Nein, der Wintereinbruch legte nicht massenhaft Photovoltaik- und Windkraftanlagen lahm

Zehntausende User auf Facebook und Telegram haben seit Mitte Februar eine Behauptung geteilt, wonach Millionen von Photovoltaik-Anlagen (PV) in Deutschland mit Schnee und Eis bedeckt seien, auch lasse eiskaltes Wetter die 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland überwiegend still stehen, heißt es. Ein angebliches Zeichen für das Scheitern der deutschen Energiewende. Der Verband der WindEnergie widerspricht allerdings den Zahlen, genauso wie der Verband für Solarwirtschaft und das Umweltbundesamt. Das gezeigte Foto stammt außerdem nicht aus Deutschland.

Auf Facebook verbreiten Hunderte die Wetter-Behauptung seit dem Wintereinbruch Mitte Februar (hier, hier, hier). Auf Telegram sahen sie Zehntausende (hier, hier) und Hunderte auf Twitter (hier). Im englischsprachigen Raum teilten sie knapp 200.000 Menschen allein hier auf Facebook. Die Postings zeigen eine Bildcollage von zugeschneiten Solarstromanlagen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und beschreiben es mit den Worten: "Millionen von Sonnenkollektoren sind mit Schnee und Eis bedeckt, und eiskaltes Wetter lässt die 30.000 Windkraftanlagen überwiegend stillstehen. Soviel zum 'Übergang' zu einer wind- und sonnengetriebenen Zukunft - auch bekannt als Merkels 'Energiewende'!"

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Facebook-Screenshot: 17.02.2021

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 hatte die Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen und damit die sogenannte "Energiewende" eingeleitet. Ende 2022 geht der letzte Atommeiler vom Netz. Gleichzeitig hatte sich Deutschland damals ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt, die seitdem vor allem mit Hilfe von erneuerbaren Energien aus Wind- und Solar-Kraftwerken erreicht werden sollen. Deren Ausbau regelt das eigens dafür geschaffene Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) (mehr dazu hier). Die Wende läuft allerdings nicht problemfrei ab. Kritikerinnen und Kritiker der Wende monieren immer wieder: Der nötige Netzausbau, um grüne Energie zu Verbraucherinnen und Verbrauchern zu transportieren, sei ins Stocken geraten. Milliardenhilfen zeigten keine Wirkung, und der Strom werde teurer (mehr dazu hier). Aber war der Wintereinbruch im Februar wirklich ein weiteres Problem?

AFP hat zunächst eine Google-Suche nach dem verbreiteten Bild vorgenommen. Es taucht in den Fotodatenbanken der internationalen Symbolbild-Agenturen Shutterstock und iStock auf. Dort eingestellt hat es der russische Fotograf Alexey Murzin im Jahr 2017. Er bestätigte am 18. Februar gegenüber AFP, das Bild nahe der russischen Großstadt Orsk vor Jahren aufgenommen zu haben. Es zeigt damit weder den aktuellen Wintereinbruch, noch stammt es aus Deutschland.

Gibt es 30.000 stillstehende Windräder?

AFP hat dann beim Bundesverband WindEnergie nach den stillstehenden Windrädern gefragt. Der Verband vertritt die deutschen Windstrom-Unternehmen. Geschäftsführer Wolfram Axthelm, der außerdem Vorsitzender des Bundesverbands Erneuerbare Energien ist, schrieb in einer E-Mail am 16. Februar: "Die Behauptung, dass durch Wetterbedingungen Tausende Windkraftanlagen im ganzen Land überwiegend still stehen würden, ist schlichtweg falsch." Am Wochenende des 6. und 7. Februar, als die Temperaturen in Teilen Deutschlands auf zweistellige Minusgrade sanken, hätten die Stromerzeugungsmengen aus Wind sogar über dem Monatsmittel gelegen, schrieb Axthelm.

Solarstrom im Winter

In Bezug auf vermeintlich zugeschneite Photovoltaik-Anlagen erklärte er außerdem: "Kurz nach Schneefall und ohne Wind finden sich solche Bilder immer mal wieder. Das sind punktuelle Ereignisse. Der Schnee wird normalerweise wegen der Neigung der Anlagen schnell verweht, oder der Schnee taut auf den dunklen Flächen und rutscht ab. Ein Problem für die Stromerzeugung in Deutschland ist das nicht."

Auch Sprecher Karsten Schäfer vom Bundesverband Solarwirtschaft, der Unternehmensinteressen der Solar- und Solarspeicherbranche vertritt, schrieb in einer E-Mail am 17. Februar: "Die Behauptung, dass Millionen PV-Module im Winter keinen Strom liefern, ist natürlich Unsinn."

Schnee auf diesen Modulen sei für die Solarwirtschaft kein Thema. Sobald die ersten Sonnenstrahlen auf schneebedeckte Module treffen, erwärmtendiese sich durch die dunklen Solarzellen hinter der glatten Glasoberfläche so schnell, dass die Schneeschicht antaue und durch die Neigung des Moduls schnell komplett herunterrutsche. Schäfer sagt weiter: "Selbstverständlich erzeugen PV-Anlagen im Winter weniger Strom als im Sommer. Das liegt vor allem an der erheblich kürzeren Sonnenscheindauer im Winter und dem tieferen Stand der Sonne." Der Schnee sei daran aber nicht schuld. Im Gegenteil, sagt Schäfer: Schnee wirke durch die Reflexion der Sonnenstrahlen wie ein Verstärker, und "die Module heizen sich nicht so stark auf wie im Sommer und haben dadurch einen höheren Wirkungsgrad."

Dass es keinen signifikanten Abfall bei der Stromerzeugung von erneuerbaren Energien durch den Wintereinbruch gegeben hat, zeigen dann auch die Energy Charts des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Dort sind Leistung und Ertrag für jede Form von Stromproduktion in Deutschland aufgeführt.

Schließlich hat AFP am 17. Februar auch mit Marie-Luise Plappert gesprochen, die beim Umweltbundesamt für das Thema Erneuerbare Energien zuständig ist. Zur Behauptung über die Solarstromanlagen sagte sie: "In Abhängigkeit vom Aufstellwinkel liegen einige Module erfahrungsgemäß relativ schnell wieder frei. Wirtschaftlich lohnt sich in der Regel. Schneeräumung nicht."

Grundsätzlich bestehe auch die Möglichkeit, die Module rückzubestromen (ähnlich der Heckscheibe eines Autos), um den Schnee zum Abrutschen zu bringen. Dies sei allerdings nur in wenigen Fällen sinnvoll, zum Beispiel um die Schneelast auf Gebäuden im alpinen Bereich zu reduzieren. In Solarparks werde diese Technik üblicherweise nicht angewendet, da es sich nur um wenige Tage handelt, bis der Schnee durch die Modulneigung von alleine abrutscht. "In den Wintermonaten wird zudem nur ein sehr kleiner Anteil der im Jahresverlauf gewonnenen Strommenge erzeugt, sodass die Verluste insgesamt gering bleiben", so Plappert. 

Zu Windanlagen sagte sie: "Windenergieanlagen werden bei Eisansatz abgestellt. Trockene Kälte, wie wir sie in den letzten Tagen hatten, führt nicht zu einer vermehrten Eisbildung. Es gibt auch Anlagen, welche mit Enteisungsvorrichtungen ausgestattet sind."

Fazit: Nein, der Wintereinbruch hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Stromerzeugung von Solarstromanlagen, auch wenn diese in einzelnen Fällen eingeschneit gewesen sein sollten. Auch stammt das gezeigte Bild nicht aus Deutschland. Windkrafträder standen nicht massenhaft still.

AFP hat bereits in der Vergangenheit Behauptungen widerlegt, der Wintereinbruch veranlasse Windkraftbetreiber dazu, ihre Anlagen mit Chemikalien aus Helikoptern enteisen zu müssen.

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