
Dieser Arzt verbreitet irreführende Aussagen über den Schutz von Mundspülungen gegen das Coronavirus
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- Veröffentlicht am 2. August 2021 um 17:23
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Hunderte Facebook-User haben ein Foto der großformatigen Zeitungsanzeige geteilt (hier, hier, hier). Diese ist mit "Prof. Dr. K.D. Zastrow" unterschrieben. Wie Zastrow in einer E-Mail an AFP am 1. Juli schrieb, schaltete er diese am 26. Juni 2021 in der "Berliner Zeitung".
Im Detail schreibt der Arzt in der Anzeige, dass PVP-Jod-Mundspülungen bei einer einmaligen Spülung des Rachens alle drei Tage nicht nur die Ansteckung mit Sars-Cov-2 verhinderten, sondern auch schwere Krankheitsverläufe. In Kombination mit Masken mache das einen erneuten Lockdown überflüssig.
In den Facebook-Kommentaren dazu heißt es etwa: "JEDER, der sich dem #gurgeln verschließt und stattdessen ausschließlich auf experimentelle Impfstoffe mit nur bedingter Zulassung ohne Langzeitstudien setzt, hat eine Mitverantwortung für Leid und Tod von betroffenen Patienten."

Wer ist Klaus-Dieter Zastrow?
Klaus-Dieter Zastrow ist aktuell Chefarzt für Krankenhaushygiene am Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam. Er war zuvor auch an an anderen Krankenhäusern im Bereich Hygiene tätig.
Bereits vor der Corona-Pandemie hat sich Zastrow öffentlich für antiseptische Mundspülungen ausgesprochen (etwa hier, hier). Auch in der Pandemie tritt der Arzt mit seinen Empfehlungen medial auf (hier, hier, hier). Dabei bezeichnete er immer wieder Mundspülungen als sehr sichere Präventionsmaßnahme gegen Covid-19, wobei Sätze fielen wie: "Ich kann dem nächsten ins Gesicht Spucken und er wird trotzdem nicht erkranken."
Das Gurgeln mit PVP-Jod-Mundspülungen schützt nicht 100-prozentig gegen Sars-Cov-2-Viren, vor allem nicht bei einer einmaligen Anwendung alle drei Tage
Weil Zastrow in seiner Zeitungsanzeige keine Quellen nennt, hat AFP zunächst in der wissenschaftlichen Datenbank Pubmed und auf Google Scholar mit den Begriffen "Mouthwash" und "Covid-19" bzw. "Mundspülungen" und "Covid-19" nach klinischen Studien zu PVP-Jod-Mundspülungen im Kontext von Sars-Cov-2 gesucht und einige Studien gefunden.
So gab es etwa im Dezember 2020 eine Untersuchung in Singapur, in der 36 Covid-Infizierte in vier Gruppen mit PVP-Jod, Wasser und anderen Mundspülungen gurgeln mussten. Die Studie verantwortete Professor Chaminda Jayampath Seneviratne vom nationalen Zahnzentrum Singapur. Sie kam zum Ergebnis, dass PVP-Jod-Mundspülungen helfen könnten, die Viren im Speichel bis zu sechs Stunden zu reduzieren. Jedoch brauche es umfangreichere Forschung, um gesicherte Ergebnisse bereitstellen zu können.
Eine weitere Studie aus Frankreich vom 4. Februar 2021 testete PVP-Jod-Mundspülungen bei zwölf Covid-19-Infizierten und einer ebenso großen Kontrollgruppe. Die Forschenden des Universitätskrankenhauses in Poitiers kamen ebenfalls zum Ergebnis, dass die Spülungen bei milden bis mittelschweren Krankheitsverläufen bei viermal täglicher Anwendung genug Covid-Viren abtöten würden, um die Übertragung von Sars-Cov-2-Erregern unwahrscheinlicher zu machen. Allerdings hieß es auch dort: "Diese Daten erfordern eine größere klinische Studie, um den Nutzen von PI (Anm. d. Red.: Povidon Jod) bei der Begrenzung der Ausscheidung und der daraus resultierenden Übertragung von Sars-Cov-2 von Mensch zu Mensch zu bestätigen."
Weitere von AFP gesichtete internationale Studien kommen zu ähnlich positiven Ergebnissen (1,2,3). Auch diese Studien basieren auf sehr wenigen Probanden oder wurden als Pre-Print-Studien noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überprüft. Der wissenschaftliche Diskurs zum Thema steht noch am Anfang. Einen Konsens gibt es noch nicht, wie auch Expertinnen und Experten gegenüber AFP erläuterten.
Es gibt weiterhin Studien, die Mundspülungen mit Sars-Cov-2-Erregern unter Laborbedingungen testen. Dabei werden Mundspülungen direkt in Behälter mit Erregern gegeben. Die Bedingungen und Ergebnisse daraus sind allerdings nicht auf reale Bedingungen übertragbar.
So ordnen Experten Mundspülungen als Corona-Schutz ein
Dr. Peter Walger, Infektiologe und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und Verantwortlicher für Hygiene und Infektionsprävention im Verbund Katholischer Kliniken in Düsseldorf, erklärte in einem Telefonat mit AFP am 12. Juli 2021, dass die Mundspülungen zumindest unter solchen Laborbedingungen effektiv seien. Belastbare Studien unter realen Bedingungen gebe es zu Covid-19 noch nicht. "Bei anderen Viren wie zum Beispiel Influenzaviren wurden die Mundspülungen als effektiv und sinnvoll erachtet", sagte Walger. Weil die Spülungen zudem bei Gesunden keine Nebenwirkungen mit sich brächten, würden sie empfohlen.
Walger führte weiter aus, dass Mundspülungen nur für eine kurze Zeit helfen würden. Sie seien bisher vor allem vor Zahnarztbehandlungen getestet und empfohlen worden. Walger erklärte:
"Mundspülen ist nicht 100-prozentig sicher. Es ist nie ein Ersatz für Maske, Abstand und Hust-Etikette. Es ist nur ein Baustein in Kombination mit weiteren Maßnahmen und kann in bestimmten Situationen wie zum Beispiel beim Arztbesuch das Ansteckungsrisiko reduzieren."
Diese Reduzierung gelte dabei nur für Viren, die sich frei im Rachen bewegen, nicht jedoch für Viren, die bereits in die Körperzellen eingedrungen sind. "Das heißt, der Spüleffekt wird in relativ kurzer Zeit wieder neutralisiert, indem Viren weiter produziert werden", erklärte Walger. Die reproduzierten Viren würden dann wieder über Aerosole ausgeschieden. "Es ist wahrscheinlich, dass die Effekte 30 Minuten bis eine Stunde anhalten, danach ist die Viruskonzentration wieder hergestellt", sagte Walger.
Für Empfehlungen, alle drei Tage zu spülen, um den Fortschritt der Infektion und das Auftreten einer Lungenentzündung zu verhindern, fehlten jegliche Daten. "Und aus nicht vorhandenen Daten derartige Empfehlungen abzuleiten, kommt eher einem Wunschdenken gleich. Um zu diesem Thema plausible Empfehlungen geben zu können, braucht es Studien, die es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gibt", sagte Walger.
Auch Dr. Marco Binder, Forschungsgruppenleiter für Dynamik der Virusreplikation und der angeborenen antiviralen Immunantwort am Deutschen Krebsforschungszentrum, widerspricht Zastrows Empfehlung. Er erklärte in einer E-Mail am 7. Juli gegenüber AFP:
"Drei Tage ungehinderte Vermehrung zwischen den Spülungen können problemlos ausreichen, um eine hohe Viruslast zu schaffen und damit die Ansteckungsfähigkeit wieder herzustellen. Tatsächlich ist es denkbar, dass bereits nach der abendlichen Mundspülung am folgenden Morgen bereits wieder eine nennenswerte Viruslast im Mundraum herrscht."
Binder erklärte außerdem, dass Mundspülungen nicht alle aktiven Viren im Körper erreichen. Dazu gehörten etwa Viren im Nasenraum, die beim Gurgeln im Mund unberührt blieben. Dieser Umstand wurde laut dem Experten auch schon in der Forschung berücksichtigt. "Darum wurde in einer Studie auch ein zusätzliches Nasenspray verwendet und empfohlen", schrieb Binder. Auch Walger befürwortet ein zusätzliches Nasenspray.
Wie hoch der Schutz genau ist, sei laut Walger unklar. Auch eine E-Mail des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 8. Juli an AFP bestätigte diese Einschätzung. Genauso unklar ist demnach bisher, ob dadurch die Krankheitsschwere beeinflusst wird.
Was sind Zastrows Belege?
Weil Zastrow in seiner Zeitungsanzeige keine Quellen nennt, hat AFP auch bei ihm selbst nachgefragt. Am 7. Juli 2021 schickte der Arzt daraufhin einen Leserbrief in einem Fachjournal, die Empfehlung eines Medizinverbandes, Zeitungsartikel mit eigenen Aussagen (1, 2, 3, 4, 5), E-Mails mit Anwendungsberichten von Leserinnen und Lesern und auch mehrere Studien. AFP hat das Material gesichtet.
Die Studien stammen zum Teil aus einer Zeit vor der Corona-Pandemie (6, 7). Sie können daher keine eindeutigen Beweise dafür liefern, dass Mundspülungen Sars-Cov-2-Infektionen im Sinne von Zastrows Behauptungen verhindern. Sie zeigen, dass Mundspülungen zum Beispiel bei Influenzaviren und den getesteten Bakterien helfen.
Bei drei weiteren Studien handelt es sich nicht um klinische Corona-Studien, wie bereits oben beschrieben (8, 9, 10). Auch sie zeigen lediglich, dass Mundspülungen unter perfekten Laborbedingungen helfen, die Viruslast zu vermindern. Es gibt allerdings bei keiner der Studien Anwendungsempfehlungen, die einen Schutz garantieren, wie ihn Zastrow verspricht. Eine von Zastrows als Beleg genannte Studie konnte AFP nicht finden. Bei dieser geht es laut Titel um Zahnverfärbungen durch unterschiedliche Mundspülungen.
Die Studien zeigen also zwar, dass Mundspülungen helfen, verschiedene Viren und Bakterien zu reduzieren. Auch die Sars-Cov-2-Virusmenge wird zumindest unter Laborbedingungen erfolgreich reduziert. Das kann allerdings den oben zitierten Experten zufolge nicht einfach auf reale Alltagsbedingungen übertragen werden. Dazu gibt es aktuell nur wenige Studien, die keinen eindeutigen Nachweis für Zastrows Behauptung liefern.
AFP hat auch die anderen Quellen gesichtet, die der Arzt geschickt hat. Viele der Zeitungsartikel stehen hinter Paywalls. Es handelt sich um Interviews mit Zastrow, in denen er die Behauptungen wiederholt. Auch die Empfehlung des Medizinverbandes gibt keine neuen Informationen.
Auch der Leserbrief gibt als Kommentar zwar Hinweise darauf, wie PVP-Jod-Mundspülungen unter Laborbedingungen helfen, verschiedene Viren abzutöten. Auch Sars-Cov-2-Viren wurden dabei effektiv beseitigt. Allerdings verweist dieser auf eine Quelle, die besagt, dass eine wissenschaftliche Evidenz nicht bestätigt ist. Im zitierten Papier des Australischen Zahnärzteverbandes heißt es: "Obwohl nicht garantiert werden kann, dass dieser Ansatz eine signifikante Auswirkung auf die Viruslast bei Patienten mit Covid-19 hat, empfehlen wir, dass alle Patienten vor Beginn der Behandlung gebeten werden sollten, vor dem Eingriff eine 20-30 Sekunden dauernde Mundspülung mit einem der beiden Mittel durchzuführen." Gemeint sind hier auch PVP-Jod-Mundspülungen.
Beweisen Zastrows eigene Beobachtungen seine Behauptungen?
Zastrow selbst gab in seiner Zeitungsanzeige an, zwischen April und Juni 2020 in fünf Krankenhäusern und zwölf Pflegeeinrichtungen mit desinfizierenden Mundspülungen die Ausbreitung von Covid-19 nahezu gestoppt zu haben. Als Beleg hierfür schickte der Arzt auf AFP-Anfrage einen Artikel des "Obermain Tagblatts" über die Regiomed-Kliniken (siehe oben Quelle 1). Zusätzliche Erkenntnisse liefert dieser Artikel nicht: Im Gegenteil, Zastrow sagt darin selbst, dass seine Erfolge keiner Studie gleichkämen.
Ob die Ansteckungen wegen der Mundspülungen oder anderen Gründen verlangsamt wurden, konnte AFP nicht nachvollziehen. Birgit Schwabe, Sprecherin der Regiomed-Kliniken, schrieb in einer E-Mail vom 29. Juli, dass "eine nachträgliche Prüfung eines Zusammenhangs zwischen den Mundspülungen und der damals beschriebenen niedrigen Zahl an Erkrankten" nicht mehr möglich sei.
Der aktuelle hygienebeauftragte Arzt der Kliniken, PD Dr. med. Andreas Schwarzkopf, empfahl gegenüber AFP jedoch weiterhin Mundspülungen in etwas abgewandelter Form. Anders als es Zastrow in der Zeitungsanzeige empfiehlt, sollen in den Regiomed-Kliniken bei höheren Inzidenzen Patienten in Zukunft dreimal täglich spülen. Allerdings mit Listerine statt mit PVP-Jod, weil dessen häufige Anwendung eine zu hohe Allergiegefahr bedeute.
Ein weiterer Faktor für die damals sinkenden Zahlen in den Regiomed-Kliniken könnten die zur selben Zeit insgesamt sinkenden Fallzahlen in ganz Deutschland sein. Das zeigt das Dashboard des Robert-Koch-Instituts.

Fazit
Die von Klaus-Dieter Zastrows behauptete absolute Schutzwirkung von PVP-Jod-Mundspülungen gegen die Verbreitung von Sars-Cov-2-Erregern ist nicht belegt. Der aktuelle Stand der Wissenschaft zeigt zwar durchaus, dass solche Mundspülungen kurzzeitig einen gewissen Schutz bieten könnten. Die darauf basierenden Behauptungen Zastrows sind allerdings übertrieben.Mundspülungen bieten keinen 100-prozentigen Schutz. Auch die von Zastrow empfohlene Spülung einmal in drei Tagen ist laut Experten nicht plausibel, um den von ihm versprochenen Schutz zu bieten. Viren können schon wenige Stunden nach dem Gurgeln wieder in gefährlichen Menge vorhanden sein.
Ob die Virusmenge mit der Schwere einer Erkrankung zusammenhängt und diese durch Mundspülungen beeinflusst wird, ist laut Experten ebenfalls noch ungeklärt. Für Zastrows behaupteten milderen Krankheitsverlauf gibt es bisher lediglich Anhaltspunkte, aber keine Belege. So auch für seine angeblichen Erfolge in den Regiomed-Kliniken.