
Dieser Stau an der finnischen Grenze entstand vor der russischen "Teilmobilmachung"
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- Veröffentlicht am 23. September 2022 um 15:55
- Aktualisiert am 26. September 2022 um 09:35
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Eva WACKENREUTHER, Anna HOLLINGSWORTH, AFP Österreich, AFP Finnland, AFP USA
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Hunderte User verbreiteten das Video des vermeintlich aktuellen Staus im September auf Twitter. Auf Facebook kursiert die Aufnahme ebenfalls. Auch deutsche Medien benutzten den Clip zur Berichterstattung (mittlerweile korrigiert). Auch auf Englisch teilten Zehntausende das Video mit der Behauptung. Auf Ukrainisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Polnisch und Kroatisch verbreitete sich die Behauptung ebenfalls.
Die Behauptung: "Grenze zu Finnland, derzeit bis zu 35km Stau. Russland flieht vor Putin", heißt es zur Aufnahme eines Staus an einem Grenzübergang.

Am 21. September 2022 hat der russische Präsident Wladimir Putin eine "Teilmobilmachung" angekündigt. Die Ankündigung führte zu einem Ansturm auf Flüge ins Ausland, viele verließen das Land. Es kam außerdem zu Hunderten Festnahmen bei Protesten in Russland gegen die angekündigte "Teilmobilmachung". Am selben Tag kündigte Finnland eine nationale Lösung an, um Tourismus aus Russland einzuschränken oder zu verhindern.
Das Video hat allerdings nichts mit der Ankündigung zu tun. Der Mann, der das Video aufnahm, bestätigte gegenüber AFP, dass es drei Wochen zuvor entstand.
Video entstand vor der Ankündigung
AFP fand das Video bereits vor der Ankündigung Putins online. Zwei Tage zuvor, am 19. September 2022, hatte ein User namens "Igor in Russia" das Video auf Youtube und Tiktok veröffentlicht. Dort warnte er anschließend vor Verwendung der Aufnahme in falschem Kontext und schrieb, dass das Video schon vor der Ankündigung aufgenommen worden war.

AFP hat "Igor in Russland" kontaktiert, der mit echtem Namen Igor Parri heißt. Er schrieb am 22. September 2022: "Es war ein unglücklicher Zufall, dass ich das Video vor Mittwoch (dem Tag der Ankündigung Putins, Anm. d. Red.) hochgeladen habe. Das Video selbst wurde am 29. August an der Grenze in Vaalimaa aufgenommen, aber ein solcher Stau ist an dieser Grenze typisch."
Parri schickte AFP auch die Originalversion des Videos ohne Musik- und Texteinblendungen. Aus den darin enthaltenen Metadaten geht der Aufnahmeort hervor. Laut den dort gespeicherten GPS-Daten wurde das Video kurz vor der Grenzstation Vaalimaa im südöstlichen Finnland aufgenommen. Fotos des Grenzübergangs auf Google Maps stimmen ebenfalls mit dem Video überein.
Finnische Behörden dementieren Gerüchte
AFP hat am 22. September Kimmo Ahvonen vom finnischen Grenzschutz das in sozialen Netzwerken geteilte Video gezeigt. Er sagte zur Situation am Grenzübergang in Vaalimaa: "Gestern Abend war die Schlange in Vaalimaa ungefähr 250 Meter lang. Aktuell ist die Lage ähnlich." Das ist weit weniger als die Staulänge von 35 Kilometern, die einige Beiträge nennen.
Am 21. September zählte der finnische Grenzschutz 4824 Menschen, die aus Russland über die Ostgrenze nach Finnland gereist waren, am selben Tag der Vorwoche seien es noch 3113 gewesen. Die Situation an der Grenze zu Russland sei am Abend des 21. September verkehrsreicher geworden und sei nach wie vor belebt. Staus seien “nichts wirklich besonderes”, sagte Ahvonen.
AFP war am 22. September 2022 am Grenzübergang Vaalimaa. Ein AFP-Video von dort zeigt, dass sich dort Staus bildeten.
Der finnische Grenzschutz warnte am Nachmittag des 21. Septembers auf Twitter allerdings vor kursierenden falschen Informationen: "Die Situation an den Grenzen Finnlands hat sich mit der Ankündigung der russischen Mobilisierung nicht verändert." Videos in sozialen Netzwerken würden aus dem Kontext gerissen.
Situation at Finland's borders has not changed with the announcement of Russian moilization. There are videos circulating on social media, at least some of which have already been filmed before and now taken out of context. There is incorrect information in circulation.
— Rajavartiolaitos (@rajavartijat) September 21, 2022
Der Leiter der internationalen Abteilung des Grenzschutzes, Matti Pitkäniitty, äußerte sich am selben Tag ähnlich auf Twitter. Die Situation an der russisch-finnischen Grenze sei normal, sowohl an der grünen Grenze als auch im Verkehr. "Es gibt normale Warteschlangen im Grenzverkehr, im Moment nichts zu berichten. Bleiben Sie ruhig. Wir sind wachsam und werden berichten, wenn es etwas gibt", hieß es in dem Tweet.
Der Kommunikationsdirektor für Handel im finnischen Außenministerium, Ville Cantell, schrieb am 21. September 2022 ebenfalls auf Twitter: "Informationen über lange Schlangen an der Grenze zwischen Russland und Finnland sind nicht korrekt. Die Situation an der Grenze ist normal. Videos stammen nicht von der aktuellen Situation."
"Die Verkehrsmenge hat sich verglichen mit den vergangenen Tagen erhöht, aber der Anstieg ist bei weitem nicht wirklich dramatisch", sagte der leitende Grenzschutzbeamte Jari Huttunen in einem Video, das der finnische Grenzschutz am Abend des 22. September veröffentlichte.
Finnische Medien (hier, hier) berichteten am 22. September vom Anstieg des grenzüberschreitenden Verkehrs. Am Übergang in Vaalimaa habe sich ein rund 300 bis 400 Meter langer Stau gebildet. Laut AFP-Berichten war der Stau am Nachmittag des 22. September rund 150 Meter lang, weit kürzer als der in sozialen Netzwerken behauptete Stau.
Die Webseiten Fintraffic und Kelikamerat zeigen außerdem Webcam-Bilder der aktuellen Verkehrssituation, genauso wie von der Lage am 21. September.

Auf den Kartendiensten Google Maps sowie Yandex kann man ebenfalls die ungefähre Verkehrssituation abfragen. Am 22. September zeigten sie beide keine drastischen Verzögerungen, die auf einen Stau von 35 Kilometern hindeuten.
Fazit: Der Grenzübertritt von Russland nach Finnland hat zugenommen, am Grenzübergang Vaalimaa haben sich mehrere Hundert Meter lange Schlangen gebildet. Für einen 35 Kilometer langen Stau gibt es hingegen keine Beweise. Ein online verbreitetes Video ist älter, es stammt von August 2022, bevor Putin die "Teilmobilmachung" in Russland ankündigte.
Bill McCartthy trug zu diesem Faktencheck bei.
26. September 2022 deutsche Medien berichtigten ihre Berichterstattung