Nein, die US-Behörde FEMA betreibt keine Lager für Ungeimpfte und Infizierte
Tausende User haben seit Ende August ein Video auf Instagram gesehen, welches über sogenannte FEMA-Camps informiert, angebliche Isolationslager einer US-amerikanischen Katastrophenschutzbehörde. Diese seien für Infizierte oder Impfverweigerer vorgesehen. Eine rechtliche Grundlage sowie Belege für die Camps fehlen allerdings laut Expertinnen und Experten.
Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben das Video über die angeblichen FEMA-Camps auf Instagram gesehen (hier). Auch auf Telegram sahen Tausende den Beitrag (hier). Behauptungen rund um die vermeintlichen FEMA-Lager verbreiten sich dort in unterschiedlicher Form mehrfach (hier, hier).
Die Falschbehauptung: Die US-Katastrophenschutzbehörde FEMA besitze angeblich die volle Kontrolle über die US-Bürger. Freiheits- und Bürgerrechte seien außer Kraft gesetzt, denn die USA befänden sich in einem nationalen Notstand. Auch Kriegsrecht werde angewendet, heißt es in den Postings. Hunderte FEMA-Camps dienten daher zur Eindämmung der Pandemie und zur Isolation. Auch in Kanada werde von solchen Lagern gesprochen. Zur Umsetzung ihrer Internierungspläne habe die US-Behörde verschiedene exekutive Anordnungen erlassen, die die Freiheitsrechte der Bürger immens einschränke. Eine Zwangsumsiedlung werde so ermöglicht.

Die US-Katastrophenschutzbehörde FEMA ist immer wieder Ziel von Falschinformationen. Mehrere Artikel verwiesen in der Vergangenheit dabei auch auf Verschwörungserzählungen, die sich mit den angeblichen FEMA-Haftanstalten beschäftigten (hier, hier, hier). Auch AFP widerlegte bereits Behauptungen, US-Bürger in Tennessee würden per Anordnung in Covid-19-Lager umgesiedelt (hier).
Was ist die FEMA?
Seit 2003 ist die FEMA Teil des US-Heimatschutzministeriums. Wie es auf der Webseite der US-Behörde heißt, ist die Aufgabe der sogenannten Federal Emergency Management Agency, Menschen im Katastrophenfall Hilfe zu leisten. Ziel sei es sicherzustellen, dass die USA auf Katastrophen vorbereitet seien und reagieren können.
Die FEMA organisiert beispielsweise zeitweise Unterkünfte für Menschen, die durch Naturkatastrophen ihre Unterkunft verloren haben (hier). Immer wieder steht die Behörde aber auch in der Kritik. Die Hilfsgelder würden nicht in ausreichendem Umfang an besonders Bedürftige ausgezahlt (hier, hier), oder sie brauchten lange, um bei den Betroffenen anzukommen (hier).
Im Rahmen der Corona-Pandemie gibt die FEMA an, mit verschiedenen regionalen und staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten, um bei der Impfstoff-Verteilung zu helfen. Zudem betreibt die FEMA angesichts der Covid-19-Notfallerklärung vom 13. März 2020 ein Hilfsprogramm, um die Umsetzung von Maßnahmen wie beispielsweise die Beschaffung medizinischer Produkte, Weiterbildungen oder Reinigung öffentlicher Einrichtungen in der Pandemie zu erleichtern.
Gilt in den USA Kriegsrecht?
Tatsächlich ist in den USA am 13. März 2020 ein nationaler Notstand ausgerufen worden. In einer entsprechenden Bekanntmachung heißt es, die Verbreitung von Covid-19 stelle eine Gefahr für das nationale Gesundheitssystem dar. Am 24. Februar 2021 gab das Weiße Haus eine Verlängerung dieses nationalen Notstands bekannt. Diese soll nach einem Jahr enden.
Im Januar 2020 riefen die USA zudem eine gesundheitliche Notlage, einen sogenannten Public Health Emergency, aus. Dieser wurde zuletzt am 15. Oktober 2021 verlängert und soll dazu dienen, in solchen Ausnahmesituationen mit gezielten Maßnahmen, wie beispielsweise dem Abrufen spezieller Finanzmittel, zu reagieren.
Ein Kriegsrecht, auf Englisch Martial Law, gibt es in den USA aktuell aber nicht. AFP überprüfte bereits in der Vergangenheit Behauptungen, in den USA werde Martial Law angewendet oder der US-Präsident hab den sogenannten Insurrection Act in Kraft gesetzt, welcher eine militärische Antwort auf Unruhen vorsieht. Dies erwies sich als falsch.
Aktuell ist weder auf der Presseseite des Weißen Hauses, noch auf der Webseite des US-Verteidigungsministeriums eine entsprechende Ankündigung auffindbar. Der Insurrection Act wurde zuletzt 1992 angewendet, als es in Los Angeles zu Unruhen in Folge von Polizeigewalt kam. Der letzte Eintrag zur Anwendung von Martial Law findet sich in einer Auflistung des Brennan Center for Justice für das Jahr 1963. Damals war es zu Aufständen im Bundesstaat Maryland gekommen.
Prof. Dr. Kirk Junker, Forscher am Lehrstuhl für US-amerikanisches Recht der Universität Köln, erklärte auf AFP-Anfrage am 4. November ebenfalls, keine Kenntnis vom Missbrauch solcher Befugnisse durch die FEMA oder andere Bundesbehörden in den USA zu haben. Die Behauptungen aus dem Instagram-Beitrag seien verschwörungsmythologisch.
Der Kongress könne den vom Präsidenten ausgerufenen nationalen Notstand durch Verabschiedung eines Gesetzes aufheben. Zudem sei über den sogenannten National Emergencies Act geregelt, in welchem Umfang der Präsident Entscheidungen im Rahmen des Notstands, beispielsweise über Anordnungen (dazu gleich mehr) treffen kann.
Kontrolliert die FEMA die US-Bürger?
Die Exekutiven Anordnungen, die im Instagram-Beitrag besprochen werden, existieren tatsächlich. Allerdings können diese nicht wie beschrieben von der FEMA beschlossen werden. Solche sogenannten "Executive Orders" werden durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgestellt. Die Anordnungen können aber weitreichende Auswirkungen auf Behörden und Verwaltung haben. So wurde beispielsweise im Jahr 2001 unter George W. Bush das US-Heimatschutzministerium per Anordnung 13228 gegründet (mehr dazu hier, hier).
Rechtsforscher Junker erklärte dazu, die "Executive Orders" seien ein Instrument des Präsidenten der Vereinigten Staaten, das sich vor allem an die Regierungsverwaltung richtet, um das Gesetz auszuführen. Das bestätigte auf AFP-Anfrage vom 16. November auch Gregory P. Magarian, Rechtsprofessor an der Washington University in St. Louis. Weder die FEMA, noch irgendeine andere Behörde könnten selbst solche Anordnungen ausstellen. Auch die Behauptung einer "Aktivierung" der Anordnungen durch die Behörden selbst sei nicht zutreffend.
Einige der auf Instagram genannten Anordnungen passen zudem nicht zu den angeblichen Freiheitsbeschneidungen, die ihnen zugeschrieben werden. Hier einige der thematisierten Anordnungen und ihre Bedeutung:
- Die Anordnungen 10995 und 10997 sollen angeblich eine Beschlagnahmung sämtlicher Kommunikationsmittel sowie das Kappen der Stromversorgung ermöglichen. Tatsächlich regeln die Dokumente aber nur die Schaffung eines Postens zur Direktion von Telekommunikations-Angelegenheiten. Zudem werden dem US-Innenminister verschiedene Pflichten zur Entwicklung von Notfallplänen auferlegt.
- Die Anordnungen, 11001, 11003 und 11004, sollen angeblich die Beschlagnahmung von unter anderem Gesundheitsmitteln, Flughäfen, Flugzeugen und Wohnhäusern regeln. Tatsächlich regeln die Anordnungen aber auch hier lediglich Zuständigkeiten für die Entwicklung von Maßnahmenplänen im Fall von Notlagen. So soll beispielsweise der US-Gesundheitsminister Programme entwickeln, um sicherzustellen, dass in einer Notlage Lebensmittel- und Arzneimittelzugänge gesichert sind.
- Die Anordnung 11001 soll angeblich den Einzug der gesamten US-Bevölkerung in Arbeitsgruppen regeln. Tatsächlich sind aber auch hier nur Zuständigkeiten zur Erstellung von Maßnahmenplänen im Fall einer Notlage geregelt.
All diese Anordnungen, sowie auch die Anordnung 10999, unterzeichnete US-Präsident John F. Kennedy bereits am 16. Februar 1962. Dazu erläutert Prof. Junker:
"Als John Kennedy diese Anordnungen erließ, befand sich der Kalte Krieg wegen der Entsendung sowjetischer Raketen nach Kuba in einer äußerst angespannten Lage. Die Befehle sollten die US-Bundesbehörden darauf vorbereiten, im Falle eines Krieges schnell handeln zu können."
In der sogenannten Kubakrise stationierte die Sowjetunion Raketen auf Kuba, einige hundert Kilometer entfernt der US-Küste. Zuvor verhängte Kennedy im Februar 1962 ein Embargo gegen die Insel (mehr dazu hier, hier).
Kennedys Anordnungen sind daher nicht mehr aktuell. Diese wurden zunächst 1969 und 1970 durch die Anordnungen 11490 und 11556 und später immer wieder ersetzt. Heute regelt die Anordnung 13618 aus dem Jahr 2012 die "Zuweisung von Kommunikationsfunktionen für die nationale Sicherheit und die Notfallvorsorge". Von Beschlagnahmung steht darin nichts.
Am Ende der Anordnung heißt es: "Die Durchführung dieses Beschlusses erfolgt im Einklang mit dem geltenden Recht und vorbehaltlich der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln."
Die Exekutive Anordnung 12656 führte schließlich im Jahr 1988 alle weiteren Beschlüsse zusammen und regelt seitdem die "Zuweisung von Verantwortlichkeiten für die Notfallvorsorge". In der Präambel des Textes heißt es, alle Maßnahmen zur Vorbereitung auf einen nationalen Sicherheitsnotstand "müssen mit der Verfassung und den Gesetzen der Vereinigten Staaten und mit der Erhaltung der verfassungsmäßigen Regierung der Vereinigten Staaten" übereinstimmen.
Prof. Junker erläutert zu den "Executive Orders", die Bedeutung solcher Anordnungen werde oft missverstanden. "Da der Präsident nicht die rechtlichen Befugnisse eines Königs oder Diktators hat, gibt es in allen drei Staatsgewalten Kontrollen der Macht des Präsidenten."
Die Verordnungen des Präsidenten könnten beispielsweise durch seine Nachfolger rückgängig gemacht werden, so wie der frühere US-Präsident Donald Trump es mit seinem Vorgänger Barack Obama oder der derzeitige Präsident Joe Biden mit Trump getan habe. Der Kongress könne Notstände beispielsweise per Gesetz aufheben, und Bundesrichter könnten gegen den Präsidenten klagen und Verordnungen für verfassungswidrig erklären. Gregory P. Magarian erklärte dazu:
Desweiteren erläuterte er: "Mir ist kein absolutes gesetzliches Verbot bekannt, um ungeimpfte oder infizierte Personen im Falle einer Pandemie zu internieren. Unter diesem Vorbehalt: Nein, es gibt keine Grundlage im US-Recht für solche Maßnahmen. Soweit ich weiß, gibt es kein Gesetz, keine Verordnung und keine Verfügung, die die Internierung von ungeimpften oder infizierten Personen erlaubt."
Betreibt die FEMA Internierungslager?
Die Verfasser des Instagram-Beitrags behaupten, dass es sich bei den FEMA-Camps in den USA um Isolationslager handele. Ähnliches sei in China zu beobachten. Auch in Kanada werde über solche Camps gesprochen.
Tatsächlich existieren vermehrt Berichte über Internierungslager im chinesischen Xinjiang. Dort ist die Minderheit der Uiguren groben Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt (hier, hier). Auch AFP berichtete bereits über die Situation der Uiguren in China.
Gerüchte über angebliche Internierungslager in Kanada widerlegte AFP bereits in diesem Faktencheck. Bei den vermeintlichen Lagern handelte es sich um Unterkünfte für Reisende, die ihre Quarantäne bei Einreise in das Land an keinem anderen Ort verbringen konnten. Immer wieder verbreiten sich Falschinformationen zu solchen Unterkünften in Kanada (hier, hier).
In den USA gibt es ebenfalls keine Internierungslager. Auf AFP-Anfrage erklärte ein FEMA-Sprecher am 1. November: "Die FEMA betreibt keine Internierungs- oder Isolationslager." Die Behörde sei zudem nicht an der Einschränkung von Freiheiten von Menschen beteiligt, die in den USA leben.
Eine Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte auf AFP-Anfrage am 9. November in einer Mail, die Organisation habe keine Informationen zu den verbreiteten Darstellungen.
Das Southern Poverty Law Center (SPLC), eine US-amerikanische NGO, die sich für Zivilrechte einsetzt, erklärt auf ihrer Webseite, bei den angeblichen FEMA-Camps handele es sich um eine Verschwörungsmythologie. Bereits in den 1980er-Jahren seien ähnliche Erzählungen zu den vermeintlichen Internierungslagern der US-Behörde verbreitet worden.
Auch Professor Magarian erklärte, nichts Vergleichbares sei in Bezug auf Infizierte oder Geimpfte in der US-Geschichte geschehen, auch nicht in der aktuellen Pandemie. Die FEMA habe seiner Kenntnis nach keine Anordnungen missbraucht oder Grundrechte verletzt.
"Die Frage, ob die FEMA durch die missbräuchliche Anwendung dieser Anordnungen bereits gegen Bürgerrechte verstoßen hat, ist schwer zu beantworten, weil die Grundlage für die Frage absurd ist."
Woher stammen die Aufnahmen aus dem Instagram-Beitrag?
Zur Veranschaulichung werden im Instagram-Post mehrere Bilder und Grafiken genutzt. Diese haben aber nicht immer etwas mit aktuellen Behauptungen zu FEMA-Isolationscamps im Rahmen der Pandemie zu tun.
Eines der Bilder einer Campanlage stammt bereits aus dem Jahr 2006. Es zeigt laut Beschreibung der Fotoagentur GettyImages eine FEMA-Wohnwagensiedlung nahe der Universität New Orleans. Viele US-Bürger waren nach dem Hurricane "Katrina" im Jahr 2005 obdachlos und mussten in solchen Anlagen leben (siehe hier, hier). Auch ein Artikel der Webseite "Wired" aus dem Jahr 2017 nutzt das Bild. Es kann damit nicht im Rahmen der aktuellen Pandemie entstanden sein.
Eine angebliche Karte der zahlreichen FEMA Camps zeigt zudem nicht tatsächlich die Verteilung der vermeintlichen Isolationslager, sondern eine Karte mit den regionalen Zuständigkeiten der Behörde. Wer sich beispielsweise in Region 10, also in Alaska, Idaho, Oregon oder Washington, an die FEMA wenden möchte, muss dies über das ausgewiesene Regionalbüro in Bothell, Washington tun.
Fazit: Es existieren keine Belege für die angeblichen Internierungslager der US-Behörde FEMA in den USA. US-Rechtsexperten erklärten zudem, die Anordnungen, welche zu angeblichen Grundrechtsverletzungen führen sollen, seien nicht für die vorgeblichen Zwecke vorgesehen. Zudem gebe es Mechanismen, um einen Missbrauch solcher Anordnungen zu vermeiden.