Nein, diese Infrarot-Aufnahmen widerlegen nicht den Treibhauseffekt

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  • Veröffentlicht am 17. August 2021 um 18:06
  • Aktualisiert am 17. August 2021 um 18:08
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  • Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben seit April ein Video des Meteorologen Wolfgang Thüne auf Facebook geteilt. Darin behauptet dieser, den Treibhauseffekt gebe es nicht. Als Beweis sollen Infrarotbilder dienen. Sie zeigen, wie die Erde Wärme in den Weltraum abstrahlt. Thüne behauptet weiterhin, dass der Mensch keinen Einfluss auf das Klima habe. Forschende, Studien und Institutionen weltweit widersprechen ihm.

Zehntausende User haben das gut vier Minuten lange Video von Wolfgang Thüne seit April auf Facebook geteilt (hier, hier). Eine ebenfalls zehntausendfach gesehene Version auf Youtube steht bereits seit dem 4. Dezember 2008 online (hier). Thüne stellt sich darin als studierter Meteorologe vor. Von 1971 bis 1986 moderierte er den Wetterbericht im ZDF.

Die Falschbehauptung: Laut Thüne sollen Infrarot-Aufnahmen von Satelliten aus dem All beweisen, dass die Wärmestrahlung der Erde entweichen kann und nicht in der Atmosphäre abgefangen wird. Kein Körper könne sich mit der in sich wohnenden oder abgestrahlten Energie selbst erwärmen, behauptet er weiter. Zudem habe der Mensch nicht die Fähigkeit, das Wetter zu beeinflussen, sondern müsse sich diesem anpassen. "Eine Klimakatastrophe als solche ist theoretisch absolut unmöglich," behauptet Thüne.

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Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 12.08.2021

Thüne stellte bereits häufiger fragwürdige Behauptungen zum Treibhauseffekt auf. "Die Erderwärmung ist absoluter Unsinn," erklärte er laut "Saarbrücker Zeitung" auf einer Podiumsdiskussion im April 2010. "Das Wetter macht, was es will," soll er laut "Westfälischem Anzeiger" während eines Vortrags zwei Jahre später erläutert haben. Auf seiner Webseite schreibt der Meteorologe: "Für den ‘natürlichen Treibhauseffekt’ gibt es keinerlei Beweis. Schlimmer: Er ist physikalisch unmöglich."

Allerdings: Der Treibhauseffekt existiert nachweisbar und der Mensch verstärkt diesen

Tatsächlich gibt es allerdings sowohl einen natürlichen als auch einen menschengemachten Treibhauseffekt. Ohne den "natürlichen Treibhauseffekt" wäre laut Umweltbundesamt kein Leben auf der Erde möglich (auch hier). Statt der aktuellen Mitteltemperatur von knapp 15 Grad Celsius, würde die Temperatur -18 Grad Celsius betragen. Die Erde wäre vereist.

Der "menschengemachte Treibhauseffekt" verstärkt diesen natürlichen Treibhauseffekt allerdings. Das passiert unter anderem laut den Informationen der Helmholtz-Klimainitiative durch die Verbrennung fossiler Energieträger, Abholzungen von Wäldern und intensiver Landwirtschaft, wie beispielsweise Nutztierhaltung.

Karsten Friedrich, Klimatologe des Deutschen Wetterdiensts, erklärte gegenüber AFP am 16. August in einer E-Mail: "Die Treibhausgase Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan, Stickstoffdioxid, Ozon und andere führen dazu, dass ein Teil der Energie, die durch die Sonne die Erdoberfläche erreicht, in der Atmosphäre zurückgehalten wird." Durch menschliche Aktivitäten erhöht sich der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre immer weiter und führt zu einer Erhitzung des Planeten (mehr dazu auch hier, hier, hier). "Dies verursacht einen Temperaturanstieg, der über den natürlichen Treibhauseffekt hinausgeht und die globale Mitteltemperatur steigen lässt", erklärt Friedrich.

Aber was ist mit der Behauptung, die Erde könne sich nicht selbst erwärmen? Friedrich widerspricht. "Die von der Erde abgestrahlte Energie wird durch den Treibhauseffekt zurückgehalten, ähnlich einer Bettdecke, unter der auch mehr Körperwärme zurückgehalten wird." Die Sonnenenergie könne in Form kurzwelliger Strahlung ungehindert durch die Atmosphäre gelangen. Auf der Erde werde diese aber in Wärmeenergie, also langwellige Strahlung, umgewandelt. Diese könne nur teilweise die Treibhausgase in der Atmosphäre passieren und wieder entweichen. Das hat nachhaltige Folgen für das Klima auf der Erde.

Der Mensch und das CO2 – der aktuelle Stand der Forschung

Anfang August 2021 hat der Weltklimarat IPCC zu dieser Tatsache seinen neuesten, umfangreichen Bericht zum Zustand des Klimas veröffentlicht. IPCC-Berichte gelten als Zusammenfassung des aktuellen Stands der Wissenschaft zum Thema. Das Fazit des neuesten Berichts: "Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat."

Die Wissenschaft ist sich einig: Das Problem ist die Menge an CO2, die wir Menschen produzieren. Nicht nur der Weltklimarat sieht das so, auch zahlreiche andere renommierte Institutionen auf der ganzen Welt beschreiben die Erderwärmung als menschengemacht. Das bestätigen etwa "Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt" (DLR), die "American Association for the Advancement of Science" (AAAS), die Nasa und der WWF. Allein eine Aufstellung des "Office of Planning and Research", eines Forschungsinstituts des US-Bundesstaats Kalifornien, listet rund 200 Wissenschaftsorganisationen auf der ganzen Welt, die ebenfalls die Auffassung teilen, dass der Klimawandel menschengemacht ist.

Auch von AFP kontaktierte Experten bestätigen das. So erklärte etwa Stefan Brönnimann vom Geographischen Institut der Universität Bern am 11. August: "Der Mensch trägt zum überwiegenden Teil zum aktuell ablaufenden Klimawandel bei."

Eine Auswertung des Deutschen Wetterdienstes aus dem Jahr 2020 in Zusammenarbeit mit der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und dem Schweizer Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz hat zudem gezeigt, dass die Sommer auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz deutlich heißer geworden sind. Der DWD schrieb:

Die drei heißesten Sommer der Messgeschichte seien ab dem Jahr 2000 vorgekommen. Die Zahl heißer Tage nehme zu, Hitzewellen dauerten länger. Dies sei auf den Klimawandel zurückzuführen. "Bei weltweit unverändertem Ausstoß von Treibhausgasen werden Sommer, die heute für uns extrem heiß sind, Ende des Jahrhunderts der Normalfall sein," heißt es in der Auswertung.

Über kaum eine Tatsache ist sich die Wissenschaftswelt seit Jahren so einig wie über die menschengemachte Erderwärmung. Dazu gibt es neben dem aktuellen IPCC-Bericht auch weitere zahlreiche Metastudien, also Studien, die systematisch die Ergebnisse verschiedener Studien zu einem Thema zusammenfassen. Eine Studie aus dem Jahr 2013 überprüfte etwa 11.944 Arbeiten zwischen 1991 und 2011 zum Thema Erderwärmung. 97 Prozent der Forschenden waren sich einig, dass Menschen die Erderwärmung verursachen.

Eine weitere Metastudie fasst sogar die verschiedenen Metastudien über den Konsens in der Wissenschaft zusammen und hält als Ergebnis einen "Konsens über den Konsens" fest. Die Wissenschaftscommunity ist sich also einig wie selten: Die Erderwärmung gibt es, und Menschen verursachen sie.

Infrarot-Aufnahmen widerlegen den Treibhauseffekt nicht

Infrarot-Aufnahmen von Satelliten aus dem All zeigten laut Thüne, dass die Wärmestrahlung der Erde entweicht. Diese werde keineswegs in der Atmosphäre abgefangen.

Solche Wärmebildaufnahmen sind laut Karsten Friedrich vom Deutschen Wetterdienst aber kein Beweis dafür, dass der Treibhauseffekt nicht existiere. "Natürlich wird immer noch ein Großteil der auf der Erde ankommenden Sonnenenergie von der Erde wieder ausgestrahlt. Wäre dies nicht so, würde sich die Erde extrem aufheizen."

Hauke Schmidt, Klimaforscher am Max-Planck-Institut für Meteorologie, bestätigte dies auf Anfrage der AFP am 16. August: "Zum Glück kann Wärmestrahlung der Erde die Atmosphäre tatsächlich verlassen. Sonst würde die Sonnenstrahlung die Erde sehr schnell so weit aufheizen, dass sie unbewohnbar würde." Der Treibhauseffekt bewirke eben, dass ein zunehmender Teil der Strahlung in der Atmosphäre aufgehalten wird, nicht die komplette Strahlung.

Eine Klimakatastrophe ist möglich

Thüne kommt in seinem Video zu dem Schluss, dass eine Klimakatastrophe theoretisch unmöglich sei. Im Dezember 2015 einigten sich allerdings bereits zahlreiche Staaten im Pariser Klimaabkommen darauf, dass die steigende Erderwärmung bei deutlich unter 2 Grad Celsius gehalten werden müsse. Um Risiken und Folgen des Klimawandels möglichst abzuwenden, verfolgen die Staaten das Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Laut IPCC-Bericht kann eine solche globale Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius schon innerhalb eines Jahrzehnts erreicht werden. "Ohne eine sofortige, rasche und umfassende Verringerung der Treibhausgas-Emissionen wird eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C oder sogar 2°C unerreichbar sein," heißt es in einer Pressemitteilung des Weltklimarats.

Bei einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad Celsius kommt es laut IPCC zu mehr Hitzewellen, längeren Wärmeperioden und kürzeren Kälteperioden. Bei einer Erwärmung um 2 Grad Celsius würden Hitzeextreme noch häufiger zu kritischen Auswirkungen auf Landwirtschaft und Gesundheit führen. Besonders Naturkatastrophen würden durch die Erderwärmung häufiger auftreten, prognostiziert das IPCC. Der menschliche Einfluss habe das Klima in einem Maße erwärmt, wie es in den vergangenen 2000 Jahren noch nie der Fall war.

Ein im Juni 2021 erschienenes Papier, welches unter anderem vom Deutschen Wetterdienst, der Helmholtz-Klimainitiative und dem Deutschen Klima Konsortium herausgegeben wurde, erklärte zur voranschreitenden Erderwärmung: "Sie wird langfristige Änderungen im Klimasystem bewirken, wie zum Beispiel weiteren Meeresspiegelanstieg oder Verluste an Artenvielfalt — und damit verbundene, schwerwiegende Folgen für den Menschen." Trotz des Abkommens von Paris führten die bisherigen Zusagen der Regierungen keine ausreichende Emissionsminderung herbei.

Fazit: Der Treibhauseffekt existiert, und der Mensch ist maßgeblich dafür verantwortlich. Darüber ist sich die Wissenschaftswelt einig. Infrarot-Aufnahmen können dies nicht widerlegen, denn nur Teile der ankommenden Sonnenenergie strahlen von der Erde zurück. In Zukunft drohen laut aktuellem IPCC-Bericht noch mehr Klimaextreme und Naturkatastrophen, sollte das 1,5 Grad Ziel nicht erreicht werden.

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