sagte Trump. "Und das ist für sie wichtiger als für uns."
"Europa als Ganzes hat die USA in Bezug auf die Ukraine-Hilfe deutlich überholt", so das Kiel Institut. Die Forscherinnen und Forscher des Instituts schätzt, dass Europa 70 Milliarden Euro an finanzieller und humanitärer Hilfe und 62 Milliarden Euro an Militärhilfe "bereitgestellt" habe.
"Millionen" von Toten?
Trump sagte zudem, dass "Millionen" in dem Konflikt gestorben seien, während keine der beiden Seiten überprüfbare Zahlen vorgelegt hätten.
Selenskyj teilte dem US-Sender NBC im Februar 2025 mit, dass 46.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten im Krieg gestorben seien. Der ukrainische Kriegsberichterstatter Jurij Butussow zitierte im Dezember 2024 Militärquellen mit der Aussage, dass 70.000 Ukrainerinnen und Ukrainer getötet worden seien. Bei der Belagerung der Stadt Mariupol im Jahr 2022, die sich nun unter russischer Kontrolle befindet, gab es nach ukrainischen Angaben zwischen 20.000 und 80.000 Tote.
Russland hat seit Ende 2022 keine Opferzahlen mehr bekannt gegeben, als es weniger als 6.000 tote Soldatinnen und Soldaten bestätigte. Die unabhängige Website Mediazona und die BBC, die mehrere öffentliche Quellen, darunter auch Nachrufe, ausgewertet haben, berichten, dass mehr als 90.000 russische Soldaten gefallen sind (hier archiviert).
Im Dezember 2024 sagte der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, dass es 700.000 tote und verwundete russische Militärangehörige gebe. Hinzu kämen noch nordkoreanische Soldaten: 1.100 nach Angaben von Seoul, 3.000, nach Angaben von Kiew.
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Die UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission in der Ukraine (HRMMU) stellte im Januar 2025 fest, dass auf ukrainischer Seite 12.600 Zivilisten getötet und etwa 29.000 weitere verletzt wurden (archivierter Link), und betonte, dass die tatsächliche Zahl "wahrscheinlich viel, viel höher" sei (hier archiviert).
Alle Faktenchecks zum Ukrainekrieg finden sich auf der AFP-Website.
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