Dieses Video zeigt Krankenwagen, die von Polen in die Ukraine fahren
- Veröffentlicht am 27. Januar 2025 um 12:39
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: Maja CZARNECKA, AFP Polen
- Übersetzung: Lisa-Marie ROZSA
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"Ein Pole filmte Kolonnen von Krankenwagen, die den Grenzübergang passierten und Kämpfer und Söldner der ukrainischen Streitkräfte zur Behandlung nach Europa transportierten", hieß es in den polnischsprachigen Posts. Diese wurden Anfang Januar 2025 zusammen mit einem kurzen Video auf Facebook (hier und hier), X und Telegram geteilt. Das zehn Sekunden lange Video trug die Überschrift "Grenzübergang in Medyka".
Ähnliche Beiträge wurden auch auf Englisch, Französisch, Spanisch und Slowakisch veröffentlicht.
Das Video wurde zudem am 8. Januar 2025 in einem Artikel in russischen Medien publiziert. In diesem hieß es, dass "viele verwundete hochrangige ukrainische Offiziere und ausländische Soldaten" in Krankenwagen in die EU gebracht werden würden.
Dasselbe Video erschien auch auf den Social-Media-Kanälen der polnischsprachigen Version des Nachrichtenportals Prawda. Laut Viginum – einem französischen Dienst, der auf Desinformationskampagnen und digitale Einflussnahme aus dem Ausland spezialisiert ist – handelt es sich bei den Prawda-Websites um russische Desinformationsnetzwerke, die auf die EU und die USA abzielen. AFP hat bereits einige polnische Artikel überprüft, die auf diesen Websites veröffentlicht wurden (etwa hier, hier und hier).
Der polnisch-ukrainische Grenzübergang Medyka-Szeginie im Südosten Polens liegt an einer der Hauptverkehrsrouten zwischen Polen und der Ukraine. Dieser ist für den Transport von Personen, Handelsgütern und militärischer Ausrüstung von großer Bedeutung.
Das Video, das den Beiträgen beigefügt ist, zeigt jedoch keinen Konvoi von Krankenwagen mit verwundeten ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, die nach Polen einreisen, um sich in diesem Land oder in anderen EU-Staaten behandeln zu lassen. Tatsächlich zeigt es Krankenwagen, die der Ukraine im Rahmen der polnischen humanitären Hilfe von der Region Niederschlesien für die Oblaste Dnipropetrowsk und Kirowohrad im Dezember 2024 gespendet wurden.
Das Video zeigt den Grenzübergang in Medyka in Richtung Ukraine
Um mehr über das Video zu erfahren, hat AFP zunächst alle Details analysiert. Zudem wurde das Filmmaterial an den polnischen Grenzschutz sowie das polnische Zoll- und Finanzamt mit der Bitte um Stellungnahme weitergeleitet.
"Das Video zeigt die Infrastruktur des Grenzübergangs in Medyka in Richtung Ausreise aus Polen", schrieb Generalleutnant Piotr Zakielarz, Sprecher des Kommandeurs der Grenzschutzeinheit Bieszczady, am 9. Januar 2025 in einer E-Mail an AFP. "Die Aufnahme zeigt den Grenzübergang in Medyka in Richtung Ausreise aus der Republik Polen und nicht umgekehrt", so auch die stellvertretende Kommandantin Edyta Chabowska, Sprecherin der Steuerverwaltungskammer in Rzeszów, in einer E-Mail vom 10. Januar 2025.
Ab Minute 0:07 erscheint die Aufschrift "Tax-Free" auf den Bildschirmen am Dach des Grenzübergangs (zu sehen im grünen Rahmen im folgenden Screenshot). "Die Aufschrift 'Tax Free' ist nur in der Ausreiserichtung aus Polen zu sehen" für Reisende, die die EU verlassen und eine Mehrwertsteuererstattung beantragen (hier archiviert), betonte Zakielarz. Das bedeutet, dass diese Kennzeichnung bei der Einreise nach Polen gar nicht angezeigt wird. Im Vergleich der Fotos unten sind dieselben halbkreisförmigen Elemente des Daches mit roten Kreisen und der Rand des Seitendachs auf der rechten Seite markiert. Das deutet darauf hin, dass es sich um dieselbe Infrastruktur handelt.
Bei einer Einreise nach Polen ist an dem Grenzübergang auch in großen Buchstaben "Republik Polen" zu lesen. Auch das ist ein Indiz dafür, dass die Krankenwagen Polen verlassen. Die folgende Luftaufnahme (hier archiviert) zeigt den Grenzübergang bei einer Einreise nach Polen – mit der Aufschrift "Republik Polen" (rot hervorgehoben) und den Grenzübergang bei einer Ausreise in Richtung Ukraine – wo es keine Aufschrift gibt (lila hervorgehoben) und wo das Video aufgenommen wurde.
Eine solche Aufschrift, die Menschen willkommen heißt, die nach Polen einreisen, ist auf den Fotos des Grenzübergangs in Medyka auf der Website des polnischen Zoll- und Finanzamtes (siehe unten) zu sehen (hier archiviert). Sie ist ebenfalls auf den Fotos des Ministeriums für Inneres und Verwaltung vom Februar 2022 zu erkennen, die die Ankunft von Geflüchteten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine zeigen. Auch auf einem Video aus demselben Zeitraum ist die Aufschrift zu sehen.
Urheber des Videos: "Krankenwagen fuhren in die Ukraine"
Mittels umgekehrter Bildsuche konnte AFP ermitteln, dass dasselbe Video bereits vor dem 8. Januar 2025 in sozialen Medien kursierte. Zu dem Zeitpunkt enthielt es aber eine andere – entgegengesetzte – Behauptung auf Tiktok, Youtube und Instagram, nämlich, dass die Krankenwagen in die Ukraine fahren würden.
Nach einer weiteren Suche konnte AFP schließlich das Originalvideo ausfindig machen, das am 28. Dezember 2024 von einem polnischen Nutzer auf Tiktok veröffentlicht wurde. In der Originalfassung ist keine Hintergrundmusik zu hören – bei den von AFP analysierten Videos ist ein Lied hörbar. Der Urheber des Videos antwortete in einem Kommentar unter dem Video, dass die Krankenwagen "helfen" sollen und dass "Polen diese an die Ukraine spendet" (siehe unten).
AFP kontaktierte den Urheber des Videos. Er antwortete am 10. Januar 2025: "Ja, es ist mein Video. Ich habe es aufgenommen, als ich in die Ukraine fuhr und die Krankenwagen vor mir in der Schlange sah. Ich habe einen Clip aufgenommen, um zu zeigen, wie Polen der Ukraine hilft", so der Einwohner von Jarosław, einer etwa 50 Kilometer von der Grenze entfernten Ortschaft. "Ich sah noch ein oder zwei weitere Krankenwagen. Und sie sind sicherlich nicht nach Polen gefahren – wie einige Nutzerinnen und Nutzer fälschlicherweise behaupten", fügte der Nutzer hinzu, der anonym bleiben möchte.
Er schickte AFP auch die Originalaufnahme, um diese in besserer Qualität anschauen zu können. Es stellte sich heraus, dass die Nummern der Krankenwagen mit "D01" und die Kfz-Kennzeichen mit "DW" beginnen, was darauf hindeutet, dass sie aus der Region Niederschlesien stammen.
Schenkung von Niederschlesien an die Ukraine
Mithilfe einiger Expertinnen und Experten, darunter Hersteller von Krankenwagenausrüstung und Krankenwagenfahrer, konnten die im Video gezeigten Fahrzeugmodelle als Mercedes Benz Sprinter 316 oder 319 identifiziert werden.
AFP setzte sich auch mit den Behörden der Region Niederschlesien in Verbindung. "Der Rettungsdienst in Breslau hat im Dezember 2024 insgesamt fünf Krankenwagen an die Region Kirowohrad und die Region Dnipropetrowsk in der Ukraine übergeben. Die Spendenübergabe (...) fand am 12. Dezember 2024 statt. Der Ort der Übergabe der Krankenwagen war der Grenzübergang der Republik Polen und der Ukraine in der Stadt Medyka", so der Sprecher der Region, Tomasz Jankowski, am 13. Januar 2025 in einer E-Mail an AFP. Die Krankenwagen seien Teil der "humanitären Hilfe für die Ukraine", heißt es in einem Beschluss des Vorstands der Region Niederschlesien vom 25. November 2024 (hier archiviert).
Der Beschluss (siehe unten) beschreibt alle fünf Fahrzeuge im Detail: Es handelt sich um Mercedes Benz Sprinter 316 und 319 – die gleichen, die AFP im Video identifiziert hat. Die Kennzeichen, die mit DW beginnen, stimmen mit denen aus dem Video überein.
Es ist nicht das erste Mal, dass von der Stadt Breslau und Umgebung Krankenwagen in die Ukraine geschickt und humanitäre Hilfe für Geflüchtete organisiert wurde. Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 nahm die Stadt 16 verwundete Soldatinnen und Soldaten aus der Ukraine zur Behandlung und Rehabilitation auf.
AFP kontaktierte das polnische Gesundheitsministerium, um mehr über die verwundeten ukrainischen Soldatinnen und Soldaten in Erfahrung zu bringen. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kam jedoch keine Rückmeldung.
Nach Angaben der EU-Kommissarin für Vorsorge, Krisenmanagement und Gleichstellung, Hadja Lahbib, wurden seit 2022 viertausend Ukrainerinnen und Ukrainer in 22 Mitgliedstaaten, darunter Polen, gebracht. Unter diesen waren sowohl verwundete Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilisten und etwa auch Krebspatienten.
AFP fragte den Tiktok-Nutzer auch nach dem genauen Datum der Aufnahme des Videos. Dieser bestätigte in einer Nachricht vom 13. Januar 2025, dass er die Situation am Grenzübergang zwar am 12. Dezember 2024 aufgezeichnet, das Video aber erst am 28. Dezember 2024 gepostet habe. Als Beleg schickte er AFP ein Foto einer Seite seines Passes mit dem Grenzkontrollstempel vom 12. Dezember 2024.
Fazit: Online wird fälschlicherweise behauptet, dass ein Video einen Konvoi von Krankenwagen zeige, der verwundete ukrainische Soldatinnen und Soldaten zur Behandlung nach Polen bringe. Tatsächlich sind in dem Video aber Krankenwagen zu sehen, die als Hilfsgüter über den polnisch-ukrainischen Grenzübergang in Medyka in die Ukraine gefahren werden.