BSW gibt Umfrage zur Einstellung von Ukrainern zu Friedensverhandlungen falsch wieder

  • Veröffentlicht am 12. Juli 2024 um 17:47
  • Aktualisiert am 31. Juli 2024 um 17:07
  • 3 Minuten Lesezeit
  • Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
Das Bündnis Sahra Wagenknecht und ihre namensgebende Parteichefin fallen immer wieder mit Kritik an Wolodymyr Selenskyj und dem Fortführen des Ukrainekrieges auf. In sozialen Medien zitiert die Partei nun das Ergebnis einer Umfrage, wonach angeblich 72 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer Friedensverhandlungen bevorzugen würden anstelle von militärischen Mitteln. Der Beitrag gibt die Umfrage jedoch falsch wieder. 

"Regierung ignoriert Mehrheit", ist auf einem Bild zu lesen, das das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) am 6. Juli 2024 auf seinem Facebook- und Instagram-Account veröffentlicht hat und das seither vielfach geteilt und gelikt wurde. "72% Ukrainer wollen Verhandlungen statt Waffen", schreibt die Partei weiter. 

Im Text des Beitrags beruft sich das BSW auf die Ergebnisse einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS). "Diese Umfrage widerlegt die Behauptung, dass alle Ukrainer einen Kriegseinsatz unterstützen, die oft zur Rechtfertigung des Krieges verwendet wird", erklärt das BSW. "Die Bevölkerung bevorzugt Frieden und Verhandlungen statt weiterer Eskalation!"

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Facebook- und Instagram-Screenshot der Behauptung: 12. Juli 2024

Die Beiträge geben die Umfrage jedoch falsch wieder. 

Mit einer Stichwortsuche konnte AFP eine Pressemitteilung zur Umfrage des KIIS finden, auf die das BSW in den Posts verweist (hier archiviert). Vom 5. bis 10. Februar 2024 wurden demnach rund 1200 per Zufallsverfahren ausgewählte Ukrainerinnen und Ukrainer nach ihrer "Wahrnehmung des Verlaufs des Krieges Russlands gegen die Ukraine nach fast zwei Jahren großangelegter Invasion" befragt, schreibt das Institut in seiner Mitteilung. 

Die Antworten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in zehn Grafiken in den vier Kategorien "Wer wird den Krieg gewinnen – die Ukraine oder Russland", "das realistischste Resultat des Krieges", "Wie viel länger sind die Ukrainer bereit, den Krieg auszuhalten" und "Offenheit gegenüber Verhandlungen über die Beendigung des Krieges" dargestellt. 

Militärische Mittel und Verhandlungen gleichzeitig

Das BSW bezieht sich in seinen Beiträgen auf die neunte Grafik. Sie bildet ab, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher der Meinung sind, dass die Ukraine Russland nur mit militärischen Mitteln, ungeachtet der Zahl der Opfer, besiegen könne, oder ob die Ukraine "zusätzlich zu militärischen Mitteln" nach einem diplomatischen Weg suchen solle, "um den Krieg mit Russland zu beenden und so die Zahl Toter und Verletzter zu minimieren". 

Tatsächlich hat sich die Zahl derer, die neben militärischen Mitteln auch Verhandlungen befürworten auf 72 Prozent erhöht – im Mai 2022 waren es noch 59 Prozent. 23 Prozent sind der Umfrage zufolge der Meinung, dass die Ukraine Russland ausschließlich mit militärischen Mitteln besiegen könne. Vier Prozent sagten, die Frage sei schwierig zu beantworten.

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Screenshot der Umfrageergebnisse auf der Website des KIIS: 12. Juli 2024

Die Frage war nicht, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Verhandlungen militärischen Mitteln vorziehen würden, es ging also nicht um ein Entweder-oder, sondern das Institut fragte danach, ob die Teilnehmerinnen sowohl militärische Mittel als auch einen diplomatischen Weg gutheißen würden. 

Auf Instagram hat das BSW seinen Beitrag in der Zwischenzeit mit einer Korrektur ergänzt und den Fehler eingeräumt: 

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Instagram-Screenshot des Beitrags mit dem Korrekturhinweis des BSW, Hervorhebung durch AFP: 12. Juli 2024

Allerdings finden Nutzerinnen und Nutzer sie erst ganz am Ende des Beitrags, zu Beginn ist sie mit einem Sternchen angekündigt. Die Falschaussage auf dem Bild selbst wurde nicht korrigiert. An seinem Beitrag auf Facebook hat das BSW zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Korrektur vorgenommen.

Fazit: Das BSW hat die Ergebnisse einer Umfrage unter Ukrainerinnen und Ukrainern, ob sie sowohl militärische Mittel als auch Verhandlungen zur Beendigung des Krieges mit Russland befürworten würden, in sozialen Medien falsch dargestellt. Die Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden nach einer Verfolgung beider Wege gefragt, nicht nach Verhandlungen anstelle von einer Fortführung des Krieges mit militärischen Mitteln.

Rechtschreibfehler im 5. Absatz korrigiert
31. Juli 2024 Rechtschreibfehler im 5. Absatz korrigiert

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