
Keine Hochstufung im August 2025: Kanadischer Reisehinweis für Deutschland besteht seit Jahren
- Veröffentlicht am 10. September 2025 um 11:53
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
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"Dramatische Reisewarnung aus Kanada: Deutschland so unsicher wie Simbabwe", titelte der Webblog Nius in einem Artikel vom 2. September 2025, der inzwischen nicht mehr online ist, ebenso wie die Social-Media-Beiträge, die den Text bewarben. Weiter behauptete der Blog: "Wie aus einer offiziellen Reisewarnung auf der Website der kanadischen Regierung hervorgeht, stuft Kanada die Bewertung des Sicherheitsrisikos für Reisen nach Deutschland hoch. Jetzt gilt Deutschland für die Kanadier als genauso unsicher wie Simbabwe."
Der Blog zeichnete – wie auch Apollo News – in jüngerer Vergangenheit für eine Hetzkampagne gegen die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf mitverantwortlich und verbreitete bereits zuvor Falschinformationen. Auch der Webblog Apollo News fiel AFP schon durch Falschinformationen auf und verbreitete einen Artikel mit einer ähnlichen Behauptung über die kanadische Reisewarnung.
Ihnen schlossen sich mit Kettner Edelmetalle, Journalistenwatch und dem AfD-nahen Deutschland-Kurier weitere Webblogs an, von denen AFP in der Vergangenheit Falschinformationen widerlegte (hier, hier und hier). Der Artikel des Deutschland-Kuriers legt nahe, dass der Reisehinweis für Deutschland angeblich "wohl auch im Zusammenhang mit dem Messerangriff auf den US-Amerikaner John Rudat in einer Dresdner Straßenbahn stehen" dürfte. Der mutmaßliche Täter, ein 20-jähriger Syrer, stellte sich nach der Tat Ende August 2025 der Polizei. Direkt nach dem Angriff wurden in Kommentarspalten auf der Plattform X Rufe nach Reisewarnungen für Deutschland laut. Sie bezogen sich zwar auf die USA, gingen jedoch zeitlich den Artikeln der Webblogs voraus. Einen direkten Zusammenhang konnte AFP nicht nachweisen.
Die Behauptung verbreitete sich anschließend auf Plattformen wie Facebook, Instagram, Tiktok und Youtube. Zahlreiche Beiträge stammten von Mitgliedern der AfD und Accounts des Bundesverbands der Partei selbst. Darunter waren Beiträge bekannter AfD-Mitglieder wie Beatrix von Storch oder auch des Bundestagsabgeordneten Kay-Uwe Ziegler, die große Reichweite erlangten.

Die Behauptung ist jedoch irreführend, da der kanadische Reisehinweis für Deutschland bereits seit mehreren Jahren besteht.
Auf ihrer Website veröffentlicht die kanadische Regierung Reisehinweise zu allen Staaten. Dabei stuft sie die Staaten auf einem von vier Risikoniveaus ein: Dem niedrigsten zufolge sollen "die üblichen Sicherheitsvorkehrungen" getroffen werden, das zweitniedrigste empfiehlt, "ein hohes Maß an Vorsicht walten" zu lassen. Gemäß dem zweithöchsten Niveau sollten Kanadierinnen und Kanadier "nicht notwendige Reisen" in das entsprechende Land vermeiden und dem höchsten Risikoniveau zufolge "jegliche Reisen" unterlassen. Zusätzlich liefert die Regierung Details zu den Gründen der Einstufung der jeweiligen Staaten und was Reisende beachten sollten.
Die kanadische Regierung stuft Deutschland auf dem zweitniedrigsten Risikoniveau ein. Dass Reisende "ein hohes Maß an Vorsicht walten" lassen sollen, begründet sie mit der Gefahr von Terroranschlägen im Land. Sie hätten in verschiedenen europäischen Städten stattgefunden und könnten jederzeit verübt werden, heißt es auf der Website weiter. Wer für die vergangenen Anschläge verantwortlich war und von wem Gefahr ausgeht, wird nur indirekt im Zusammenhang mit denkbaren Tatorten genannt: Unter möglichen Zielen von Terroranschlägen seien neben Regierungsgebäuden, Schulen, Gotteshäusern, Flughäfen und anderen Orten öffentlicher Transportmittel "öffentliche Bereiche wie Touristenattraktionen, Restaurants, Bars, Cafés, Einkaufszentren, Weihnachtsmärkte, Hotels und andere Orte, die von Ausländerinnen und Ausländern frequentiert werden".
Einstufung gilt seit 2022
Die Einstufung der kanadischen Regierung ist jedoch nicht neu, sondern gilt bereits seit Ende 2022. Das zeigen zahlreiche Archivierungen der Website, die mit dem Archivierungsdienst Wayback Machine erstellt wurden und öffentlich einsehbar sind. Alle Archivierungen ab jener vom 9. Dezember 2022 zeigen die Einstufung Deutschlands auf dem zweitniedrigsten Risikoniveau. In der vorigen Archivierung vom 29. September 2022 galt noch die niedrigste Stufe. Auch die Begründung hat sich seither nicht geändert. Die Reisehinweise werden zwar immer wieder aktualisiert – so auch am 28. August 2025, einen Tag vor der Veröffentlichung des Blogartikels von Apollo News. Dabei handelte es sich allerdings um eine Aktualisierung der Kategorie, unter der Reisende Kontaktdaten zur kanadischen Botschaft und Konsulaten sowie deutschen Einsatzkräften finden können.
Zwar ist es korrekt, dass auch für Simbabwe das zweitniedrigste Risikoniveau der kanadischen Regierung gilt. Jedoch sollten Reisende in Simbabwe "wegen Kriminalität und dem Risiko von zivilen Unruhen" hohe Vorsicht walten lassen, womit die Begründung für den afrikanischen Staat eine andere ist als für Deutschland.
Was die online geteilten Artikel außerdem verschweigen: Aktuell sind neben Deutschland weitere europäische Staaten wie beispielsweise Italien, Spanien, das Vereinigte Königreich oder Frankreich auf diesem Risikoniveau eingestuft. Für alle diese Länder begründet die kanadische Regierung die Einstufung mit Terrorgefahr – im Falle Frankreichs sogar mit der "erhöhten Gefahr" von Terroranschlägen.
Hinweise zu Ereignissen werden kurzzeitig ergänzt
Das kanadische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten bestätigte diese Informationen auf AFP-Anfrage am 9. September 2025. "Wir empfehlen seit dem 11. November 2022 Kanadierinnen und Kanadiern aufgrund von Terrorgefahr, in Deutschland ein hohes Maß an Vorsicht walten zu lassen", erklärte eine Sprecherin. "Das Risikoniveau für Deutschland hat sich seit November 2022 nicht verändert." Diese Einstufung gelte auch für andere westeuropäische Staaten.
"Die Websites zu Reisehinweisen und -empfehlungen werden regelmäßig aktualisiert, um Änderungen der Sicherheitslage Rechnung zu tragen", erklärte die Sprecherin weiter. So sei beispielsweise am 3. März 2025 die Information ergänzt worden, dass ein Mann in Mannheim in eine Menschenmenge gefahren war. Am darauffolgenden Tag sei diese Information gelöscht worden. "Die Dauer, für die bestimmte ereignisbezogene Informationen auf der Website verbleiben, variiert", führte die Sprecherin aus. "In der Regel werden sie entfernt, wenn sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr von Bedeutung sind."
Fazit: Die Behauptung, Kanada habe Ende August 2025 eine Reisewarnung für Deutschland herausgegeben, ist irreführend. Der Reisehinweis, in Deutschland wegen der Gefahr von Terroranschlägen ein hohes Maß an Vorsicht walten zu lassen, besteht seit November 2022. Die kanadische Regierung gibt diesen Hinweis zudem nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere westeuropäische Staaten, erklärte eine Sprecherin des kanadischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten.