
Nein, auf diesem muslimischen Trauerzug in Australien wurde nicht "wir warten auf Befehle" skandiert
- Veröffentlicht am 9. September 2025 um 17:06
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Dene-Hern CHEN, AFP Australien
- Übersetzung und Adaptierung: Liesa PAUWELS , Elena CRISAN , AFP Österreich
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"Jetzt steht die totale Übernahme an", lauteten Kommentare zu einem tausendfach gelikten Video Mitte August 2025 auf Facebook. Zum Video kursierte die falsche Behauptung, 50.000 "muslimische Migranten" würden in Melbourne in Australien marschieren und "Wir warten auf Befehle" skandieren. "Wird Zeit das wir uns auch vorbereiten", schrieb darunter ein anderer User. Auf Telegram reagierten hunderte Userinnen und User wütend auf einen ähnlichen Post mit demselben Video vom 13. August 2025.
Das Video zeigt eine Menge von überwiegend schwarz gekleideten Menschen, die am Parlamentsgebäude des Bundesstaats Victoria in Melbourne vorbeimarschieren und dabei auf Arabisch "Labaik ya Hussain" skandieren.
Das Video wurde zunächst vielfach in Australien verbreitet und von AFP auf Englisch überprüft. Auch in Ägypten, England, Kanada sowie den Niederlanden wurde der Clip samt der Falschbehauptung geteilt.

In dem Clip riefen die Menschen jedoch nicht die Phrase "Wir warten auf Befehle". Stattdessen zeigt das Video Menschen während eines religiösen Gesangs, der traditionell mit Aschura in Verbindung gebracht wird, einem jährlichen Fest, das von schiitischen Musliminnen und Muslimen begangen wird.
Am muslimischen Feiertag Aschura gedenken schiitische Musliminnen und Muslime der Ermordung von Imam Hussain, dem Enkel des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert.
In Australien sieht sich Premierminister Anthony Albanese heftiger Kritik von rechten Parteien und Gruppen ausgesetzt. Am 31. August 2025 protestierten Tausende in mehreren australischen Großstädten – darunter Melbourne – gegen die Einwanderungspolitik der Mitte-Links-Regierung. Auch deutschsprachige Medien berichteten am selben Tag über die Demonstrationen. Diese wurden durch eine Welle von Fehlinformationen angeheizt, die auf einen Anstieg der Migrationszahlen folgte, nachdem diese ab dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 stark zurückgegangen waren.
Aschura-Prozession fand in den vergangenen Jahren am selben Ort statt
Unter Verwendung von Bildausschnitten aus dem Video mit der Falschbehauptung führte AFP eine umgekehrte Bildsuche durch. Die Suche ergab dasselbe Filmmaterial, das bereits am 7. Juli 2025 auf Tiktok gepostet wurde. Der Beitrag war mit der Beschreibung "Melbourne city Ashura precession today about 40,000 - 50,000 people" versehen. Auf Deutsch heißt das so viel wie "Aschura-Prozession in Melbourne heute mit etwa 40.000 bis 50.000 Menschen".
AFP kontaktierte den Tiktok-Nutzer am 28. August 2025, um eine Stellungnahme zu erhalten, erhielt jedoch keine Antwort.
Aufnahmen früherer Aschura-Prozessionen, die vom selben Nutzer und auch dem australischen Sender SBS gepostet wurden, zeigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die an demselben Pub "Imperial Hotel" vorbeimarschieren, der auch im Video mit der Falschbehauptung zu sehen ist.

Das "Imperial Hotel" befindet sich gegenüber dem Parlamentsgebäude des Bundesstaates Victoria, wo die jährlich stattfindenden Umzüge für Reden stoppen.

Ein Sprecher des Aschura-Komitees aus Melbourne, das die Prozession am 7. Juli 2025 mitorganisiert hatte, erklärte gegenüber AFP am 1. September 2025 ebenfalls, dass das im Umlauf befindliche Video die jährliche Veranstaltung in Melbourne zeige.
Er sagte, dass etwa 15.000 bis 20.000 Menschen an den Aschura-Feierlichkeiten teilgenommen hätten. Die "überwiegende Mehrheit" seien australische Staatsbürgerinnen und -bürger gewesen.
"Diese Prozession ist eine Form des Gedenkens – wir treten öffentlich auf, um zu sagen, dass keine Form von Ungerechtigkeit in der Welt existieren darf", sagte der Sprecher.
Was die in dem Clip hörbaren Rufe angeht, so sagte der Sprecher, es handle sich um den Gesang "Labaik ya Hussain". Auf Deutsch bedeuten die an Imam Hussain gerichteten Worte laut online verfügbaren Informationen so viel wie "hier bin ich" oder "zu Diensten".
Hinter dem Spruch verbirgt sich laut dem Sprecher folgende Bedeutung: "Als die Armee der Regierung alle Gefährten von Imam Hussain getötet hatte und er allein zurückblieb, stieß er einen Schrei aus und fragte, 'ist da jemand, der mir zu Hilfe kommen würde'." Der Ausdruck "Labaik ya Hussain" sei "also die Antwort auf diesen Schrei – dass wir dir zu Hilfe kommen würden, wenn wir da wären", erklärte er.
Weitere Behauptungen kursierten online
Ein weiteres Video von der Aschura-Prozession in der Nähe der St. Patrick's Cathedral in Melbourne aus dem Jahr 2025 wurde zuvor in Online-Beiträgen – darunter auch von dem britischen Anti-Islam-Aktivisten Tommy Robinson –geteilt, wobei irreführenderweise behauptet wurde, es zeige "eine Machtdemonstration" und "Einschüchterung von Christen".
Der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, kritisierte am 23. Juli 2025 jene, welche die Prozession falsch darstellten, und sagte, es handele sich um "eine friedliche Veranstaltung, die seit über einem Jahrzehnt jedes Jahr stattfindet".
"Wie alle Einwohnerinnen und Einwohner Victorias hat auch die islamische Gemeinschaft das Recht auf Religionsfreiheit. Als Katholikinnen und Katholiken erwarten wir nichts weniger", sagte er.
Die Polizei von Victoria teilte AFP ebenfalls mit, dass "sich die Menschenmenge gut benommen" habe. "Während der Veranstaltung wurden der Polizei keine Zwischenfälle gemeldet", teilte sie AFP in einer E-Mail am 1. September 2025 mit und fügte hinzu, dass "die Polizei von Victoria das Recht jedes Einzelnen respektiert, seinen Glauben friedlich auszuüben".
Aschura wird auf der ganzen Welt von Gläubigen begangen – auch in Deutschland. Eine Suche auf Instagram zeigt ähnliche Märsche, die 2024 etwa in Hamburg stattfanden. Die Polizei Münster unterstrich wiederum die Bedeutung des "von Trauer und Gedenken" geprägten Festes in einer Aussendung vom 16. Juli 2024.
AFP überprüft regelmäßig Falschbehauptungen zum Thema Migration.
Fazit: Ein online tausendfach verbreitetes Video zeigt nicht, wie Musliminnen und Muslime skandierten, sie würden "auf Befehle" für eine mögliche Invasion warten. Vielmehr zeigt es Schiiten bei einem Trauerzug in Melbourne in Australien. Das bestätigte ein Organisator und die örtliche Polizei auf AFP-Anfrage.