Der russische Außenminister Sergej Lawrow während einer Pressekonferenz in Moskau am 24. März 2022. ( POOL / KIRILL KUDRYAVTSEV)

Es gibt kein neues Militärbündnis zwischen Russland und elf weiteren Staaten

  • Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
  • Veröffentlicht am 25. August 2022 um 16:29
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
Etwa ein halbes Jahr dauert der russische Angriff auf die Ukraine mittlerweile schon an. User verbreiteten seit Ende Juli online eine Behauptung, wonach der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einem Besuch im indischen Neu-Delhi den Beitritt Russlands zu einem breiten defensiven Militärbündnis mit elf weiteren Staaten aus Südamerika, Asien und Europa unterzeichnet habe. Die russische Botschaft und Experten erklärten allerdings übereinstimmend, dass ein solches Bündnis nicht existiere. Indische und russische Pressemitteilungen zu Lawrows letztem Besuch in Indien beinhalten ebenfalls keine solche Meldung.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben Ende Juli die angebliche Meldung zu einem neuen russischen Militärbündnis auf Facebook geteilt. Auch auf dem russischen sozialen Netzwerk "vk.com" wird der Beitrag verbreitet.

Die Behauptung: Der Beitrag soll eine angebliche Erklärung des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Neu-Delhi wiedergeben. Darin heißt es: "Heute haben wir den Beitritt Russlands zu einem breiten defensiven Militärbündnis unterzeichnet, das aus 12 Ländern besteht: Russland, China, Iran, Indien, Kasachstan, Usbekistan, Aserbaidschan, Armenien, Weißrussland, Syrien, Brasilien und Venezuela." Das Bündnis sei ein Gegengewicht zur Nato. Die Meldung stamme von der russischen Nachrichtenagentur Tass.

Image
Facebook-Screenshot der Behauptung: 24.08.2022

Wie auch AFP berichtete, besuchte der russische Außenminister Lawrow zuletzt am 1. April 2022 Neu-Delhi. Auf seiner Reise habe Lawrow die indische Haltung zum Krieg in der Ukraine gelobt, da das Land den russischen Angriff nicht offiziell verurteilte. Bei einer UN-Abstimmung über die Verurteilung Russlands für den Krieg in der Ukraine Anfang März 2022 enthielt sich Indien. AFP berichtete weiter, der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar habe allerdings die Notwendigkeit der Einstellung der Gewalt und der Beendigung der Feindseligkeiten in der Ukraine betont. Aussagen über ein bei Lawrows Besuch ins Leben gerufenes Militärbündnis finden sich aber nicht.

Russische Botschaft dementiert das Bündnis

Zur Überprüfung der Behauptung, Russland habe ein militärisches Verteidigungsbündnis mit elf weiteren Staaten gegründet, kontaktierte AFP die russische Botschaft in Deutschland. Aus der Pressestelle der Botschaft hieß es am 24. August 2022, es handele sich bei dem Beitrag um eine Falschnachricht: "Solche Abkommen wurden nicht unterschrieben."

Dabei verwies die Botschaft auf die Mitteilungen des russischen Außenministeriums zu Lawrows Besuch in Indien (hier, hier, hier). Darin heißt es am 1. April 2022, Lawrow habe Verhandlungen mit dem indischen Außenminister geführt und sich über die "Situation in der Ukraine" ausgetauscht. Beide Seiten hätten ein Interesse an einer Stärkung der strategischen Partnerschaft der beiden Staaten bekundet. Ein neues Militärbündnis kommt darin nicht vor. Außenminister Lawrow sprach lediglich davon, dass die beiden Staaten weiterhin "Projekte in den Bereichen Energie, Wissenschaft und Technologie, Weltraum und Pharmaindustrie" durchführen würden.

Auch in der Mitschrift einer Pressekonferenz nach den Verhandlungen wird von einem derartigen Bündnis nicht gesprochen. Allerdings wurde eine bereits bestehende bilaterale Zusammenarbeit im "Militärbereich" erwähnt, so zum Beispiel die Lieferung von russischer Militärtechnik nach Indien. Bereits seit Jahren berichten Medien immer wieder von indischen Geschäften mit Russland in Sachen Militärausrüstung (hier, hier, hier).

Das indische Außenministerium veröffentlichte ebenfalls mehrere Mitteilungen zum Besuch Lawrows (hier, hier). Darin findet sich allerdings auch keine Erwähnung eines neuen Militärbündnisses.

Eine AFP-Anfrage an die im Facebook-Beitrag genannte staatliche russische Nachrichtenagentur Tass blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

Die Agentur berichtete am 1. April 2022 über Lawrows Besuch in Indien. Am 19. April 2022 veröffentlichte die Agentur eine Meldung, wonach Lawrow Indien angekündigt habe, im Bereich der Verteidigung alles liefern zu können, was Indien wünsche.

Zur weiteren Einordnung kontaktierte AFP zudem Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Meister erklärte am 16. August, ein neues Bündnis gebe es seines Wissens nach nicht. Auch dass eine solche Vereinbarung bei Lawrows Besuch in Indien unterzeichnet worden sei, ist Meister nicht bekannt. "Ich halte das für eine Falschmeldung."

Auch bei den vorangegangenen Besuchen Lawrows in Indien seien keine ähnlichen Abkommen unterzeichnet worden. Es gebe aber andere Bündnisse, in denen Russland Mitglied sei, erläuterte Meister: Zum einen die Organisation des Vertrages Kollektiver Sicherheit (OVKS), ein Militärbündnis postsowjetischer Staaten, und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die als Sicherheitsbündnis gegründet worden sei.

Wie die OVKS auf ihrer Website angibt, besteht das Bündnis bereits seit etwa 30 Jahren. Mit einer aktuellen Gründung kann sie daher nicht in Zusammenhang stehen. Mitglieder des Bündnisses sind Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Armenien.

Die SOZ wurde bereits 2001 gegründet, wie der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags dokumentiert, ebenfalls weit vor Lawrows letztem Besuch in Indien. Mitglieder sind China, Russland, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Die Organisation habe sich ursprünglich auf die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in den Grenzregionen der Mitgliedsstaaten fokussiert. Mittlerweile spielten aber auch Wirtschaft, Handel und die regionale Stabilität eine Rolle. Es gebe zudem Staaten mit Beobachterstatus, darunter Belarus und Iran, sowie Dialogpartner, darunter Aserbaidschan und Armenien.

Fazit: Die russische Botschaft in Deutschland und ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik nannten die vermeintliche Nachricht von einem neuen Militärbündnis zwischen Russland und elf weiteren Staaten eine Falschmeldung. Das indische und russische Außenministerium lieferten ebenfalls keine entsprechenden Meldungen zu Sergej Lawrows letztem Besuch in Neu-Delhi.

Haben Sie eine Behauptung gefunden, die AFP überprüfen soll?

Kontaktieren Sie uns