Niedrigwasser am Rhein von 1921 widerlegt nicht den Klimawandel

Vermeintliche Beweise gegen die Existenz des Klimawandels sind in sozialen Medien sehr beliebt. Aktuell geht ein historisches Foto des Rheins viral: hohe Temperaturen und ein niedriger Flusswasserstand vor 100 Jahren sollen dabei belegen, dass der Klimawandel eine "Mär" sei. Wie Hydrologen gegenüber AFP bestätigten, kam es im Jahr 1921 tatsächlich zu einem historischen Niedrigwasser. Doch einzelne Trockenperioden hat es schon immer gegeben, sie widerlegen nicht den menschgemachten Klimawandel. Im Gegenteil: Durch die Erderwärmung werden solche Extremereignisse zukünftig wahrscheinlicher.

Ein Schwarzweißfoto des Rheins, der kaum Wasser führt, wird derzeit tausendfach in sozialen Medien geteilt. In einem Facebook-Post vom 21. Juni 2024 heißt es dazu: "Wetter vor mehr als 100 Jahren, als es noch keine CO2-Steuern und keine Mär vom menschgemachten Klimawandel gab." Dazu werden Temperaturdaten aus dem Jahr 1921 zitiert: "Aufgrund von milden Temperaturen am Ausgang des Winters und heißer Sommermonate war das Jahr 1921 relativ warm. Im Sommer traten Höchsttemperaturen bis zu 39,4 °C auf."

Die Kommentare unter dem Beitrag zeigen, dass einige Nutzerinnen und Nutzer den Klimawandel anzweifeln und die historischen Temperaturdaten sowie das Niedrigwasser des Rheins als Belege sehen. Ein Nutzer schrieb etwa ironisch: "Und auch damals ist man dann auf E-Autos und Wärmepumpen umgestiegen und konnte so die Temperatur senken!!" Ein anderer Nutzer konterte: "Die verkaufen uns ihre Wettermanipulationen als Klimawandel..."

Der identische Post wurde auf X fünfzigtausendfach angezeigt und in zahlreichen Telegram-Kanälen weiter verbreitet (auch hier und hier). 

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 2. Juli 2024

Immer wieder stellen Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Medien die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Historische Ereignisse, wie besonders hohe Temperaturen oder niedrige Wasserstände, wurden dabei oft als Argumente genutzt. AFP widerlegte bereits Behauptungen, dass niedrige Pegelstände in Dresden im Jahr 1904 den "Klimaschwindel" beweisen würden, ebenso wie Trockenheit am Bodensee im Jahr 1540. Auch die aktuell verbreiteten Postings bezweifeln anhand eines einzelnen Extremwetterereignisses die Rolle des Menschen bei der globalen Erderwärmung. 

Authentisches Foto der "Loreley"

Eine umgekehrte Bildsuche ergab, dass auf dem Schwarzweißfoto die Loreley zu sehen ist, eine sagenumwobene Schieferfelswand am Mittelrhein. An dieser Stelle zwischen Kaub und Sankt Goarshausen ist der Rhein besonders tief und schmal, darum zählte der Streckenabschnitt zu den gefährlichsten des Mittelrheintals. Die Loreley inspirierte zahlreiche Mythen und Gedichte über eine schöne Frau, die Schiffer ins Verderben stürzte, und ist darum ein vielfach fotografiertes Ausflugsziel. 

Eine erweiterte Websuche ergab zudem, dass das geteilte Foto ursprünglich auf der Website Undine veröffentlicht wurde. Die "Informationsplattform zu hydrologischen Extremereignissen (Hochwasser, Niedrigwasser)", die nach der mythischen Wassernymphe Undine benannt wurde, wird von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) herausgegeben. Laut dort verlinkter Quellenangabe stammt das Foto aus dem Band 77 der "Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde" von 1925. 

Auch die im Facebook-Post zitierten Temperaturangaben stammen in gleichem Wortlaut aus einem auf Undine veröffentlichten Artikel, der sich mit dem historischen Niedrigwasserereignis des Rheins der Jahre 1920 und 1921 beschäftigt. Die BfG bestätigte am 28. Juni 2024 gegenüber AFP per E-Mail, dass das Foto sowie die Temperaturdaten authentisch sind. 

Das Niedrigwasser von 1920/21

Martin Labadz, Pressereferent bei der BfG, erklärte auf AFP-Anfrage am 28. Juni 2024, dass eine lang anhaltende Trockenheit den niedrigen Wasserstand am Rhein in den Jahren 1920 und 1921 verursacht habe. Bereits im Herbst 1920 habe es "deutlich unterdurchschnittliche Niederschläge" gegeben, "verschärfend wirkte der heiße Sommer 1921 mit sehr hohen Lufttemperaturen".

Zur historischen Einordnung betonte Labadz: "Extreme Einzelereignisse, wie das Niedrigwasser 1921, hat es immer gegeben und wird es immer geben." Grundsätzlich sei allerdings nicht der Wasserstand, sondern der Durchfluss an repräsentativen Pegeln die relevante Größe, um ein solches Extremereignis festzustellen. Schließlich könnte das Flussbett vertieft werden, wodurch bei gleichbleibendem Wasserstand deutlich mehr Wasser abfließt. Die folgende Grafik des Pegels bei Kaub, wenige Kilometer von der Loreley entfernt, zeigt, dass es in den vergangenen zwei Jahrhunderten immer wieder Niedrigwasserereignisse am Rhein gegeben hat (rot hervorgehoben): 

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Niedrigste Tagesmittelwerte des Abflusses (NQ) in den Herbstmonaten September, Oktober und November (SON) am Mittelrheinpegel Kaub, zur Verfügung gestellt von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)

Historische Flussfotos sagen nichts über Klima aus

Einzelne Fotos eines Flusses sind jedoch aus mehreren Gründen keine geeignete Methode, um Klimaveränderungen zu dokumentieren, erklärte René Orth, Professor für die Modellierung Biogeochemischer Systeme an der Universität Freiburg, gegenüber AFP am 30. Juli 2024: Als historische Momentaufnahmen dokumentierten sie lediglich die Auswirkungen von Wetterereignissen zu einem bestimmten Zeitpunkt. "Der Klimawandel kann sich nur auf langfristige Trends von Flusswasserständen auswirken", präzisierte Orth. Schließlich beschreibt "Klima" per Definition des Deutschen Wetterdiensts (DWD) eine Zusammenfassung der Wettererscheinungen über einen langen Zeitraum. Der Wasserstand des Rheins wird laut Orth außerdem nicht nur durch das Wetter beeinflusst, sondern auch durch verschiedene menschliche Nutzungszwecke. Wasser wird beispielsweise zur Bewässerung, als Trinkwasser oder zur Kühlung von Industrieanlagen entnommen.

Martin Labadz vom BfG fügte hinzu: "Von einem systematischen Wandel spricht man erst, wenn Niedrigwasserereignisse über einen vieljährigen Zeitraum belegbar gehäuft auftreten, länger dauern, intensiver werden oder sich neue Entstehungsmechanismen abzeichnen." In der Klimaforschung werden dafür Zeiträume von 30 Jahren genutzt.

Auch Ralf Merz, Professor für Hydrologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) stellte gegenüber AFP am 28. Juni 2024 klar, dass mit einmaligen historischen Niedrigwasserständen keine Aussagen über Klimaveränderungen getroffen werden können: "Auch in früheren Zeiten ohne menschengemachten Einfluss auf das Klima hat es immer wieder Dürren und somit auch Phasen mit sehr niedrigen Wasserständen in unseren Flüssen gegeben." Was sich durch den Klimawandel allerdings ändere, sei die Häufigkeit von Dürren: "Es dürfen also nicht einzelne Ereignisse betrachtet werden, sondern deren zunehmende oder abnehmende Häufigkeit", erklärte Merz.

Hohe Temperaturen im Jahr 1920 widerlegen nicht den Klimawandel

Ähnlich wie bei den Niedrigwasserereignissen sagen auch einmalige Temperaturdaten eines heißen Sommers nichts über langfristige Klimaveränderungen aus. Ralf Merz vom UFZ betonte, dass die Häufigkeit von heißen Jahren als Folge des Klimawandels stark zugenommen habe: "Seit Mitte der 1980er Jahre ist fast jedes Jahr in Deutschland im Durchschnitt wärmer als im Mittel der Periode 1881-2021."

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Abweichung des Jahresmittels der Lufttemperatur für Deutschland vom vieljährigen Mittel 1961-1990: Deutscher Wetterdienst (DWD), Screenshot von AFP

Die derzeit beobachtete Erderwärmung lässt sich nach wissenschaftlichem Kenntnisstand eindeutig auf den Menschen zurückführen. Der Weltklimarat IPCC veröffentlicht regelmäßig Berichte, die in der Wissenschaftsgemeinschaft als zuverlässige und anerkannte Quelle für die globalen Erwärmung angesehen werden. Im ersten Teil des am 9. August 2021 veröffentlichten sechsten Sachstandsberichts heißt es: "Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, Ozeane und die Landflächen erwärmt hat."

Wie beeinflusst der Klimawandel den Wasserstand an der Loreley?

Generell wird als Folge des Klimawandels für die Zukunft mit mehr Extremereignissen gerechnet: "Dürren mit sehr niedrigen Flusswasserständen werden häufiger auftreten", erklärte Ralf Merz vom UFZ. "Andererseits wird es auch häufiger Perioden mit sehr großen Abflussmengen und Überflutungen geben." Die durch den Klimawandel schmelzenden Alpengletscher würden zusätzlich starke saisonale Veränderungen für den Abfluss in den Rhein einbringen.

"Ausschläge von Flusswasserständen nach oben oder unten können häufiger werden", stimmte René Orth von der Universität Freiburg zu. Doch gleichzeitig würden sich die durchschnittlichen Flusswasserstände des Rheins auf längere Sicht wohl wenig verändern, da es durch die höheren Temperaturen  zu höherer Verdunstung kommt und sich die ebenfalls erhöhten Niederschlagsmengen mit der Verdunstung ungefähr ausgleichen. 

Die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) betreibt das Portal "Wasserwirtschaft und Schifffahrt", das den Einfluss verschiedener  Klimaszenarien auf deutschlandweite Pegel projizieren kann. Für den Pegel Kaub nahe der Loreley wird mit einem Szenario von niedrigen Treibhausgaskonzentrationen für die Zukunft (2070-2099) mit geringen Änderungen der Durchflussmittelwerte am Rhein gerechnet. Wird allerdings das Hochemissionsszenario mit gleichbleibenden Treibhausgasemissionen genutzt, wie sie aktuell ausgestoßen werden, dann zeigt sich für die Zukunft eine deutliche Abnahme des Durchflusses von 7 bis 24 Prozent. Martin Labadz vom BfG erklärte, dass meistens das Hochemissionsszenario für Deutschland verwendet werde, weil zu wenig erfolgreicher Klimaschutz erfolge: "Unter der Annahme eines nur wenig erfolgreichen Klimaschutzes gehen wir derzeit von einer weiteren Zuspitzung (Dauer, Intensität, Häufigkeit) von Niedrigwassersituationen am Mittelrhein aus", fasste er zusammen.

AFP sammelt alle Faktenchecks zum Thema Klima hier. 

Fazit: Das historische Foto eines Niedrigwasserereignisses am Rhein aus dem Jahr 1921 widerlegt nicht den menschgemachten Klimawandel. Momentaufnahmen von Flüssen können keine Aussage darüber treffen, wie sich der Wasserdurchfluss oder das Klima langfristig verändert, bestätigten Hydrologen gegenüber AFP. Die globale Erderwärmung führt laut Expertenmeinung dazu, dass Extremwetterereignisse wie Niedrigwasser und Dürren sowie Überflutungen zunehmen – auch am Rhein.

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