Dieses Lissabonner Gerichtsurteil zeigt nur einen Bruchteil aller erfassten Corona-Todesfälle

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben seit Ende Juni eine Behauptung auf Facebook geteilt, wonach ein Lissabonner Gerichtsurteil lediglich 152 Corona-Todesfälle in Portugal offiziell bestätigt habe. Das Urteil bezieht sich allerdings nur auf bestimmte von einer einzelnen Behörde gelisteten Todesfälle, die dem portugiesischen Justizministerium untersteht. Die meisten Todesfälle in Portugal werden von Ärztinnen und Ärzten festgestellt, die in keiner Verbindung zum Justizministerium stehen.

Hunderte Facebook-Nutzerinnen und Nutzer haben seit Ende Juni die angebliche Gerichtsentscheidung aus Portugal geteilt (hier, hier, hier). Ein Gericht in Lissabon habe entschieden, dass nur 152 anstelle von 17.000 Corona-Todesfällen in Portugal offiziell als solche gelten würden. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier rechnete davon ausgehend vor, dass also nur 0,9 Prozent der Corona-Toten in der offiziellen Statistik tatsächlich positiv getestet gewesen seien.

Behauptungen auf Grundlage des Urteils haben User in zahlreichen Sprachen verbreitet, darunter Portugiesisch, Slowakisch, Schwedisch, Französisch, Bengalisch, Hebräisch, Finnisch und Italienisch.

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Facebook-Screenshot: 01.07.2021

Die Behauptung basiert auf einem Prozess mit der Nummer "525/21.4BELSB" des Lissabonner Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2021. Im Verfahren ging es um Informationen in Bezug auf Covid-19. Das von manchen Postings geteilte Dokument scheint festzustellen, dass es in Portugal vom 1. Januar 2020 bis zum 18. April 2021 152 Corona-Todesbescheinigungen gegeben habe.

Die 152 bestätigten Todesfälle beziehen sich allerdings nur auf einen kleinen ganz bestimmten Teil aller offiziellen Todesfälle in Portugal. Das Gerichtsdokument spricht nämlich von Todesfällen, die das Nationale Institut für Rechtsmedizin und forensische Wissenschaften (INMLCF) festgestellt hatte. Das INMLCF untersteht dem portugiesischen Justizministerium. Zu den Aufgaben des Instituts zählen laut dessen Website Obduktionen und rechtsmedizinische Untersuchungen für verschiedene Behörden.

Im gerade kursierenden Gerichtsdokument steht auf Seite 13 genauer: "Nach der Analyse der SICO-Datenbank (das Toteninformationssystem des Landes, Anm. d. Red.) vom 01.01.2020 bis zum 18.04.2021, konnten wir bisher folgende Verteilungen verifizieren: Zwischen 2020 und 2021 wurden 152 Todesbescheinigungen von Ärzten ausgestellt, die unter der Aufsicht des Justizministeriums arbeiten, in deren Fällen die grundlegende Todesursache Covid-19 war."

Im Dokument heißt es weiter: "Von den 152 Totenscheinen war bei 132 Todesfällen die Grundursache U071 (Covid-19-Virus identifiziert) und bei 20 Todesfällen war die Grundursache U072 (Covid-19 im Labor nicht identifiziert)." Die Bezeichnung U072 oder auch U07.2 meint Corona-Fälle, die beispielsweise über eine klinische Diagnose bekannt wurden.

AFP hat beim portugiesischen Justizministerium zur Zahl und der Entscheidung angefragt. Eine Sprecherin antwortete AFP am 6. Juli, dass eine "große Mehrheit der Totenscheine (...) von Ärzten ausgestellt werden, die mit dem Gesundheitsministerium verbunden sind" und nicht von Ärztinnen und Ärzten, die für das Justizministerium arbeiten. Laut der Sprecherin gebe es keinen Widerspruch zwischen dem Urteilstext und den offiziellen Statistiken des Landes.

Sie erklärte weiter: "Am 18.04.2021 wurden vom Registrierungsteam der Generaldirektion für Gesundheit (DGS) tatsächlich 152 Sterbeurkunden im Zusammenhang mit Covid-19 von Ärzten unter Aufsicht des Justizministeriums identifiziert. Es wurde keine Diskrepanz festgestellt. Bis zum selben Tag, dem 18.04.2021, waren insgesamt 16.945 Todesfälle durch Covid-19 registriert worden."

Das sei kein Widerspruch, denn nur ein kleiner Teil der Corona-Fälle werde unter Leitung des Justizministeriums festgestellt. Dessen Sprecherin führte fort: "Es ist anzumerken, dass Ärzte des Justizministeriums medizinisch-rechtliche Autopsien, durchführen – etwa in Fällen eines gewaltsamen Todes oder einer unbekannten. (..) Mit anderen Worten: Rechtsmedizinische Autopsien dienen nur der Unterstützung der strafrechtlichen Untersuchung und werden nicht generell immer durchgeführt." Die im Gerichtsurteil angesprochene Behörde ist also nicht diejenige, die die meisten Corona-Fälle registriert, sondern zeichnet diese nur in bestimmten strafrechtlich relevanten Fällen auf.

Offizielle Corona-Daten in Portugal werden von der mit dem Gesundheitsministerium verbundenen DGS zusammengefasst und offengelegt. Eine der von der DGS genutzten Datenbanken ist das "Sinave" genannte nationale epidemiologische Überwachungssystem, das Daten über bestätigte Fälle von Covid-19 liefert.

Die Todesfälle in Portugal werden über das 2014 geschaffene Totenschein-Informationssystem "SICO", das auch im Gerichtsdokument vorkommt, registriert und von der DGS verwaltet. Alle Informationen über Todesfälle in Portugal sind dort gesammelt: "Das SICO ist das Sterblichkeitsinformationssystem in Portugal, das auf der elektronischen Registrierung von Sterbeurkunden basiert, die von Ärzten in Ausübung ihres Berufs in Übereinstimmung mit dem geltenden Rechtsrahmen erstellt werden", erklärt die Institution auf seiner Website selbst.

Das SICO-Informationssystem müssen alle Ärztinnen und Ärzten in Portugal nutzen. Daher listet die Datenbank Totenscheine aus dem ganzen Land und nicht nur von einzelnen Institutionen wie etwa dem INMLCF.

Der Gerichtstext sagt auch nicht, dass es sich bei den 152 um alle durch das Coronavirus in Portugal registrierten Todesfälle handelt. Das DGS und das Gesundheitsministerium beziehen sich ausschließlich auf die vom INMLCF ausgestellten Totenscheine.

Das Coronavirus in Portugal

Laut DGS-Bericht gab es in Portugal seit Beginn der Pandemie bis zum 7. Juli 2021 17.118 Todesfälle durch das neue Coronavirus. Anfang 2021 verzeichnete Portugal mit 362,9 Todesfällen pro eine Million Einwohner die höchste Todesrate durch Covid-19 in Europa, so die Daten des Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) aus der letzten Januarwoche des Jahres. Die Zahl der täglichen Fälle begann erst Mitte Februar zu sinken.

Am 1. Juli 2021 verhängte die portugiesische Regierung erneut eine Ausgangssperre für 45 Gemeinden im Land, nachdem die Zahl der Fälle in der Woche zuvor gestiegen war. Laut Staatsministerin Mariana Vieira da Silva, "ist die Entwicklung der Inzidenz in den Gruppen von 14 bis 29 Jahren, 30 bis 34 Jahren und 0 bis 14 Jahren signifikant höher und steigend, und sie ist immer noch erhöht von 45 bis 49 Jahren, jedoch ist sie in den bereits geimpften Altersgruppen signifikant niedriger".

Fazit: Das Urteil des Lissabonner Gerichts bezieht sich auf von einer bestimmten Behörde festgestellte Todesfälle. Auf die Gesamtzahl der offiziellen Corona-Toten in Portugal sagt es nichts aus.

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