
Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja im Visier von Desinformation
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- Veröffentlicht am 21. Februar 2024 um 09:57
- Aktualisiert am 23. Februar 2024 um 09:49
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Théo MARIE-COURTOIS, AFP France
- Übersetzung: Johanna LEHN
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Einen Monat vor den russischen Präsidentschaftswahlen gaben die örtlichen Behörden am 16. Februar 2024 den Tod des Kreml-Gegners Alexej Nawalny in einem Straflager am Polarkreis bekannt.
Nawalny wurde Anfang 2021 verhaftet, nachdem er nach einer schweren Vergiftung nach Russland zurückkehrte. Der führende Oppositionelle verbrachte fast 300 Tage unter drastischen Haftbedingungen. Insbesondere seit dem Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren hatte Russland die Repression seiner Kritiker verschärft.
Die Nachricht seines Todes löste eine Welle der Empörung in Russland und westlichen Staaten aus. Zahlreiche westliche Politikerinnen und Politiker machen Moskau für Nawalnys Tod verantwortlich.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmisch erklärte am 19. Februar 2024, dass die Ermittler Nawalnys Leiche nicht an seine Angehörigen übergeben und "in den nächsten 14 Tagen eine chemische Analyse, eine Untersuchung, vornehmen werden".
Bereits vor Nawalnys Tod kursierte in sozialen Medien ein Foto von Julia Nawalnaja. Es zeigt sie lächelnd und in kurzer Hose am Strand, zusammen mit einem anderen Mann. Nutzerinnen und Nutzer teilen es mit ironischen Kommentaren, die Nawalnaja und somit den Kampf ihres Mannes diskreditieren sollen.
"Warum lächelte sie in München? Die Witwe Navalnys hat sich schon mit dem in England lebenden Millionär Jewgeni Tschischwarkin liiert", heißt es beispielsweise in einem über 700 Mal geteilten Beitrag auf Facebook. Auch auf X wird das Foto mit diesem Kommentar geteilt.

Ähnliche Beiträge wurden auch von Nutzerinnen und Nutzern aus Bosnien geteilt sowie auf Französisch, Englisch oder Italienisch.
Foto ist mehrere Jahre alt
Das derzeit verbreitete Foto von Julia Nawalnaja ist jedoch alt. Eine umgekehrte Bildsuche ergab, dass das Foto im Jahr 2021 auf dem Instagram-Account "tot_samy_chichvarkin" hochgeladen wurde. Dabei handelt es sich um das Profil von Jewgeni Tschitschwarkin, einem 49-jährigen russischen Milliardär.
Am 17. August 2021 veröffentlichte er das Foto, das ihn mit Julia Nawalnaja am Strand zeigt. "Mit der First Lady des schönen Russlands der Zukunft @yulia_navalnaya Foto von: #meineKampfgefährtin Freiheit @navalny !", schrieb er zu dem Bild, das laut Beschreibung im lettischen Küstenort Jurmala entstand.

Der Mitgründer und ehemalige Eigentümer des führenden russischen Handyhändlers Euroset zog 2008 nach dem Verkauf seiner Firma nach Großbritannien. Er wurde wegen Entführung und Erpressung angeklagt und war bis 2011 international zur Fahndung ausgeschrieben. Russland hatte seine Auslieferung gefordert, bis es die Strafverfolgung gegen ihn schließlich einstellte.
Seit 2010 schickte er einem Bericht des "Time" Magazins zufolge seinem Freund Alexej Nawalny mehr als 100.000 US-Dollar, um dessen Kampf gegen Präsident Wladimir Putin zu finanzieren. Er soll laut Reuters auch einen Teil der medizinischen Kosten nach der Vergiftung Nawalnys im Jahr 2020 getragen haben.
Die Veröffentlichung seines Fotos mit Julia Nawalnaja erregte mediales Interesse im Jahr 2021. In einem Interview mit dem unabhängigen russischen Radiosender "Echo Moskau", der im März 2022 der Regierung zuvorkam und sich auflöste, erklärte Tschitschwarkin mit ironischem Unterton: "Die Leute sind neidisch: Sie wollen auch mit Julia Nawalnaja am Strand spazieren gehen, einer schönen und starken Frau, einer potenziellen First Lady." Er fuhr fort: "Man kann dort mit einer verheirateten Frau spazieren gehen. Und Sie können sich denken, dass wir dort nicht allein waren..."
Gefälschte Rechnungen als angebliche Beweise
Nawalnaja ist regelmäßig das Ziel von Gerüchten, die sie oder Nawalny diskreditieren sollen. In sozialen Medien wird die Aussage einer angeblichen Assistentin angeführt, die sie als "politische Eskortdame" bezeichnet. Angeblich soll Nawalnaja demnach mit Sponsoren oder dem bulgarischen Journalisten Christo Grozew Beziehungen führen.
Diese Behauptung wurde hauptsächlich von den Websites pravda-fr.com, pravda-en.com und pravda-de.com verbreitet. Sie gehören zu einem Netzwerk von 193 Websites, die in Europa und den USA russische Propaganda verbreiten, wie "Viginum", die französische Organisation zur Bekämpfung ausländischer digitaler Einmischung, aufdeckte. Auch auf Telegram findet sich die Behauptung, beispielsweise auf dem Kanal von pro-russischen bulgarischen Paramilitärs.
Andere Nutzerinnen und Nutzer zogen für ihre Behauptung Screenshots der Website "booking.com" heran, die frühere Hotelübernachtungen belegen sollen. Laut Eliot Higgings, Gründer des Investigativmediums "Bellingcat", handelt es sich dabei jedoch um eine stornierte Reservierung für April 2024. "Es ist klar, dass sie Buchungen vorgenommen und anschließend die Daten geändert haben, um Beweise zu fälschen" und es so aussehen zu lassen, als ob sie aus dem Jahr 2023 stammten, erklärte Higgins.

Der bulgarische Investigativjournalist und Mitglied von "Bellingcat" Christo Grosew kommentierte die Behauptungen gegenüber AFP. Am 21. Februar 2024 meinte er: "Wie kann ich auf Behauptungen eingehen, die auf gefälschten Beweisen beruhen? Diese Desinformationskampagne wurde in der Tat einige Tage vor Nawalnys Tod gestartet, was darauf hindeutet, dass sie Teil einer vorbereitenden Diskreditierungsoperation in Verbindung mit Plänen für ein Attentat gewesen sein könnte."
In einem Video vom 19. Februar 2024 versprach Nawalnaja, den Kampf ihres Mannes gegen Putin weiterzuführen und appellierte an Nawalnys Anhänger, sich ihr anzuschließen. "Vor drei Tagen tötete Wladimir Putin meinen Mann, Alexej Nawalny. Putin tötete den Vater meiner Kinder. Mit ihm wollte (Putin) unserer Hoffnung, unsere Freiheit und unsere Zukunft töten", sagte sie. "Ich werde die Arbeit von Alexej Nawalny fortsetzen."
Sie hatte ihren Mann seit zwei Jahren nicht gesehen, als sie sich Ende Februar 2024 auf der Münchner Sicherheitskonferenz befand und von seinem Tod erfuhr. Bereits dort hatte sie sich zu Wort gemeldet und Putin für den Tod Nawalnys verantwortlich gemacht. Sie hatte angekündigt herauszufinden, "wer dieses Verbrechen begangen hat und wie es ausgeführt wurde".
Fazit: Das seit dem Tod von Alexej Nawalny in sozialen Medien verbreitete Bild seiner Witwe Julia Nawalnaja zeigt sie mit Jewgeni Tschitschwarkin. Es handelt sich nicht um ein aktuelles Foto und wurde bereits im August 2021 in Lettland aufgenommen.
Ausführungen zu angeblichen Hotelbuchungen ergänztStatement von Christo Grosew ergänzt; frühere Postings ergänzt22. Februar 2024 Ausführungen zu angeblichen Hotelbuchungen ergänzt
21. Februar 2024 Statement von Christo Grosew ergänzt; frühere Postings ergänzt