
Video zeigt Schulkinder in einem Kampfsportstudio in Polen
- Veröffentlicht am 6. März 2025 um 17:34
- Aktualisiert am 7. März 2025 um 11:10
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Gundula HAAGE, AFP Deutschland
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Am 22. Januar 2025 attackierte ein mutmaßlich psychisch kranker Mann eine Kindergartengruppe im bayerischen Aschaffenburg mit einem Messer und tötete zwei Menschen, darunter ein zweijähriges Kind. Am 13. Februar 2025 fuhr ein Autofahrer in eine Demonstration in München, verletzte mehr als 30 Menschen und tötete eine Mutter mit ihrem Kind. Und am 3. März 2025 steuerte ein Autofahrer seinen Wagen in eine Menschenmenge in der Mannheimer Innenstadt und tötete zwei Personen.
In Folge dieser Ereignisse prägten Debatten über öffentliche Sicherheit in Deutschland die Nachrichten – mitunter kursierten irreführende und falsche Behauptungen zu den Anschlägen, die AFP bereits überprüft hat.
"Wenn du denkst es geht nicht schlimmer....", schrieb ein Facebook-Nutzer am 24. Januar 2025 und teilte dazu einen kurzen Videoclip, der bis Anfang März 2025 über 8500 Mal geteilt wurde. "POV: Kindergarten in Ludwigshafen", heißt es in der achtsekündigen Sequenz, die mehrere Kinder zeigt, die sich in zwei Reihen gegenüberstehen. Fünf Kinder haben dabei Messer in der Hand und bewegen sich auf ein Signalwort in einer Reihe auf die anderen Kinder zu.
Auch auf X, Instagram, Tiktok, Threads, Youtube und Linkedin wurde der Clip vielfach mit ähnlicher Behauptung verbreitet. Die Kommentare unter den Beiträgen zeigen, dass Nutzerinnen und Nutzer das Video als Beleg einer verschlechterten Sicherheitslage in Deutschland sehen und teilweise die Politik der deutschen Regierung dafür verantwortlich machen: "Unfassbar wo unser Land gelandet ist durch diese links - grüne Politik!", kommentierte etwa ein Nutzer auf Threads. Ein X-User schrieb: "Das haben die Gutmenschen aus Deutschland gemacht !!!"

Doch wie AFP nachweisen konnte, zeigt das Video weder eine Kindergartengruppe, noch wurde es in Ludwigshafen aufgenommen.
Videoclip stammt aus polnischem Sportstudio
Mehrere Indizien in dem Video deuten bereits darauf hin, dass der Clip nicht in einem deutschen Kindergarten aufgenommen wurde: Die abgebildeten Kinder sehen deutlich älter aus als die typische Altersspanne von drei bis sechs Jahren, die Kinder im Kindergarten haben. Das Video zeigt einen mit schwarzen Sportmatten ausgelegten Raum. Im Hintergrund hängen mehrere Boxsäcke und auf dem Boden liegen Kugelhanteln (in der Abbildung pink und grün hervorgehoben). Diese Ausstattung erinnert an ein Kampfsportstudio, nicht an die Einrichtung eines Kindergartens.

Zudem gibt die Tonspur des Clips Hinweise darauf, dass das Video nicht in Deutschland entstanden ist: In Minute 0:03 ist eine Männerstimme zu hören, die ein Signalwort ruft, woraufhin sich die mit Messern ausgestatteten Kinder in Bewegung setzen. Maja Czarnecka, Journalistin des polnischsprachigen Faktencheckteams von AFP, bestätigte am 6. März 2025, dass es sich dabei um das Wort "raz" handelt. Das polnische Wort bedeutet übersetzt "eins" oder "einmal" und kann bei Sportübungen als Startsignal genutzt werden.
Eine umgekehrte Bildsuche mit Standbildern aus dem Clip ergab zudem, dass das Video bereits am 28. November 2024 auf einem polnischsprachigen Tiktok-Kanal namens "superhumans.pl" veröffentlicht wurde. Der folgende Screenshotvergleich zeigt, dass der mit falscher Behauptung kursierende Clip einen etwas verkleinerten Ausschnitt des polnischen Videos zeigt:

Laut Tiktok-Profilbeschreibung handelt es sich bei "superhumans.pl" um ein Kampfsportzentrum in dem polnischen Dorf Wieszowa in der Gemeinde Zbrosławice im Süden von Polen. Die polnischsprachige Videobeschreibung unter dem Originalclip lautet übersetzt: "Leider kommt es immer häufiger vor, dass Kinder Messer mit in die Schule bringen, um anzugeben. Dies ist zwar keine unmittelbare Lebensgefahr, aber wir lehren die Kinder, vorbeugend zu handeln. #sport #superhumans #selfdefense."
Auf dem Tiktok-Kanal wurden zudem weitere Videoaufnahmen des Trainings veröffentlicht, in welchen dieselben Kinder in identischer Kleidung aus anderen Blickwinkeln zu sehen sind.
Selbstverteidigungsunterricht von Schulkindern, statt Kindergarten-Messertraining
Am 9. Dezember 2024 wurde das Video zudem auf dem Instagram-Profil "szlachta_pracuje" des Kampfsport- und Selbstverteidigungstrainers Jarosław Szlachta veröffentlicht.
Auf AFP-Anfrage bestätigte Szlachta am 4. März 2025, dass er das kursierende Video in einer Unterrichtsstunde in Polen aufgenommen und auf den Social-Media-Kanälen von Superhumans veröffentlicht habe. Szlachta ist der Gründer dieses Kampfsportzentrums. "Wir bringen den Kindern bei, wie sie auf eine sichere, aber entschiedene Weise reagieren sollten, falls jemand ein scharfes Objekt in die Schule mitbringt." In der Trainingsstunde seien Plastikmesser genutzt worden, sodass keinerlei Verletzungsgefahr bestand.
"Das Video zeigt, wie wir den Kindern beibringen, sich in einer solchen gefährlichen Situation zurückzuziehen und andere durch lautes Rufen zu warnen", führte Szlachta aus. Das Krisenreaktionstraining habe sich an Schulkinder im Alter von sieben bis neun Jahren gerichtet. Szlachta hat laut eigener Aussage 18 Jahre Erfahrung im Unterrichten von Selbstverteidigung und Kampfsport. "Viele Kinder im Grundschulalter wissen nicht, wie sie angemessen reagieren sollen, weil sie sich der Gefahr nicht bewusst sind", erklärte er.
Kein allgemeiner Kampfsportunterricht an deutschen Kitas
Unter dem mit falschen Behauptungen kursierenden Videoclip spekulierten einige Nutzerinnen und Nutzer, dass es in Deutschland im Jahr 2025 notwendig sei, den Umgang mit Messerangriffen an Kindergärten zu unterrichten: "Die Kleinsten müssen jetzt das Ausweichen bei Messerattacken trainieren", kommentierte etwa ein Linkedin-Nutzer.
Ein Sprecher eines der zuständigen Ministerien für Familie, Arbeit und Soziales bestätigte jedoch auf AFP-Nachfrage am 12. Februar 2025 per E-Mail, dass es zu Selbstverteidigungsunterricht an Kindergärten in Deutschland keine gesetzlichen Vorgaben gebe: "Es besteht diesbezüglich keine Vorgabe oder Empfehlung. Sofern Träger sportliche Betätigungen als Teil des jeweiligen pädagogischen Konzepts anbieten möchten, liegt dies in der freien Entscheidung der Träger."
Fazit: Entgegen online kursierender Behauptungen stammt ein kurzer Videoclip weder aus Ludwigshafen, noch zeigt er Kindergartenkinder beim "Messertraining" nach Anschlägen im Frühjahr 2025. Das Video wurde während eines Krisenreaktionstrainings von Schulkindern in einem polnischen Kampfsportzentrum im November 2024 aufgenommen.
Tippfehler im Teaser korrigiert7. März 2025 Tippfehler im Teaser korrigiert