Der globale Wald bindet pro Jahr nicht mehr CO2, als insgesamt ausgestoßen wird

Wenn Bäume wachsen, binden sie Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft. In den Wäldern der Erde ist eine gigantische Menge an Kohlenstoff gespeichert. Im Netz wird behauptet, der globale Wald könne pro Jahr mehr CO2 binden, als insgesamt produziert wird. Das ist falsch. Der Mensch produziert ein Vielfaches mehr an Treibhausgasen pro Jahr, als alle Wälder zusammen speichern können. Das erklärten Wissenschaftler gegenüber AFP.

In einem Post auf Facebook wird behauptet, der globale Wald könne 14 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) "mehr binden als produziert wird". Grundlage ist eine Rechnung, laut der weltweit pro Jahr 37 Milliarden Tonnen CO2 produziert würden und die vier Milliarden Hektar Wald, die es auf der Welt gebe, insgesamt 52 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr binden könnten. Derselbe Beitrag wurde in mehreren Postings auf Facebook über 25.000 Mal geteilt.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 19. Februar 2024

Im Beitrag wird zunächst behauptet, dass weltweit etwa 37 Milliarden Tonnen CO2 produziert würden, "Tendenz fallend". Die Zahl stimmt in etwa mit den Angaben der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission für das Jahr 2021 überein (hier archiviert). Jedoch steigen die Emissionen seit Jahrhunderten immer weiter an. Lediglich in globalen Wirtschaftskrisen, wie der Ölkrise Ende der 1980er oder der Coronakrise, sanken die Zahlen kurzzeitig. 2022 wurde so viel CO2 ausgestoßen wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Auch die Angabe im Beitrag, es gebe vier Milliarden Hektar Wald auf der Erde, stimmt mit Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft oder des World Wildlife Founds (WWF) überein.

Wie viel CO2 speichert ein Wald

Die Rechnung im Post beruht auf einer dritten Annahme: "1 Hektar Wald binden ca. 13 Tonnen CO2 im Jahr." Diese Zahl wird dann mit der gesamten Waldfläche der Erde multipliziert. AFP hat mit verschiedenen Experten gesprochen, um herauszufinden, ob diese Rechnung stimmt. 

Wenn Bäume wachsen, nehmen sie CO2 aus der Luft auf. Dabei wird durch Photosynthese der Kohlenstoff aus dem CO2 zu Holz und den Sauerstoff gibt der Baum wieder ab. Bernhard Möhring, Professor für Forstliche Betriebswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität Göttingen, gab in einer E-Mail an AFP vom 2. Februar 2024 zu bedenken, dass Wälder das CO2 aber nicht ohne Weiteres dauerhaft einspeichern: "Wenn man die globale CO2-Bindung durch das Wachstum der Bäume erfasst, muss man gleichzeitig die globale Freisetzung durch den natürlichen Abbau von Totholz berücksichtigen. Die Größenordnungen sind gewaltig." Wenn die Bäume absterben und verrotten, wird der gebundene Kohlenstoff wieder zu CO2. Laut einer Studie entspreche die weltweit aus Totholz freigesetzte Menge mit 9,5 Milliarden Tonnen pro Jahr etwa 115 Prozent der Emissionen aus fossilen Brennstoffen, so der Wissenschaftler. 

"Das reine Wachsen der Bäume kann sich die Gesellschaft also nicht 'gutschreiben' – die Abbauprozesse müssen gleichzeitig berücksichtigt werden", so Möhring. Ein Weg, wie Wälder zu Netto-CO2-Senken werden, also Kohlenstoffdioxid aus der Luft binden und auch dauerhaft speichern, ist etwa, wenn man Nutzholz in Gebäuden verbaut und damit der Zersetzung entzieht, sagte Möhring. 

Drei statt 13 Tonnen CO2 pro Jahr und Hektar

Auch Christian Ammer, Professor für Waldbau und Waldökologie an der Georg-August-Universität Göttingen, sieht die Zahl von 13 Tonnen gespeichertem CO2 pro Jahr und Hektar Wald kritisch. "Die Aussage, dass ein Hektar Wald 13 Tonnen CO2 im Jahr bindet, ist ein mehr oder weniger plausibler Wert für die Brutto-Kohlenstoff-Aufnahme vitaler Wälder." Hierbei werde aber vernachlässigt, dass der Wald ein Großteil des CO2 nach einer Weile wieder abgibt, etwa durch Verrottung oder auch durch Waldbrände. 

Ammer hält beispielsweise für europäische Wälder einen Nettowert von 2,5 bis 3,0 Tonnen statt den im Post veranschlagten 13 Tonnen für langfristig gespeichertes CO2 pro Hektar Wald für realistisch. Damit ergibt sich eine völlig andere Rechnung: "Wenn man von den genannten 37,2 Milliarden Tonnen CO2 Emission ausgeht, dann werden also maximal zwischen 25 und 30 Prozent des Kohlenstoffdioxidausstoßes durch Wälder gebunden."

Zu beachten sei zudem, dass die Wälder hoch im Norden und mediterrane Wälder weniger produktiv seien als mitteleuropäische Wälder, das heißt langsamer wachsen und weniger CO2 speichern. Die Werte des europäischen Waldes seien daher nicht auf die gesamte Erde übertragbar. "Für tropische Wälder würde ich zudem vermuten, dass diese, zumindest wenn es sich um ungestörte Wälder handelt, näher an dem Punkt sind, bei dem sich Aufnahme und Abbau die Waage halten", so Ammer in einer E-Mail an AFP am 10. Februar 2024.

Friedrich Bohn forscht zu ökologischer Systemanalyse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und nannte in einer E-Mail an AFP vom 8. Februar 2024 ähnliche Zahlen seines Instituts: "Ein Hektar Wald bindet allerdings keine 13 Tonnen CO2, sondern bei uns in Deutschland 3,6 Tonnen CO2 pro Jahr." In weiten Teilen der weltweiten tropischen Wälder oder in Wäldern hoch im Norden der Erde werde aber kein Holz entnommen und entsprechend weniger CO2 gespeichert.

Unterschiedliche Zahlen zur CO2-Bilanz der globalen Wälder

Laut dem "Global Forest Resources Assessment 2020" (hier archiviert) der Vereinten Nationen ist der weltweit in Wäldern gespeicherte Kohlenstoff von 668 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf 662 Milliarden Tonnen im Jahr 2020 gesunken. Hubert Röder, Professor für Nachhaltige Betriebswirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, rechnete vor, dass somit die weltweiten Wälder in 30 Jahren rund sechs Milliarden Kohlenstoff freigesetzt haben: "6 Milliarden Tonnen entsprechen also etwa 22 Milliarden Tonnen CO2, die der Wald in den letzten 30 Jahren verloren hat." Wenn ein Kohlenstoffatom verbrannt wird oder sich zersetzt, verbindet es sich mit zwei Sauerstoffatomen und wird zu Kohlenstoffdioxid und wird deutlich schwerer. Ein Gramm Kohlenstoff ist mit 3,67 Gramm CO2 gleichzusetzen

Eine Studie der Fachzeitschrift "Nature" kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: "Bislang hat der Mensch fast die Hälfte der natürlichen Wälder der Erde abgeholzt." Zudem verliere man pro Jahr immer noch 0,9 bis 2,3 Milliarden Tonnen an Kohlenstoff (das entspricht 3,3 bis 8,4 Milliarden Tonnen CO2) durch Entwaldung. Dieser Schaden könne aber wieder rückgängig gemacht werden. In dem Artikel wird geschätzt, dass der globale Wald ein zusätzliches Potenzial zur CO2-Speicherung von 226 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (entspricht 829 Milliarden Tonnen CO2) hat. Dies könnte vor allem durch den Schutz bestehender Wälder und durch Aufforstung von Brachland realisiert werden. Somit hat der Wald zwar grundsätzlich erhebliches Potenzial CO2 zu speichern, das aber derzeit nicht genutzt wird.

Im Post wurde behauptet, dass die "Grünen" viele Bäume "vernichtet hätten" und der "Bestand weniger wird". Die Waldfläche in Deutschland ist in den letzten Jahren weitestgehend konstant. Sie betrug 2008 30,1 Prozent und 2022 29,9 Prozent. Für die größten Schäden im Wald sind laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft "Stürme, die extreme Dürre und der Borkenkäferbefall" verantwortlich.

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Entwaldung schreitet voran: Größe der Wälder in den wichtigsten Ländern und Entwaldung seit 2000 sowie im Jahr 2022.

Die Umweltorganisation Global Forest Watch kommt zu einem anderen Ergebnis. Laut deren Berechnungen speichert der globale Wald etwa 7,7 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Das entspricht etwa einem Siebtel der Menge, die in dem Facebook-Beitrag als potentielle Einsparung angegeben wird.

Keine der drei Studien kommt aber nur annähernd an die Zahl von 52 Milliarden Tonnen durch Wälder gespeichertem CO2 pro Jahr heran, die im Beitrag genannt werden. Würde die aufgestellte Gesamtrechnung stimmen, würde die Kohlendstoffioxid-Konzentration in der Atmosphäre sinken. Regelmäßige Messungen, wie etwa die auf der Insel Hawaii seit 1958 oder dem Berg Schauinsland seit 1972, zeigen, dass die CO2-Menge in der Luft ansteigt. Wurden auf Hawaii 1958 noch 316 Teile CO2 pro eine Million Teile (ppm) in der Atmosphäre gemessen, waren es dort 2022 417 ppm. Laut Umweltbundesamt stieg die Kohlenstoffdioxid-Konzentration in den letzten 15 Jahren um etwa 2,3 ppm pro Jahr. 

Die Kohlenstoffdioxid-Konzentration aus vorindustrieller Zeit lag laut Umweltbundesamt bei 280 ppm. Um die angestrebte Zwei-Grad-Obergrenze der Temperaturerhöhung einzuhalten, muss der Wert bis zur Jahrhundertwende bei rund 450 ppm stabilisiert werden. 

Eine ähnliche Behauptung hat AFP bereits im Februar 2023 widerlegt. Dort wurde behauptet, 25 Quadratmeter zusätzlicher Wald würden ausreichen, um Deutschlands CO2-Emissionen zu kompensieren.

Fazit: Auf Facebook wird fälschlich behauptet, der Wald auf der Erde könne mehr CO2 speichern, als insgesamt ausgestoßen wird. Das ist aber falsch. Die Menge an Treibhausgasen, die der Wald angeblich pro Hektar aufnehmen kann, ist stark übertrieben. Einige Forscher gehen sogar davon aus, dass durch Entwaldung zusätzliches CO2 in die Atmosphäre gelangt. Dies bestätigten Experten gegenüber AFP.

Die Einstufung wurde von "falsch" zu "irreführend" geändert. Im ursprünglichen Text wurde davon ausgegangen, dass die Behauptung sei, der Wald würde aktuell mehr CO2 binden, als produziert wird. Im Post heißt es jedoch, der "Wald könnte also 14,8 Milliarden Tonnen mehr binden als produziert wird". An verschiedenen Stellen wurde daher wurde die Formulierung der Behauptung geändert. Ein Absatz zum Waldbestand in Deutschland wurde hinzugefügt.
26. Februar 2024 Die Einstufung wurde von "falsch" zu "irreführend" geändert. Im ursprünglichen Text wurde davon ausgegangen, dass die Behauptung sei, der Wald würde aktuell mehr CO2 binden, als produziert wird. Im Post heißt es jedoch, der "Wald könnte also 14,8 Milliarden Tonnen mehr binden als produziert wird". An verschiedenen Stellen wurde daher wurde die Formulierung der Behauptung geändert. Ein Absatz zum Waldbestand in Deutschland wurde hinzugefügt.

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